Heidelberg

Die in den 1870er Jahren erbaute Synagoge in der Mantelgasse. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 19]
Die in den 1870er Jahren erbaute Synagoge in der Mantelgasse. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 19]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Unter Pfalzgraf Ludwig II. (1253-94) finden wir die ersten Juden in Heidelbergs Umgebung, einige Jahrzehnte später (1300) in der Stadt selbst. 1349 wurde die jüdische Gemeinde vernichtet, ihre Häuser und Hofstätten 1358 an Engelhard von Hirschhorn zu Lehen gegeben. Wohl um den Einnahmeausfall zu ersetzen, nahm Pfalzgraf Ruprecht I. die aus Worms und Speyer vor den Verfolgungen der Pestjahre geflüchteten Juden noch im Schreckensjahr 1349 in Heidelberg in seinen Schutz. Sie mussten dafür beträchtliche Abgaben aufbringen, deren Höhe 1360 auf 100 Pfund Heller jährlich festgelegt wurde. Dieser Vertrag wurde mehrfach erneuert, 1381 auf zehn pfälzische Gemeinden ausgedehnt, die insgesamt 600 Gulden jährlich zahlen mussten. Zu den zahlreichen namentlich bekannten Juden, die in den folgenden Jahren in den Schutz aufgenommen wurden, gehören Gottlieb, der als Arzt angenommen wird, Mose Nürnberg, Simelin und Lebelang, der eine Schule einrichten darf und von dieser Erlaubnis später in Weinheim Gebrauch macht. Diese vier werden 1366 zu Judenrichtern eingesetzt. Der Friedhof, der der Gemeinde wohl schon vor der großen Pest gehörte, musste bereits 1369 aus Platzmangel erweitert werden. Er lag am Fuß des Gaisbergs neben dem kurfürstlichen Garten.

Alles in allem ging es den Juden trotz vieler Beschränkungen unter den ersten Kurfürsten verhältnismäßig gut. Sie konnten Häuser erwerben, waren nicht in ein Ghetto gedrängt, obwohl es eine Judengasse gab, und hatten zum Teil geachtete Stellungen inne. Dass sie weiterhin angefeindet wurden, ersieht man daraus, dass den Studenten der 1386 gegründeten Universität Ausschreitungen gegen Juden unter Androhung harter Strafen verboten werden mussten.

Ruprecht II. verjagte alle Juden aus seinem Land. Die gesamten Liegenschaften der Heidelberger Gemeinde übergab er der Universität, einschließlich des Friedhofs, dessen Grabsteine 1398 verkauft wurden. Die Synagoge, in der Urkunde als Judenschule bezeichnet, wurde am Weihnachtsfest 1391 vom Wormser Bischof feierlich zu einer Marienkapelle geweiht. Sie lag in der oberen Judengasse, der heutigen Dreikönigsstraße. Dort war auch ein Bad in einem Gewölbe vorhanden.

Die Bücher der Juden erhielt ebenfalls die Universität, die sie - mit Ausnahme eines noch einige Jahre aufbewahrten Talmudexemplars - verkaufte.

Trotz der judenfeindlichen Haltung der Kurfürsten der folgenden Jahrhunderte hielten sich immer wieder vorübergehend Juden in der Pfalz auf. In der Residenzstadt selbst wurden bis 1649 nur vereinzelte in den Schutz genommen, ihre Anwesenheit oft nur für wenige Wochen oder Monate gestattet. Im Gesamtverzeichnis der pfälzischen Juden von 1548 wird kein Heidelberger Einwohner genannt; 1550 sind es drei, unter ihnen ein gewisser Lazarus. Er war in eine Verschwörung verwickelt, die die Ausschaltung Otto Heinrichs von der Nachfolge in der Regierung zum Ziel hatte, aber fehlschlug.

Für die pfälzischen Juden war in dieser Zeit der Wormser Rabbiner zuständig. Vermutlich wurden in Worms auch nach der Enteignung des Heidelberger Friedhofs ihre Toten beigesetzt. Im 17. Jahrhundert wird dann von ihnen der näher gelegene Friedhof in Wiesloch benutzt.

Vereinzelt ließen sich Juden taufen, um an den Universitäten lehren zu können. 1551 wird Paulus Staffelstein - als Jude Nathan Aron - Professor der hebräischen Sprachen in Heidelberg. 1561 wird lmanuel Tremellius nach seiner Tätigkeit als Lehrer in Lucca, Straßburg und Cambridge als Calvinist Professor für Theologie und hebräische Sprache. 1562 und 1575 war er Rektor der Universität.

