Nußloch mit Leimen

Bauplan für den Betsaal in Nußloch, 1890. Das Grundstück mit dem Betsaal ging 1938 in Privatbesitz über. Das Gebäude wurde abgerissen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1326]
Bauplan für den Betsaal in Nußloch, 1890. Das Grundstück mit dem Betsaal ging 1938 in Privatbesitz über. Das Gebäude wurde abgerissen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1326]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das ehemals kurpfälzische Dorf Nußloch kam 1803 zu Baden.

Kurfürst Karl Theodor (1742-1799) nahm um 1743 drei Judenfamilien in den Schutz nach Nußloch auf, denen bald weitere folgten. Vorsteher der Juden war ein gewisser Manis, der sich als Schtadlan (Fürsprecher in jüdischen Angelegenheiten) ein ruhmvolles Andenken erwarb. 1749 ließ er auf seine Kosten durch Neta ben Elia aus Crailsheim, der 36 Jahre in Nußloch als Vorsänger wirkte, ein Memorbuch anfertigen. Am Schluss des Memorbuchs werden die Verdienste Manis hervorgehoben, der durch seine Verwendung beim Kurfürsten viele Misslichkeiten von seinen Glaubensgenossen abwendete. Er starb 1773.

1825 zählte die jüdische Gemeinde Nußloch 51 Seelen, 1875 65, 1900 41, 1925 21 und 1933 ebenfalls 21.

Eine Synagoge ließ schon der Vorsteher Manis erbauen, der auch den jüdischen Friedhof mit einer Mauer versehen ließ. Dieser Friedhof muss später abgegangen sein, denn im 19. und 20. Jahrhundert begruben die Nußlocher Israeliten ihre Toten in Heidelberg und Wiesloch. Seit 1827 gehörte Nußloch zum Rabbinatsbezirk Heidelberg.

In den Tagen der Märzrevolution 1848 wurden in Judenhäusern Fenster eingeworfen. Nach der vollständigen Emanzipation der Juden 1862 besserte sich das Verhältnis zu den übrigen Bürgern. Die wenigen Juden lebten zurückgezogen und gingen ihrem Handel mit Vieh, Textilwaren und Tabak nach. 1933 besaßen die Brüder Ferdinand und Oskar Ehrmann einen Rohtabakfermentationsbetrieb und eine Hopfenhandlung. Ihre Schwester Mina hatte in Nußloch eine Verkaufsniederlage. Siegfried Mayer war Reisender, der aus Ungarn stammende Rudolf Weiß Schuhmacher.

Während der nationalsozialistischen Herrschaft hatten auch die Nußlocher Juden unter Diskriminierungen zu leiden. Um ihnen zu entgehen, wanderte die Familie Weiß nach Ungarn zurück; andere suchten in den USA eine neue Heimat. Am 1. Mai 1938 lebten nur noch 10 jüdische Bürger in Nußloch. Am 10. November 1938 wurde Siegfried Mayer verhaftet und bis Weihnachten im KZ Dachau festgehalten. Die baufällige Synagoge war schon vor 1938 verkauft worden und blieb deshalb in der Kristallnacht unversehrt. An ihrer Stelle befindet sich heute ein Wohnhaus. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 4 jüdischen Einwohner nach Gurs deportiert. 2 von ihnen sind verschollen und 2 mit Sicherheit in Auschwitz ermordet worden. Von denen, die nach 1933 umgezogen waren, verloren weitere 2 in der Verfolgung das Leben. Rudolf Weiß wurde im Sommer 1944 in Budapest verhaftet und in einem Vernichtungslager in Polen umgebracht. Seine Ehefrau kehrte mit ihren beiden Töchtern 1945 aus Ungarn nach Nußloch zurück; 1949 wanderten sie nach Israel aus.

1351 wurde Leimen von seiner Grundherrschaft, den Herren von Bolanden, an die Pfalz verkauft und verblieb bei ihr bis zum Anfall an Baden 1803.

