Schriesheim mit Dossenheim

Bereich um den Standort der ehemaligen Synagoge in der Lutherischen Kirchgasse auf der Badischen Gemarkungskarte (1895). Ab Mitte des 19. Jh. nutzte die jüdische Gemeinde die ehemalige lutherische Kirche als Gotteshaus. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude beschädigt und nach Umbau bis in die 1960er Jahre als Neuapostolische Kirche genutzt. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 1702]
Bereich um den Standort der ehemaligen Synagoge in der Lutherischen Kirchgasse auf der Badischen Gemarkungskarte (1895). Ab Mitte des 19. Jh. nutzte die jüdische Gemeinde die ehemalige lutherische Kirche als Gotteshaus. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude beschädigt und nach Umbau bis in die 1960er Jahre als Neuapostolische Kirche genutzt. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 1702]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Als Lehen des Klosters Ellwangen fiel Schriesheim nach dem Aussterben der bisherigen Lehnsinhaber, der Edelfreien von Strahlenberg, 1407 an die Pfalz. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde Schriesheim Sitz eines Centgerichts. 1803 kam der Marktflecken an Baden.

Auch in Schriesheim führte die Verfolgung von 1348/49 zur Vertreibung der Juden. Das allgemeine Niederlassungsverbot Kurfürst Ruprechts II. von 1391 wurde nach dem Übergang des Ortes an Otto von Pfalz-Mosbach 1410 etwas gelockert, so dass sich wieder zwei jüdische Familien ansiedeln konnten. Sie werden 1463 zum letzten Male erwähnt. Erst 1651 und 1653 ließen sich wiederum zwei Juden in Schriesheim nieder, deren Nachkommen bis in die jüngste Zeit den Stamm der jüdischen Gemeinde bildeten. 1693 zählte man 34 Juden; allerdings befanden sich unter ihnen zahlreiche Flüchtlinge aus zerstörten Orten der Pfalz. 1698 waren es 4, 1722 6, 1743 5 jüdische Familien, 1770 7. Die Juden hatten keinen Anteil am Bürgernutzen und entrichteten für die Teilnahme an „Wasser und Weide" eine jährliche Abgabe. 1809 hatte Schriesheim 65, 1830 bereits 104 jüdische Einwohner. Die Höchstzahl war etwa 1865 mit 132 erreicht. Seitdem begann ein starker Rückgang, so dass 1900 nur noch 41, 1925 40 und 1933 38 Juden vorhanden waren.

1807 richtete man im Oberstock des Marx'schen Hauses an der Gäulsbrücke, Talstraße 19/21, eine Schule und Synagoge ein; einen eigenen jüdischen Schulmeister gab es seit 1770. 1842/43 erfolgte der Bau einer neuen Synagoge. Simon Oppenheimer trat der israelitischen Gemeinde den östlichen Teil der vor einiger Zeit von ihm erworbenen ehemaligen lutherischen Kirche dazu ab. 1858 errichtete man an der Stelle des inzwischen vollständig erworbenen Hauses an der Gäulsbrücke ein neues Gemeindehaus, das im Erdgeschoss das rituelle Frauenbad, im Obergeschoss Schulraum und Lehrerwohnung aufnahm. Es wurde 1897 veräußert, da im Bereich der Synagoge das evangelische Pfarrhaus erworben werden konnte. 1874 wurde der jüdische Friedhof in der Plöck angelegt. Bis dahin hatte hatte man die Toten auf dem Verbandsfriedhof in Hemsbach beigesetzt. Seit 1872 gehörte die jüdische Gemeinde zum Rabbinatsbezirk Ladenburg. 1850 wurde ein Kranken- und Armenunterstützungsverein gegründet.

Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden an der Stelle des heutigen Rathauses und in der Herrengasse besondere Judenwirtschaften, zu denen während der Märkte - die Juden stellten den größten Teil der Händler - noch eine weitere in der Schulgasse trat.

