Randegg mit Geisingen, Hilzingen, St. Georgen und Villingen

Die Synagoge in Randegg, während oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1437]
Die Synagoge in Randegg, während oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1437]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die zum Ritterkanton Hegau zählende Herrschaft Randegg mit dem gleichnamigen Dorf kam 1609 an Konrad Vintler von Pläts, dann an die Familie Speth von Zwiefalten. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gehörte sie der freiherrlichen Familie von Reinach und später bis zum Ende des alten Reiches einem Zweig der Freiherren von Deuring. 1806 wurde Randegg württembergisch und kam 1810 im Tausch an Baden.

Wohl um die gleiche Zeit und unter den gleichen Bedingungen wie in dem damals ebenfalls der Familie von Reinach gehörenden Gailingen siedelten sich um 1656 in Randegg die ersten Juden an; wie dort kamen sie vermutlich aus Vorarlberg. Im gesamten Gebiet der Landgrafschaft Nellenburg wurde ihnen der freie Handel gestattet, der jedoch 1782 infolge des allgemeinen, bald wieder durchlöcherten Verbots des Hausierhandels eingeschränkt wurde. 1696 lebten in Randegg bereits 6 jüdische Familien; 1743 wuchs ihre Zahl durch Zuzug von aus Stühlingen vertriebenen Juden auf 13, bis 1779 auf 17 und bis 1806 auf 39 Familien an. Bis 1849 erhöhte sich die Zahl der Juden, die 1825 289 betragen hatte (40,5 Prozent von 713 Einwohnern), auf über 300, sank jedoch bis 1875 auf 225, bis 1900 auf 179 und bis 1925 auf 79. Entsprechend dem hohen Prozentsatz des jüdischen Bevölkerungsanteils gab es in Randegg seit 1870 dauernd ein oder zwei jüdische Gemeinderäte.

Die Randegger Juden lebten größtenteils vom Viehhandel und betrieben nebenbei Landwirtschaft. 1845 kaufte der Jude Weil von Randegg die Worblinger Grundherrschaft, veräußerte aber einen großen Teil der Liegenschaften wieder. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde eine jüdische Volksschule errichtet, die bis 1876 bestand; 1845 wurde an der Stelle des alten baufälligen Schulhauses ein heute noch bestehender Neubau errichtet. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in Randegg mehrere wohltätige und gemeinnützige Stiftungen. Zusammen mit anderen jüdischen Gemeinden wandte sich diejenige von Randegg 1863 nachdrücklich gegen die Benachteiligung badischer Juden in einem Staatsvertrag zwischen Baden und der Schweiz.

Lange Zeit hatte Randegg, auch schon vor 1800, eigene Ortsrabbiner. Unter ihnen ist als eine der markantesten Rabbinerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts in Baden Leopold Schott zu erwähnen, der 1848 als einer der entschiedensten und fortschrittlichsten Reformer in die Religionskonferenz des Oberrats berufen wurde und sich 1852 bei dem Streit um die Einführung der Orgel in den israelitischen Gottesdienst für diese Neuerung aussprach. Nachdem 1925 der Amtssitz des Bezirksrabbinats Gailingen, zu dem Randegg gehörte, nach dem liberaleren Konstanz verlegt worden war, erhielten die orthodoxen Gemeinden Randegg und Gailingen auf ihr Drängen 1929 einen eigenen Ortsrabbiner mit dem Sitz in Gailingen.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlangte der aus Hohenems gebürtige damalige Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Michael Levi (Neumann), eine bedeutende Stellung. Vor allem wegen seiner Verdienste um die Verproviantierung der österreichischen Armee während der Koalitionskriege wurde er von Kaiser Franz II. 1796 zum kaiserlichen Hoffaktor ernannt. Anfang des 19. Jahrhunderts erwarb er die Herrschaft Randegg mit allen Rechten und Besitzungen. Der aus Bischheim im Elsass stammende Randegger Jude Isidor Lehmann zog 1812 als Heereslieferant mit der großen Armee nach Russland.