Juden kamen um 1700 in den Ort. Sie wohnten zunächst in der Judengasse, der späteren Hessergasse. Als sie zu Reichtum und Ansehen gelangten, erwarben sie auch in anderen Straßen Häuser, vor allem am Marktplatz. Dort befand sich auch die Synagoge mit der Wohnung des Judenlehrers. Bereits 1726 wird als solcher ein gewisser Löw genannt. Einer der ersten Ansiedler war Seligmann Aron, der einen Kram- und Trödelladen betrieb und sich nebenbei als Metzger betätigte. Er legte den Grund für den beispiellosen Aufstieg seiner Nachkommen. Sein Sohn Aron Elias Seligmann (1727-74) wurde 1746 Obereinnehmer der pfälzischen Landjudenschaft. Lange Jahre hielt er Rabbiner in seinem Hause, bis 1768 den aus Mergentheim stammenden späteren Mannheimer Oberrabbiner Hirsch Moses Katzenellenbogen, 1769 Moses Sontheimer und 1773 Moses Fürther. Auch der bedeutende Talmudgelehrte Naftali Hirsch lebte lange bei ihm. Als er starb, hinterließ er ein Legat von 30.000 Gulden, von dessen Zinsen notleidende Juden unterstützt und die Gemeindebedürfnisse bestritten werden sollten. Mit seinem Bruder Elias Seligmann wurde er württembergischer Hoffaktor. Beide übernahmen 1759 die Salzversorgung von Württemberg und erwarben ein beträchtliches Vermögen durch ihre Transaktionen. Aron Elias Seligmann (1747-1824), der Sohn des Elias, ist der bedeutendste Vertreter der Familie. 1779 erhielt er die Genehmigung zur Errichtung einer kurfürstlich privilegierten Tabakfabrik in Leimen, die um 1800 bis zu 100 Arbeiter beschäftigte und 4.000 bis 5.000 Zentner Tabak jährlich verarbeitete. Als Hoffaktor besaß er 1786 das Salzmonopol für die Kurpfalz. 1795 erbaute er sich in Leimen ein klassizistisches Palais, das heute noch als Rathaus dient. 1799 erhielt er das Bürgerrecht in Leimen, eine für die damalige Zeit aufsehenerregende Geste. Als die Großherzöge von Baden die Privilegien der Familie nicht erneuerten, verkaufte er die Tabakfabrik und seine acht Häuser und siedelte nach München über. Dort wurde er Hofbankier. Insgesamt hat er der Pfalz und Bayern 14,2 Millionen Gulden an Anleihen gewährt. Für seine Verdienste wurde er 1814 als Freiherr von Eichthal in den erblichen bayerischen Adelsstand erhoben und konvertierte 1819 zum Katholizismus. Für die badische Geschichte ist sein Sohn David von Bedeutung; er wirkte durch seine Fabriken in Grötzingen und St. Blasien an der Industrialisierung des Landes mit. Die Familie blüht heute noch in mehreren Linien.

1727 wohnten 36 Juden in Leimen, 1770 74, 1780 82. Zu dieser Zeit der größten Blüte der Gemeinde fand 1776 eine Gesamtversammlung der pfälzischen Landjudenschaft in Leimen statt. Durch die Abwanderung in das aufblühende Mannheim und durch die Übersiedlung der Seligmann nach München ging die Zahl der Juden ständig zurück. 1748 waren es 54, 1825 36, 1875 13, 1900 4 und 1925 6. Die jüdische Gemeinde wurde 1827 dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugewiesen. Als kein regelmäßiger Gottesdienst mehr gewährleistet war, wurde sie am 20. März 1905 aufgelöst, die wenigen verbliebenen Juden wurden der Nachbargemeinde Nußloch eingegliedert. Die Synagoge wurde im gleichen Jahr für 8.000 Mark an die politische Gemeinde verkauft und abgerissen, um Raum für einen Platz für Veranstaltungen zu erhalten.

1933 wohnten noch 5 Juden in Leimen. 3 weitere zogen bis 1940 zu. Von diesen wanderten 3 in die USA, 1 nach England aus. 4 Juden, darunter der ehemalige Besitzer der Bergbrauerei Leimen Hugo Mayer mit seiner Frau, wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Hugo Mayer starb 1942 im Lager Noe. Seine Witwe wurde 1944 nach Auschwitz gebracht. Die anderen beiden sind verschollen und wurden für tot erklärt.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Gehrig, Karl, Ein Streifzug durch die Geschichte Nußlochs, 1925. 
  • Menzer, Georg-Ludwig, Beiträge zur Orcsgeschidite von Leimen, 1949. 
  • Schnee, Heinrich, Die Hoffinanz und der moderne Staat 4, 1963.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Nußloch, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Nußloch

  • Günther, Karl, Manis aus Nussloch. Zur Geschichte der Juden in der Kurpfalz, in: Heidelberger Apokryphen (1990), S. 72-86.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Heimatbuch Nussloch, 1966, S. 103.
  • Löwenstein, Leopold, Geschichte der Juden in der Kurpfalz. Beiträge zur Geschichte der Juden in Deutschland, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1895, S. 162.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 415-416.

Leimen

  • Löwenstein, Leopold, Geschichte der Juden in der Kurpfalz. Beiträge zur Geschichte der Juden in Deutschland, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1895, S. 162.
  • Menzer, Georg-Ludwig, Beiträge zur Ortsgeschichte von Leimen, 1949.
  • Reber, Susanne, Familie von Eichthal. Die bayerischen Verwandten des Dirigenten Hermann Levi (1839-1900), 2021.
  • Reber, Susanne, Portraits jüdischer Persönlichkeiten. Gesichter unseres Landes: Aron Elias Seligmann.
  • Schnee, Heinrich, Die Familie Seligmann-Eichthal als Hoffinanziers an den süddeutschen Fürstenhöfen, in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte 25 (1962), S. 163-201.
  • Weber, Annette, Das Palais Seligmann in Leimen - oder wie man das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet, in: Jüdisches Leben in Baden 1809 bis 2009. 200 Jahre Oberrat der Israeliten Badens. Ostfildern 2009, S. 57-63.
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