Kurz vor 1933 wurden auf dem jüdischen Friedhof von Nationalsozialisten einzelne Grabsteine umgeworfen. Noch wurden solche Taten bestraft. Als Hitler die Macht ergriff, gab es in Schriesheim ein Textilwarengeschäft, zwei Fellhandlungen und zwei Getreidehandlungen, die von Juden betrieben wurden. Außerdem gab es zwei jüdische Viehhandlungen. Obwohl es zu keinen weiteren Übergriffen gegen die Juden kam, wanderten bis 1938 bis auf einen einzigen alle jüdischen Bürger aus Schriesheim ab. Dieser musste die Schändung der Synagoge in der Kristallnacht erleben. Bücher, Akten, Teppiche und andere Gegenstände wurden von Hitlerjungen mit Handwagen zum Rathausplatz gebracht und dort verbrannt. Auch die Religionsschule wurde heimgesucht.

Von den 41 Juden, die im Januar 1933 in Schriesheim wohnten, starben 2 in der Heimat. 34 wanderten aus, davon 25 nach den USA. Der Bäcker Alfons Schlösser und seine Eltern wurden 1943 in Holland verhaftet und über das KZ Westerbork nach Auschwitz deportiert. Von den fünf innerhalb Deutschlands verzogenen Schriesheimer Juden starb einer 1937, ein anderer wanderte nach den USA aus. Dorthin gelangte ein weiteres Ehepaar, das am 22. Oktober 1940 von Mannheim aus nach Gurs deportiert worden war.

Die unzerstörte Synagoge an der Kirchstraße, die nach dem Krieg völlig umgebaut wurde, dient heute der neuapostolischen Gemeinde als Gotteshaus. Der vor dem christlichen Friedhof liegende jüdische Friedhof wird von der Stadtverwaltung gepflegt.

Im ehemaligen pfälzischen Dossenheim hielten sich 1722 zwei, 1743 drei Judenfamilien auf. Nach dem Anfall an Baden 1806 bildete sich eine kleine Gemeinde, die 1827 kurzfristig dem Rabbinatsbezirk Heidelberg, später Ladenburg zugewiesen wurde. 1875 lebten 20 Juden in Dossenheim, dann ging ihre Zahl ständig zurück. Schon vor der Jahrhundertwende verlor die Gemeinde ihre Selbständigkeit und wurde Filiale von Schriesheim.

1933 wohnten 6 Juden in Dossenheim. Das Ehepaar Klara und Siegmund Oppenheimer wurde von Heidelberg aus nach Gurs deportiert und ist später in Auschwitz umgekommen, während ihrem Sohn die Auswanderung nach Amerika gelang. Siegmunds Schwester Rosa überlebte die Deportation und wanderte nach Palästina aus, wohin ihr Sohn schon 1938 gelangt war. Eine Dossenheimerin wurde noch vom letzten Transport nach Theresienstadt 1945 erfasst und kehrte von dort nach Kriegsende in ihre Heimatstadt zurück.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Brunn, Hermann, 1200 Jahre Schriesheim, 1964.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Schriesheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Schriesheim

  • Brunn, Hermann, 1200 Jahre Schriesheim, 1979.
  • Germania Judaica Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1331.
  • Huth, Hans, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Mannheim, in: Die Kunstdenkmäler Badens X,3 (1967), S. 335 und S. 344.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Maier, Joachim, Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung und „Euthanasie“ aus Schriesheim. Ein Gedenkbuch, hg. von der Stadt Schriesheim, Basel 2019.
  • Maier, Joachim/Stärker-Weineck, Monika, Spuren jüdischen Lebens. Dokumentation der Ausstellung aus Anlass des Besuchs der jüdischen Schriesheimer, in: Schriesheimer Jahrbuch 7 (2003), S. 32-95.
  • Maier, Joachim, Wie Siddur, Talit und Tefillin nach Schriesheim zurückkehrten, in: Schriesheimer Jahrbuch (2006), S. 34-49.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 509-511.

Dossenheim

  • Conzelmann, R., Dossenheim. Die Geschichte einer 1200jährigen Bergstraßengemeinde. 1966.
  • Dossenheim. Eine traditionsreiche Bergstraßengemeinde im Wandel ihrer Geschichte, hg. von Heimatverein Dossenheim 1984, S. 59.
  • Projekt „Mahnmal“ des Jugendgemeinderates Dossenheim - Eine Dokumentation, 2007.
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