Bereits 1758 ist in Randegg eine jüdische Schule erwähnt, deren Gebäude 1807 an den Handelsmann Simon Weil verkauft wurde. Es dürfte sich dabei um die älteste Synagoge handeln. Um 1800 errichtete man einen Neubau, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg umfassend renoviert wurde. Der Randegger Friedhof dürfte bis in das 17. Jahrhundert zurückgehen. Im Ersten Weltkrieg sind aus Randegg 8 Juden für ihr Vaterland gefallen.

1933 lebten in Randegg 62 Juden in sehr unterschiedlicher wirtschaftlicher und sozialer Stellung. An jüdischen Ladengeschäften gab es nur noch ein Kleidergeschäft und ein Manufakturwarengeschäft. Der sehr wohlhabende und allgemein beliebte Salomon Bloch, der mit seinem Bruder Abraham zusammen Inhaber der Pferdehandlung A. & S. Bloch oHG war, konnte sich durchaus nicht vorstellen, dass den Juden, die niemand etwas zuleid getan hätten, irgend etwas geschehen könne. Er versuchte sogar - natürlich vergeblich - Mitglied der NSDAP zu werden. Mehrfach wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass es besser wäre auszuwandern, aber er fühlte sich so sehr als Deutscher und mit seiner Heimat verwurzelt, dass er sich dazu nicht einmal entschließen konnte, nachdem er 1938 sein Geschäft hatte veräußern müssen. Erst im Konzentrationslager Gurs begann er seine Auswanderung zu betreiben. Im Mai 1944 geriet er in Marseille abermals in die Hand der Gestapo, die ihn und seine Ehefrau nach Auschwitz in den Tod schickten. Außer diesen beiden gab es noch weitere vier Vieh- und Pferdehändler. Hermann und Leopold Rothschild waren als Makler tätig. Fünf Juden waren Reisevertreter verschiedener Firmen. Der Handelsmann Salomon Guggenheim (1866 - 1933) galt als sehr reich. Er hat viel für Arme gespendet. Vor 1933 war Dr. Rothschild praktischer Arzt in Randegg, dessen einziger Sohn im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger gefallen war. Vor 1900 gab es in Randegg eine Mazzoth-Bäckerei. In der Dorfmetzgerei wurde für die Juden koscher geschlachtet. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933 gingen die Geschäfte der Juden immer mehr zurück und kamen bis 1938 ganz zum Erliegen.

Gelegentlich wurden bei Nacht jüdische Einwohner verprügelt, wenn sie sich allein auf die Straße wagten. Die Täter waren angeblich Männer vom Zollgrenzschutz. Die Bevölkerung verhielt sich aus Angst vorsichtig und wagte nur noch im Gehei­men Umgang mit den Juden.

Über die Hälfte der Randegger Juden brachte sich bis 1940 im Ausland in Sicherheit; in Randegg starben nach 1933 noch 5 Juden. Am 22. Oktober 1940 wurden 17 Juden nach Gurs deportiert. Dort erlagen Siegfried Guggenheim und Adele Rothschild sehr bald den Strapazen. Leopold Rothschild wurde aus dem Lager entlassen. Mindestens 12 Personen fanden in Auschwitz den Tod. Dr. Nothmann, der bis 1933 Studienrat in Oberschlesien gewesen war und sich dann mit seiner Familie in Randegg niedergelassen hatte, war am Deportationstag nicht zu Hause. Er konnte noch von Randegg nach Palästina auswandern, während seine nach Gurs verschleppte Ehefrau 1942 in Auschwitz ermordet wurde.

Die 87jährige Dolsine Weil wurde 1942 von Gailingen nach Theresienstadt deportiert, wo sie kurz nach ihrer Ankunft starb. Ihr Schicksal teilte Rosa Biedermann. Johanna Guggenheim wurde 1942 in Belgien verhaftet und nach Auschwitz in den Tod geschickt.