Das Leben der ungetauften Israeliten dagegen wurde immer beschwerlicher, selbst der Durchzug durch die Pfalz von immer schärferen Bedingungen abhängig gemacht. Nach dem Westfälischen Frieden nahm die Zahl der Juden zu. 1660 wohnten 5 Familien, alle mit dem Namen Oppenheim, in Heidelberg. Ein Oppenheim wurde als Samuel Heidelberg später Hoffaktor in Wien. Ein von ihm gestifteter Chanuka-Leuchter befand sich bis zur Zerstörung in der Kristallnacht in der Synagoge. Moses Oppenheim wirkte lange Jahre als Vorsteher der rasch wachsenden Gemeinde. Nach der Zerstörung der Stadt im pfälzischen Krieg flüchtete er nach Fürth, kehrte aber 1693 zurück und blieb in Heidelberg bis zu seinem Tode. Samuel und Moses zogen für den Kurfürsten die Rekognitionsgelder ein, die von den Juden als Gegenleistung für die Aufnahme zu erbringen waren. Zu ihrer Zeit hat es mit großer Wahrscheinlichkeit schon einen Rabbiner in der Stadt gegeben und eine Judenschule, womit wiederum die Synagoge gemeint ist. Die Gemeinde löste sich damit aus der Abhängigkeit von Worms. Wegen der unsicheren Verhältnisse im pfälzischen Erbfolgekrieg erschien es den Heidelberger Juden ratsam, statt der gefährlichen Oberführung ihrer Toten nach Wiesloch einen eigenen Friedhof einzurichten. Sie kauften einen Hopfengarten in der Plöck unweit der Annakirche, aber nachdem die ersten Verstorbenen dort beigesetzt waren, wurde der Kauf nach Vorstellungen des Hofkammerpräsidenten, der bei den Verhandlungen übergangen worden war, rückgängig gemacht und befohlen, „was an selbigem Begräbnisplatz gebaut und zugerichtet, alsobald niederreißen zu lassen". An diesen Verhandlungen war auch Süßkind Oppenheimer beteiligt, der Vater des bekannten württembergischen Hoffaktors Süß Oppenheimer. Dieser selbst wurde vor der Jahrhundertwende - das genaue Datum ist nicht zu ermitteln - in Heidelberg geboren.

Die Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen 1689 brachte auch über die Juden Not und Elend. Die Residenzstadt selbst war nicht so schlimm betroffen. Tatkräftig hatten die jüdischen Einwohner an der Bekämpfung des Stadtbrandes teilgenommen. 35 Familien mit 167 Seelen, vor allem aus dem völlig zerstörten Mannheim, fanden ein vorübergehendes Obdach bei Christen und Glaubensbrüdern. Erst nach längeren Verhandlungen wurde ihnen der Verbleib in Heidelberg bis zum Wiederaufbau ihrer Wohnsitze erlaubt. Sie mussten sich dafür an den Einquartierungskosten der Hauptstadt beteiligen.

1697 begannen erneute Verhandlungen um einen Friedhof. Der ursprünglich vorgesehene Platz an der Plöck wurde für eine andere Straßenführung benötigt. Verschiedene Plätze vor den Stadttoren wurden den inzwischen acht Familien Oppenheimer - der Name wechselt mit der Form Oppenheim - angeboten. 1701 erhielten sie einen Platz vor dem Klingentor zugesprochen, 100 Schuh lang und 72 Schuh breit, „an keiner Straße gelegen und niemand sonst hinderlich oder verdrießlich". Bis 1876 wurde dieser Friedhof benutzt, dann wurde er geschlossen und der Gemeinde ein Stück des städtischen Bergfriedhofs an der Rohrbacher Straße eingeräumt.

