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Reuchlins "Augenspiegel"

 Reuchlins Augenspiegel (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK)
Reuchlin, Johannes 1455-1522: Augenspiegel [Quelle: Anshelm, Thomas; Center for Jewish History, NYC]

Johannes Reuchlin wurde 1455 in Pforzheim geboren. Seine Studienjahre verbrachte er in Deutschland, Frankreich und Italien. Spätere Reisen brachten ihn mit bedeutenden italienischen Humanisten zusammen sowie dem kaiserlichen Leibarzt Jacob ben Jechiel Loans, der ihn in Hebräisch unterrichtete. All dies trug zu einer Geisteshaltung bei, die sich an Kenntnissen und nicht an Meinungen zu orientieren versuchte. In Württemberg wirkte Reuchlin als Berater von Eberhard im Bart, der auch die Universität Tübingen gegründet hatte, später als Richter des Schwäbischen Bundes.

Seine letzten Lebensjahre prägte eine Hetzkampagne gegen jüdische Schriften, in denen Reuchlin klar Stellung bezog: "Verbrennt nicht, was ihr nicht kennt!" Seine berühmte Abhandlung „Augenspiegel“ gilt als offizielle Verteidigungsschrift für die Religions-Bücher der jüdischen Bevölkerung. Ursprünglich war die Abhandlung ein auf Geheiß von Kaiser Maximilian I. vom Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen angefordertes Gutachten mit dem Titel Ratschlag ob man den Juden alle ire bücher nemmen, abthun und verbrennen soll angelegt. Reuchlin nahm mit diesem Gutachten Bezug auf eine Kontroverse, die von Johannes Pfefferkorn, einem zum Christentum konvertiertem Juden und bereitwilligem Kollaborateur des Kölner Dominikanerordens, angestoßen wurde. Pfefferkorn verfasste anti-jüdische Schriften und bedrängte den Kaiser, sämtliche jüdischen Bücher beschlagnahmen und verbrennen zu lassen, mit der Begründung, sie seien grundsätzlich gegen das Christentum gerichtet.

Vehement tratt Reuchlin für das Recht der Juden auf ihre Bücher ein. Ebenso vehement wendet er sich gegen die Vertreibung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger im Reich. Dennoch tragen die Juden nach seiner Ansicht – und hier ist auch Reuchlin ganz Kind seiner Zeit – Schuld an der Kreuzigung Jesu. Mit seinen Schriften hofft er, die Juden zum rechten Glauben zu bekehren, will ihnen aber ihre eigenen Bücher und Schriften nicht nehmen. Pfefferkorn, der von Reuchlins Standpunkt erfahren hatte, veröffentlichte verschiedene Pamphlete, darunter eines mit dem Titel "Handspiegel", in denen er Reuchlins Integrität in Zweifel zog. Reuchlin reagierte mit der Publikation „Doctor Johannsen Reuchlins […] warhafftige entschuldigung gegen und wider ains getaufften iuden genant Pfefferkorn vormals getruckt ußgangen unwarhaftigs Schmachbüchlin Augenspiegel“.

Obwohl in dem Buch keine Angaben zum Drucker und Erscheinungsort zu finden sind, kann es aufgrund der Drucktypen eindeutig der Tübinger Offizin von Thomas Anshelm zugeordnet werden, der dort das Werk im Jahr 1511 gedruckt hat.

Der Augenspiegel gliedert sich in vier Teile, in denen Reuchlin zunächst die Gegebenheiten, die zu seiner Stellungsnahme führten, schildert. Es folgt der vollständige Text seines Gutachtens. In lateinischer Sprache verteidigt sich Reuchlin im dritten Abschnitt gegen etwaige Gegenstimmen und Bedenken. Im vierten Abschnitt, der wieder in deutscher Sprache abgefasst und stark polemisch geprägt ist, spricht er direkt die im „Handtspiegel“ erhobenen Anschuldigungen an.

Seine Argumentation war erfolgreich: Die Bücher wurden den jüdischen Gemeinden zurückgegeben, von denen sie beschlagnahmt worden waren. Reuchlin selbst aber wurde von den Dominikanern von einem Prozess zum nächsten gejagt und der Augenspiegel schließlich von Papst Leo X. verboten.

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