Die Randegger Synagoge wurde nach der Einäscherung in der Kristallnacht im November 1938 auf Kosten der Gemeinde abgerissen. An die ehemalige Judengemeinde erinnert nur noch der Friedhof an der Grenze im Gewann Flözler.

Im fürstenbergischen Geisingen befanden sich 1518 einige Juden. Wegen eines angeblichen Ritualmordes an einem Christenkind wurden sie vertrieben. Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sich einige Juden in der Stadt nieder. 1875 waren es 13 Seelen, 1925 nur noch 3. Sie waren der jüdischen Gemeinde Randegg angeschlossen. Der letzte 1933 anwesende Jude wurde 1940 nach Gurs deportiert. Dort verliert sich seine Spur.

Auch Hilzingen wird 1933 zu den Filialen von Randegg gerechnet. Ein jüdisches Ehepaar wurde von hier aus 1940 nach Gurs deportiert. Dort starb nach wenigen Wochen der Land- und Gastwirt Leopold Friedmann. Seine Frau überlebte die Verschleppung und kehrte 1946 zu ihrer Tochter nach Hilzingen zurück. Diese war mit einem „Arier" verheiratet, wurde noch im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert und dort befreit.

In St. Georgen versuchten erstmals 1893 jüdische Kaufleute Fuß zu fassen, allerdings ohne bleibenden Erfolg. 1900 wie auch 1925 zählte man 3 Juden in der Stadt. Bis 1933 waren sie abgewandert.

Im Jahre 1324 gestattete Ludwig der Bayer den Grafen von Fürstenberg „die Nutzung" seiner Juden in Villingen. Im Winkel zwischen Münsterplatz und Kronengasse besaßen sie bereits eine Synagoge. In den Verfolgungen der Pestzeit 1348/49 wurde die jüdische Gemeinde vernichtet. Erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts sind danach wieder Juden in Villingen ansässig. So wird 1420 Löb aus Villingen in Eppingen in den Schutz aufgenommen. 1498 wurden die Beziehungen der fünf Villinger Judenfamilien zur christlichen Bürgerschaft in einem Satzbrief geregelt. 1504 wurden auf Grund einer Blutbeschuldigung alle jüdischen Männer in den Turm geworfen. Sie mussten freigelassen werden, weil sich die Haltlosigkeit der Vorwürfe bald herausstellte. 1510 hatten schließlich alle Juden die Stadt zu verlassen. Geschäfte durften sie in Zukunft in der Stadt nur noch in Begleitung eines Stadtknechtes erledigen.

Erst nach der Gleichstellung der Juden 1862 durften sie sich wieder in Villingen niederlassen. 1875 waren es 20, 1895 bereits 37. Sie wurden im gleichen Jahre Randegg als Filialgemeinde angegliedert. 1900 zählte die Gemeinde 62, 1925 51 und 1933 60 Juden. Sie waren vor allem aus Gailingen, Randegg und Schmieheim zugezogen. Die Gemeinde richtete sich in der Gerberstraße einen Betsaal ein. Sonst gab es keine jüdischen Institutionen oder Organisationen. Zwischen 1933 und 1945 waren weitere 15 Juden längere Zeit in Villingen polizeilich gemeldet.
1933 betrieben die Villinger Juden ein Kaufhaus, zwei Textilgeschäfte, ein Konfektionsgeschäft und drei Viehhandlungen. Der Rechtsanwalt Bernhard Schloss war lange Jahre Stadtverordneter, Kaufmann Lion Vorstand des Kriegervereins. Schon 1933 kam es zu ersten Ausschreitungen gegen die Juden, die von Nationalsozialisten begangen wurden. Die christliche Bevölkerung war mit der Judenpolitik des Dritten Reiches nicht einverstanden, aber allmählich ging ihr Verkehr mit den Juden unter dem Druck der Partei zurück. 1938 verließen 6 Juden mit tschechischer Staatsangehörigkeit die Stadt. In der Kristallnacht wurde der Betsaal zerstört, Hugo Schwarz dabei tätlich angegriffen. 4 Männer mussten anschließend den Weg nach Dachau ins KZ antreten und blieben wochenlang dort interniert.