Die erneuerten Stadtprivilegien von 1698 sahen eine Beschränkung der Heidelberger Judenschaft auf drei Familien vor, Ansiedlungszwang in einer Gasse und Handelsbeschränkungen. Auf ihre Proteste hin wurden diese Bestimmungen abgeändert. Man verzichtete auf das Ghetto, sah die Aufnahme von fünf Familien vor und ordnete die Gleichstellung der Juden mit den übrigen Bürgern in geschäftlicher Hinsicht an, denn das war in der allgemeinen, teuer bezahlten Judenkonzession der Pfalz vorgeschrieben. Besonders die Krämerzunft opponierte gegen diese Erleichterungen für ihre Konkurrenz und bereitete unter Berufung auf ihre Zunftordnung den jüdischen Krämern erhebliche Schwierigkeiten. Sie setzte durch, dass den Juden das öffentliche Feilhalten ihrer Waren auf dem Markt verboten wurde, und schließlich durften diese überhaupt keine offenen Läden mehr haben. Auch die Metzgerzunft versuchte die jüdische Konkurrenz auszuschalten.

Der Heidelberger Rat veranlasste gelegentlich Razzien, bei denen alle nicht offiziell aufgenommenen Juden Rechenschaft über den Grund ihres Aufenthalts geben mussten und meistens ausgewiesen wurden. Sowohl die Christen als auch die sesshaften Juden veranlassten diese Maßnahmen, die einen aus Sorge vor der Konkurrenz, die anderen, um unheilvollen Folgen für sich selbst vorzubeugen.

Vertreter der pfälzischen Judenschaft, die - mit Ausnahme der 1660 herausgelösten Mannheimer Gemeinde - von der Regierung als eine Einheit behandelt wurde, war der Obervorsteher. Er leitete die etwa alle drei Jahre stattfindenden Versammlungen der Landjudenschaft. Als solcher wird zunächst Moses Oppenheimer aus Heidelberg genannt. Nach seinem Tode übernimmt 1705 sein Sohn Lazarus dieses Amt. 1704 wird erstmals ein Landrabbiner genannt, der seinen Sitz in Heidelberg hatte. Wohl schon 1702 hatte der Talmud-Gelehrte Hirsch Fränkel dieses Amt übernommen und behielt es bis zu seiner Berufung nach Ansbach 1708. Seine nächsten Nachfolger waren Matches Ahrweiler (1708-28) und David Ullmann (1728-62), dessen Ernennung dem Einfluss seines Bruders, des Hoffaktors Jakob Ullmann, zu verdanken war und Anlass zu Auseinandersetzungen in der Judenschaft Heidelbergs bot.

Die jüdischen Gottesdienste fanden nach dem Verlust der ersten Synagoge in Privathäusern statt. Von 1704 ab diente das Haus des Feist Oppenheimer diesen Zwecken. Es lag in der Nähe des Jesuitenkollegiums. 1714 beantragten die Jesuiten „wegen früh und späten unerträglichen Geschrei von nächstgelegener unruhiger Judenschul und öfterer Zusammenlaufung der Juden in dasiger Nachbarschaft" die Entfernung der „Judenschule". Allerdings wurde der Lärm bisweilen von Studenten verursacht, die trotz aller Ermahnungen sich häufig Übergriffe gegen die Juden zuschulden kommen ließen, auch das Haus des Feist mit Steinen bewarfen. Der Antrag der Jesuiten löste einen 22jährigen Streit unter den Heidelberger Juden um den Bau einer Synagoge aus. Feist Oppenheimer und vier Familien wollten seine Privatsynagoge behalten, die 1718 von Unbekannten verwüstet wurde. Eine andere Gruppe um den Obereinnehmer Moses David Oppenheimer erwarb nach zähen Verhandlungen das Haus „Blaue Lilie" in der Mantelgasse. Die Fenster zur Straße mussten vermauert und das Äußere so gestaltet werden, „dass es nicht wie eine Synagoge oder Kirche aussehe". Nach dem Umbau musste Feist trotz beharrlicher Weigerung die Kultgegenstände herausgeben. Die Sitze im neuen Gotteshaus wurden versteigert, um den Käufern das vorgestreckte Kapital zurückzahlen zu können. Solange blieb das Haus Privateigentum der Käufergruppe. Die Opposition richtete nach dem Tode des Feist 1721 im Haus des Wolf Oppenheimer eine Privatsynagoge mit einem Vorbeter ein, nachdem die Häuser beim Jesuitenkollegium aufgegeben worden waren. Damit war aber die Regierung nicht einverstanden und ordnete die Schließung dieses Betraumes an sowie die Entlassung des Vorbeters. Nach vielem Hin und Her wurde auf Befehl der Regierung eine Einigung mit Moses Oppenheimer, dem nominellen Eigentümer des Hauses zur blauen Lilie, erzielt. Die gesamte Heidelberger Judenschaft erwarb 1736 das Haus und den Hofplatz. Der bisherige Eigentümer erhielt die vornehmsten Plätze in der Männer- und Frauenabteilung für seine Familie zugesprochen. Heidelberg hatte damit wieder eine Synagoge. An ihrer Stelle an der Ecke Große Mantelgasse/Lauerstraße wurde 1878 ein Neubau errichtet.

