Ketsch mit Brühl

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Hockenheimer Str. 42, auf der Badischen Gemarkungskarte (1874-1879). Es ist nicht bekannt, ob in den 1930er Jahren noch Gottesdienste stattfanden. Die Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und 1939 verkauft, das Gebäude später abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 923]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Hockenheimer Str. 42, auf der Badischen Gemarkungskarte (1874-1879). Es ist nicht bekannt, ob in den 1930er Jahren noch Gottesdienste stattfanden. Die Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und 1939 verkauft, das Gebäude später abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 923]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Ketsch gehörte vor dem Anfall an Baden zu den vom Domkapitel verwalteten Ämtern des Hochstifts Speyer. Juden ließen sich dort im 18. Jahrhundert in geringer Zahl nieder. Die 24 Seelen, die 1825 die jüdische Gemeinde bildeten, wurden 1827 dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugewiesen. Die Gemeinde blieb klein. 1875 gehörten ihr 20 Juden an, 1895 war die Höchstzahl mit 31 erreicht. 1900 waren es 27, 1925 16 und 1933 noch 13 Juden. Zunächst beteiligten sie sich an den Gottesdiensten im benachbarten Schwetzingen. Später erwarben sie das Miteigentum an einem Wohnhaus in der Hockenheimer Straße und richteten dort eine Synagoge ein. Die Toten wurden auf dem jüdischen Friedhof in Wiesloch beigesetzt.

Großes Interesse bewiesen die Ketscher Juden für ihr Heimatdorf. Ein Jude saß als Mitglied der demokratischen Partei im Bürgerausschuß, ein anderer war Mitbegründer der freiwilligen Feuerwehr. Auch betätigten sie sich in den örtlichen Sport- und Kulturvereinen. Gustav Kaufmann baute seine Ziegelei durch die Angliederung einer Rheinkiesbaggerei aus; allerdings ging die Firma 1932 in Konkurs.

1933 gab es in Ketsch ein jüdisches Manufakturwarengeschäft, eine Lebensmittelhandlung und ein Textilgeschäft. Obwohl die christlichen Mitbürger aus ihrer antifaschistischen Haltung kein Hehl gemacht und noch im Sommer 1932 nationalsozialistische Versammlungsversuche gesprengt hatten, mussten die Geschäfte nach und nach bis zum Verbot von 1938 aufgegeben wurden. Der jüdische Kommunist Artur Metzger wurde bereits im März 1933 für 10 Monate in das KZ Kislau eingeliefert. Nach der Kristallnacht wurde er nach Dachau gebracht. Er kam nicht mehr von dort zurück. Auch Manfred Kaufmann, Träger der badischen Verdienstmedaille und des EK II, wurde mehrmals verhaftet und später nach Gurs deportiert.

In der Kristallnacht wurde die Synagoge und die Wohnung Kaufmanns verwüstet. Da die jüdische Gemeinde nur Miteigentümerin war, konnten die Nationalsozialisten einen Abbruch des Gebäudes oder die Inbrandsetzung nicht riskieren. Sämtliche Juden waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits aus Ketsch abgewandert. Eine Familie fand in Südafrika, eine andere in den USA eine neue Heimat. Dr. Alfred Stern entging seiner Verhaftung 1934 durch Flucht nach Prag. 1936 bis 1938 arbeitete er in einer Poliklinik in Russland, wurde bei Kriegsausbruch verhaftet und angeblich nach Workuta geschleppt. Er starb lange nach Kriegsende als Kreisarzt in Sachsen.

Die jüdische Gemeinde wurde am 12. Oktober 1937 durch Beschluß des Staatsministeriums aufgelöst, das Eigentum an der Synagoge im März 1939 vom Oberrat der Israeliten als Rechtsnachfolger verkauft.

Fünf ehemalige Juden aus Ketsch wurden in ihren neuen Wohnorten von der Deportation nach Gurs erfasst. Dort starb Friederike Kaufmann, Sara Marx in Noe. Manfred Kaufmann starb nach dem Kriege in Frankreich, seine Ehefrau Henriette in den USA. Lina Goldschmidt ist in Gurs verschollen.

Die Juden in Brühl waren seit 1925 der jüdischen Gemeinde Ketsch als Filiale angeschlossen. Bis zum Beginn der Verfolgungen waren die 1933 am Ort gemeldeten sechs Glaubensjuden verstorben oder verzogen.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Ketsch, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Fuchs, Robert, Die Kirchengeschichte von Ketsch, 3. Abschnitt: die ehemalige israelitische Gemeinde Ketsch. o.J.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Lohrbächer, Albrecht, Sie gehörten zu uns. Geschichte und Schicksale der Schwetzinger Juden, 1978 S. 56 und 60-61.
  • Schölermann, Reimer, Gegen das Vergessen, Brühl 2013.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 472-473.
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