Von den 75 Juden, die zwischen 1938 und 1945 längere Zeit in Villingen beheimatet waren, starben 6 am Ort, 1 in Frankfurt, 1 in Stuttgart. Insgesamt 42 wanderten aus. Von ihnen wurden 5 später in Frankreich von der Gestapo gefasst. Von der Familie Louis Bikart überlebte nur der Sohn Sigmund den Aufenthalt in Auschwitz, Groß-Rosen und Buchenwald. Seine Eltern und Geschwister fanden in Auschwitz den Tod. Lina Zaitschek wurde aus Brünn 1942 nach Theresienstadt gebracht, wo sie bald darauf verstarb.

Nach Gurs wurden 11 Juden deportiert. Von ihnen starben 5 in Auschwitz, 2 in Gurs, 1 in Lublin-Maidanek. 2 sind verschollen, 1 überlebte in Frankreich. Von den 10 jüdischen Bürgern, die in andere Städte verzogen waren, starben 2 in Riga und Maly Trostinec; eine Jüdin überlebte die Lageraufenthalte in Riga/Jungfernhof, Stutthof/Danzig und Lokowna/Polen. 2 Villinger kamen nach Kriegsende aus Theresienstadt zurück, wohin man sie 1944 verschleppt hatte. Das Schicksal der letzten beiden Juden ist ungeklärt.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Bloch, Aus der Geschichte der ehemaligen Gemeinde Randegg, in: Mitt.-Blatt des Oberrats 11, 1959, Nr. 8.
  • Denzel, Otto, Die Juden in Randegg (masch.).

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Randegg, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Randegg

  • Fidler, Helmut, Jüdisches Leben am Bodensee, Frauenfeld/Stuttgart/Wien 2011.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Moos, Samuel (Semi), Geschichte der Juden im Hegaudorf Randegg, 1986.
  • Wolter, Markus, Radolfzell im Nationalsozialismus. Die Heinrich-Koeppen-Kaserne als Standort der Waffen-SS, in: Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, Bd. 129, Ostfildern 2011.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 488-490.

Villingen

  • Faustein, Andreas/Fuchs, Stefanie/Holzmann, Sebastian/Simmerer, Simone/Schenkel, Bernd, Juden in Villingen im 14. und 15 Jahrhundert, (Blätter zur Geschichte der Stadt Villingen-Schwenningen 2) 1997.
  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 854-855.
  • Germania Judaica Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1536-1540.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Inventar über die Bestände des Stadtarchivs Villingen. 1-2, bearb. H.J. Wollasch, 1971-1972.
  • Engel, Kathrin/Hauser, Katja/Kzimann, Tatjana, Judenschicksale in Villingen. Zum Gedenken an die ehemaligen jüdischen Mitbürger der Stadt Villingen, (Blätter zur Geschichte der Stadt Villingen-Schwenningen 1), 1994.
  • Lörcher, Heinz, Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden in Villingen nach 1862, in: Villingen im Wandel der Zeit - Geschichts- und Heimatverein Villingen Jahrgang XXXVI (2013).
  • Projektdokumentation des ökumenischen Mahnmalprojekts „Mahnmal für die deportieren Jüdinnen und Juden Badens“ - Projektgruppe Villingen. Eine Projektarbeit von Alexandra Eberhard, Julia Ganter, Tim Hauser, Jonas Mauch, Johannes Staudt, Lea Sturm, Michaela Schwert und Fabian Weil, 2010.
  • Roder, Christian, Die Juden in Villingen, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen 5 (1885), S. 96-107.
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