Bei der Gesamtaufnahme der pfälzischen Juden zur Erneuerung der Konzession 1722 bestanden 20 Haushaltungen in Heidelberg. Dort wohnte der spätere Obereinnehmer Moses Karlebach, der dieses zugleich einträgliche und undankbare Amt ab 1731 versah. 1743 waren es nur 12 Familien, die in der Hauptstadt Schutzgeld zahlten, aber auch das erschien den Heidelbergern noch zu viel. Kurfürst Karl Theodor versprach deshalb 1746, die Anzahl „auf den altvorigen Fuß nach und nach zu vermindern". Aber dieses Verspredigten konnte die Entfaltung der Gemeinde nicht hindern. 1747 durfte Oberrabbiner Ullmann zwei Religionslehrer für die Landjudenschaft anstellen. Sein Nachfolger Naftali Hirsch Moses (1763 bis 1800) amtierte in der neuen Residenz Mannheim.

Stadtrat und Zünfte protestierten 1746 energisch, als ein Jude an der Hauptstraße ein Geschäft eröffnete. Zwar konnten sie, wie schon früher, die Errichtung eines Ghettos nicht erzwingen, aber die weitere Ansiedlung von Juden an der Hauptstraße wurde untersagt. Unter der Gegnerschaft ihrer Mitbürger hatten sie weitere Unannehmlichkeiten zu erdulden. Als 1784 eine neue Neckarbrücke erbaut worden war, sollten sie nach der Vorstellung des Stadtrats doppelte Taxe zahlen.

Der Kurfürst erklärte jedoch diese Behandlung für ungesetzlich, da seiner Meinung nach die Juden als „Handelsleute und Mitmenschen" zu betrachten seien. Der Stadtrat musste nachgeben, konnte aber vom Nachfolger Karl Theodors die Beschränkung der jüdischen Handlungen auf zwei durchsetzen. Nach dem Anfall an Baden machten sich auch in Heidelberg liberalere Strömungen bemerkbar.

An der Universität konnten sich seit 1724 Juden immatrikulieren. Bis 1804 machten insgesamt 19 Studierende von diesem Recht Gebrauch. Hier war aber auch der Ort, wo 1816 der Professor der Naturwissenschaften Fries eine Schrift erscheinen ließ, in der er zur Ausrottung der Juden mit Stumpf und Stiel aufforderte. Er stand damit in der Nachfolge des Heidelberger Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger, dessen Werk „Entdecktes Judentum" 1711 in Königsberg erschienen war, nachdem Samuel Oppenheimer ein kaiserliches Verkaufsverbot für das Reich erwirkt hatte. Bis in die jüngste Zeit bezogen Antisemiten ihr Wissen über das Judentum aus diesen obskuren Quellen. Zwar wurde Fries bald seines Amtes enthoben, aber seine Schrift war eine der Ursachen, die zum Hep-Hep-Sturm von 1819 führten, bei dem es auch in Heidelberg zu Tumulten und Ausschreitungen gegen die Juden kam.

Alle diese Rückschläge konnten die Entfaltung der Gemeinde nur verzögern, nicht aufhalten. 1827 lebten über 350 Juden in der Stadt, rund 2 Prozent der Einwohner. Bei der Neueinteilung der Gemeinden in diesem Jahr wurde Heidelberg Sitz einer Bezirkssynagoge. Seit etwa 1875 betreute der Heidelberger Bezirksrabbiner auch die Rabbinatsbezirke Ladenburg und Sinsheim.

Ähnlich wie in Karlsruhe und Mannheim kam im Zusammenhang mit den Assimilierungsbemühungen in Heidelberg eine Bewegung auf, die den Gottesdienst reformieren, vor allem die deutsche Sprache einführen wollte. Vorkämpfer dieser Bewegungen war der Oberlehrer Rehfuß. Doch die Zeit war noch nicht reif dafür. Oberrat und Staatsministerium untersagten ihm gottesdienstliche Handlungen, die nicht den geltenden jüdischen Gebräuchen entsprachen. In den Schulvorstand der inzwischen eingerichteten jüdischen Volksschule wurde 1827 der Rabbiner berufen. Sonst wurde die Schulaufsicht von der katholischen oder protestantischen Kirchen-Ministerial-Sektion wahrgenommen. Rehfuß konnte es durchsetzen, dass die Schulentlassungsfeier in der Art der Konfirmation in der Synagoge stattfand. Ein anderer Protagonist der Reform war der von 1827-72 amtierende Bezirksrabbiner Salomon Fürst, der 1845 die erste allgemeine badische Rabbinerkonferenz über Reformfragen veranlasste. In der Heidelberger Synagoge wurde bereits 1854 ein Harmonium aufgestellt. Das war einer der Hauptangriffspunkte der jüdischen Orthodoxie, die schließlich eine eigene Gruppe in der Gemeinde bildete, ohne sich vollständig von ihr zu trennen, wie es in Karlsruhe der Fall war.

Gewalttaten gegen Juden ließen sich noch einmal Angehörige einer Zunft zuschulden kommen. Als die Schneider im Zusammenhang mit der Revolution von 1848 die Einführung der Gewerbefreiheit befürchteten, stürmten sie die Läden der jüdischen Kleiderhändler.

Die Gemeinde wuchs von 854 Juden im Jahre 1875 (2,6 Prozent von 32.992 Ein­wohnern) nach einem Rückgang auf 794 (1887) auf 927 im Jahr 1900. 1925 war mit 1.412 Seelen die absolute Höchstzahl erreicht (1,8 Prozent). Den Beginn des Dritten Reiches erlebten noch 1.102 Bürger jüdischen Glaubens in der Stadt.

Der Ungeist des Nationalsozialismus drang früh in gewisse Kreise der Universität ein. 1927 wurde auf einem Bonner Studententag die Umgestaltung der Verfassung der Heidelberger Studentenschaft in arisch-völkischem Sinn verlangt. Die freien Hochschulgruppen und der katholische Görresring vereitelten das Zustandekommen der erforderlichen Mehrheit. Friedrich Gundolf lehrte zu dieser Zeit Literaturwissenschaft (gest. 1931). Im April 1933 wurde eine Beschränkung des Anteils der jüdischen Studenten auf den prozentualen Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung gefordert. Im gleichen Jahre wurden die ersten jüdischen Do­zenten auf Grund des Berufsbeamtengesetzes ihres Amtes enthoben, darunter der Althistoriker Eugen Täubler, der Internist Albert Fränkel und der Pharmakologe Siegfried Löwe. Aus rassischen Gründen mussten in den nächsten Jahren insgesamt 45 akademische Lehrer die Alma mater verlassen, unter ihnen die Juristen Ernst Levy und Walter Jellinek, der Romanist Helmut Hatzfeld, der Dermatologe Siegfried Bettmann und der Physiologe und Nobelpreisträger Otto Meyerhof.

Nach einem Schreiben der Dozentenschaft der Universität Heidelberg lag es „im Interesse der gesamten deutschen Wissenschaft", dass er einen Ruf ins Ausland annahm; er sei „höchst gefährlich, und der Ruf ins Ausland bietet die beste Möglichkeit, ihn abzuschieben. Er dürfte trotz seiner Berühmtheit im Ausland unter dem Heer der anderen Emigranten mit untergehen". 20 von den Dozenten gelang die Auswanderung, 2 wurden nach Gurs deportiert, 2 nahmen sich das Leben. Die Zahl der nichtarischen Studenten fiel von 1933-37 von 180 auf 24, und diese wenigen waren meist sogenannte Halbjuden. Das Vermögen der jüdischen Studentenvereinigung wurde 1933 beschlagnahmt, die Verbindung Guestphalia aufgelöst, weil sie sich geweigert hatte, Mitglieder mit jüdischen Verwandten auszuschließen.

1933 bestanden in der israelitischen Gemeinde zahlreiche Vereine, die vor allem wohltätigen Zwecken dienten. Die Orthodoxen waren in dem 1929 in das Vereinsregister eingetragenen „Verein gesetzestreuer Juden" zusammengeschlossen und hatten einen eigenen Betsaal in der Plöck eingerichtet. Die Friedrichs-Loge des Unabhängigen Ordens B'ne B'rith hatte nur wenige Mitglieder. In der Akademiestraße besaß der Verein für israelitische Krankenschwestern ein Heim. Wie im übrigen Baden hatte es der Zionismus schwer, in Heidelberg Fuß zu fassen. Erst 1935 konnte eine Ortsgruppe gebildet werden, die im September 1936 schon 116 Mitglieder umfasste.

In allen Zweigen der Wirtschaft waren Juden zu dieser Zeit noch tätig. Größere Betriebe waren die Badischen Möbelwerke, zahlreiche Großhandlungen und mehrere Zigarrenfabriken, darunter die Firma Flegenheimer mit etwa 230 Mitarbeitern. Der stärker werdende Druck von außen führte zu einer Intensivierung des Gemeinde- und Vereinslebens. Die Sorge um die Erziehung der Kinder veranlasste 1933 die Bildung eines Aktionsausschusses für Fragen des Schulwesens. Der Religionsunterricht an den Gemeinschaftsschulen sollte zu einem allgemein jüdischen Unterricht erweitert werden, in dem die hebräische Sprache und die jüdische Geschichte gelehrt werden sollten. 1936 wurde eine eigene Judenklasse geschaffen. Die Kinder wurden von jüdischen Lehrern unterrichtet, die als Frontkämpfer vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nicht betroffen waren. Sie wurden vom Staat besoldet. Zusätzliche Lehrkräfte musste die Gemeinde bezahlen. 1937 besuchten 53 Kinder aus Heidelberg und der näheren Umgebung diese Klasse. Bis zur Kristallnacht fand der Unterricht in der Pestalozzischule statt. Danach wurde der gemeinsame Unterricht von Juden und „Ariern" in einem Gebäude verboten, die staatliche Unterstützung eingestellt, die Schule privatisiert und am 1. Oktober 1939 von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland übernommen. Die Deportation nach Gurs beendete die Lehrtätigkeit im Gemeindehaus in der Bunsenstraße, wo die Schule Aufnahme gefunden hatte. Bereits 1936 war der amtierende Rabbiner Dr. Pinkuss nach Brasilien ausgewandert.

In der Kristallnacht wurde die Synagoge, die nach einem 1912 erfolgten Umbau noch 1937 renoviert worden war, ein Opfer der geplanten Zerstörungsaktion. Die Thorarollen und andere Ritualien wurden zunächst auf das Polizeirevier verbracht, etwa acht Tage später von Studenten auf dem Universitätsplatz unter Ansprachen und Absingen nationalsozialistischer Lieder verbrannt. Den Abbruch des ausgebrannten Gotteshauses musste die Gemeinde bezahlen. Die Zerstörungen im Betsaal der Orthodoxen ließen eine Renovierung zu, so dass hier und im jüdischen Gemeindehaus im Januar 1939 wieder Gottesdienst gefeiert werden konnte. Zahlreiche jüdische Bürger wurden Opfer des Wütens der SA. Ihre Wohnungen wur­den zertrümmert, das Mobiliar zerhackt, die Betten aufgeschlitzt und auf die Straße geworfen. Selbst wertvolle Kunstgegenstände wurden nicht verschont, zahlreiche jüdische Geschäfte demoliert. Die beteiligten Männer erhielten zum Teil Bescheinigungen über ihre Teilnahme an einer „Aktion gegen Staatsfeinde", um einen Verdienstausfall zu vermeiden. Der zuständige Ortsgruppenleiter war bei den Zerstörungen in den Wohnungen prominenter Juden selbst tätig - anders als in den kleineren Orten, wo die „Volkswut" meist von ortsfremden SA-Leuten verkörpert wurde. Rund 150 Männer traten den Weg nach Dachau ins KZ an, von wo sie nach Wochen oder Monaten zurückkehrten.

Am 22. Oktober 1940 begann für Baden lange vor der Wannsee-Konferenz die „Endlösung" der Judenfrage. Da die Nationalsozialisten die Juden als Angehörige einer Rasse, nicht einer Konfession betrachteten, ergibt sich eine Differenz zwischen den in den Volkszählungen bis 1933 erfassten Glaubensjuden und den „Nichtariern" nach der Rassenideologie. Nach deren Kategorien lebten am Tage der Machtergreifung 1.217 Juden in Heidelberg. Durch Zuzüge und Geburten erhöhte sich diese Zahl bis zum Beginn der Deportationen um 556, verminderte sich andererseits durch Tod, Auswanderung und Umzug innerhalb Deutschlands. Die folgenden Zahlenangaben gehen von den 1.773 Personen aus, die zwischen 1933-1945 Heidelberger Bürger waren. Für 339 Juden begann der Leidensweg mit dem großen Transport nach Gurs. 281 von ihnen erreichte der Ausweisungsbefehl in Heidelberg, die anderen irgendwo in einer anderen badischen oder pfälzischen Stadt, wohin sie inzwischen gezogen waren. Unter den Betroffenen befand sich der Dichter Alfred Mombert, dem später mit seiner ebenfalls hochbetagten Schwester die Einwanderung in die Schweiz gelang. In Gurs und in Idron vollendete er seinen Mythos „Sfaira der Alte". Seine Verse spiegeln die Trostlosigkeit des Lagerlebens wider, zeugen aber von der Größe menschlichen Geistes in der Erniedrigung. Mombert starb 1942 in Winterthur, nur wenige Monate nach seiner Befreiung. Der Heidelberger Stadtpfarrer Maas versuchte das Leid der verfolgten Mitbürger zu lindern, soweit es in seinen Kräften stand. Nach der Aktion Gurs wurden im Stadt- und Landkreis Heidelberg nur noch 83 Juden gezählt, fast ausschließlich solche, die 1940 nicht transportfähig waren oder die in Mischehe mit einem „arischen" Partner lebten.

125 der von 1933-45 in Heidelberg gemeldeten Juden starben in der Stadt selbst oder irgendwo in der Heimat, wohin sie das Schicksal verschlagen hatte. In dieser Zahl sind diejenigen enthalten, die den Freitod der Ungewissheit der Deportation und der Ehrlosigkeit vorzogen. Allein fünf Ehefrauen oder Witwen von Professoren gingen diesen schweren Weg.

Die Transporte in die Vernichtungslager des Ostens und nach Theresienstadt von 1942-45 erfassten 103 Personen. Unter ihnen befand sich - ein Beispiel für viele - der 70jährige Medizinalrat Reis, ein beinamputierter Invalide des Ersten Weltkriegs mit zahlreichen Orden, und seine 90jährige Mutter. 18 von ihnen, fast ausschließlich solche, die noch im Februar 1945 abtransportiert worden waren, kehrten nach der Befreiung in die Heimatstadt zurück. 50 Juden von den 1.773, meist Partner von Mischehen, erlebten das Kriegsende in Heidelberg oder sonst irgendwo in Deutschland, wo sie in den letzten Monaten untergetaucht waren und zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen lebten. Das Schicksal der restlichen 200 Personen entzieht sich unserer Kenntnis, vor allem deshalb, weil sie meist vor Beginn der Verfolgungen das Gebiet des heutigen Baden-Württemberg verlassen hatten und vom neuen Wohnsitz aus emigrierten oder verschleppt wurden.

Nach dem Kriege wurde der alte Friedhof an der Klingenteichstraße von der Stadt zu einer gepflegten Anlage umgestaltet. An die alte Synagoge erinnert eine Gedenktafel am Alten Synagogenplatz. Die wieder erstandene jüdische Gemeinde konnte 1958 ein neues Gotteshaus einweihen.

In den beiden Stadtteilen Heidelbergs Rohrbach und Handschuhsheim ließen sich seit dem 16. Jahrhundert vereinzelt Juden nieder. 1548 zahlte Israel aus Handschuhsheim für seinen Schirmbrief 150 Gulden, sein Schwiegersohn Aron 40 Gulden. 1701 sollte dort eine Versammlung der gesamten pfälzischen Judenschaft stattfinden, die aber wegen der ungeschützten Lage des Ortes schließlich nach Heidelberg einberufen wurde. 1719 beklagte man sich in der Residenz darüber, dass die Juden der beiden Vororte in Heidelberg Geschäfte tätigten. 1722 waren je 4 Familien hier ansässig, 1743 in Rohrbach 4, in Handschuhsheim noch 2. Von diesen wird Gerson Leser als bettelarm geschildert „und ist bei ihm nichts als eine Hütte voll Kinder zu finden". Bei der Bezirkseinteilung von 1827 werden beide Orte dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugewiesen.

In Handschuhsheim hat demnach eine selbständige Gemeinde bestanden, die aber die Synagoge und den Friedhof in Heidelberg benützte und keine Bedeutung erlangte. Sie wurde bereits vor der 1903 erfolgten Eingemeindung des Orts nach Heidelberg aufgelöst.

Die israelitische Gemeinde Rohrbach war etwas größer. 1887 wies sie 69 Mitglieder auf; seitdem ging die Zahl laufend zurück (1895 44, 1905 42, 1910 39). Der Ort wurde 1927 nach Heidelberg eingemeindet. Im Januar 1937 wurde die noch rund 30 Seelen umfassende Gemeinde mit Genehmigung des Staatsministeriums mit der Heidelberger Gemeinde vereinigt. Kurz vor 1850 war in Rohrbach unweit des Rathauses in der Rathausstraße eine eigene Synagoge erbaut worden. Auch sie wurde in der Kristallnacht durch Angehörige des Pioniersturms und des Heidelberger Studentensturms der SA in Brand gesteckt, aber wegen der dichten Bebauung mussten der Feuerwehr die Löscharbeiten erlaubt werden. Im Lauf des Krieges wurde das Gebäude abgerissen.
 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Baum, Marie, Vergessene und Unvergessene aus der Stadt Heidelberg, in: Den Unvergessenen. Opfer des Wahns 1933 bis 1945, hg. von H. Maas, u. a. 1952. 
  • Ludwig, Max, Das Tagebuch des Hans O. Dokumente und Berichte über die Deportation und den Untergang der Heidelberger Juden, 1965. 
  • Marx, Hugo, Werdegang eines jüdischen Staatsanwalts und Richters in Baden (1892-1933), 1965.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Heidelberg, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Badische Synagogen, hg. Franz-Josef Ziwes, Karlsruhe 1997, S. 66-69.
  • Cser, Andreas/Döring, Susanne/Giovannini, Norbert u.a., Geschichte der Juden in Heidelberg. (Buchreihe der Stadt Heidelberg, Bd. VI.), hg. von Peter Blum, Heidelberg 1996.
  • Dokumentation „Juden an der Universität Heidelberg - Dokumente aus sieben Jahrhunderten“ (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg - Universitätsbibliothek - Ausstellungen), Heidelberg 2002.
  • Erinnertes Leben. Autobiographische Texte zur jüdischen Geschichte Heidelbergs, hg. von Norbert Giovannini/Frank Moraw, Heidelberg 1998.
  • Germania Judaica, Bd. 2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 344f.
  • Germania Judaica, Bd. 3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 523ff.
  • Geschichte der Juden in Heidelberg, hg. von Peter Blum, Heidelberg 1996.
  • Giovannini, Norbert/Bauer, Jo-Hannes/Mumm, Hans-Martin, Jüdisches Leben in Heidelberg. Studien zu einer unterbrochenen Geschichte, Heidelberg 1992.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Kaufmann, Uri R., Jüdische Gemeinden in Heidelberg, in: 25 Jahre Neue Synagoge mit Gemeindezentrum Heidelberg, hg. von Jüdische Kultusgemeinde Heidelberg, Heidelberg 2019, S. 27-35.
  • Künzl, Hannelore, Auf den Spuren der ersten Heidelberger Synagoge, in: Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg, 3. Dezember 1981.
  • Löslein, Barbara, Die Heidelberger Synagogen, in: Heidelberg. Geschichte und Gestalt, hg. von Elmar Mittler, Heidelberg 1996, S. 228-235.
  • Löslein, Barbara, Geschichte der Heidelberger Synagogen. (Kunsthistorisches Institut der Universität Heidelberg. Veröffentlichungen zur Heidelberger Altstadt 26), hg. von Peter Anselm Riedl, Heidelberg 1992.
  • Magall, Miriam, Ein Rundgang durch das jüdische Heidelberg, Heidelberg 2006.
  • Szklanowski, Benno, Der alte jüdische Friedhof am Klingenteich in Heidelberg 1702-1876, in: Neue Hefte zur Stadtentwicklung und Stadtgeschichte 3 (1984).
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 197-206.
  • Weckbecker, Arno, Die Judenverfolgung in Heidelberg 1933-1945. Heidelberg unter dem Nationalsozialismus, in: Motive-Texte-Materialien, hg. von Jörg Schadt/Michael Caroli, Heidelberg 1985, S. 399-412.
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