Ettlingen

Die alte Synagoge in Ettlingen, vor 1888. Das Gebäude wurde wenig später abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 455]
Die alte Synagoge in Ettlingen, vor 1888. Das Gebäude wurde wenig später abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 455]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Ettlingen gelangte 1219 als königliches Lehen an die Markgrafen von Baden. Bei der Landesteilung 1535 kam es an die baden-badische Linie. 1727 bis 1753 war Ettlingen Witwensitz der Markgräfin Sybilla Augusta, der Gemahlin des Türken-Louis. Seit 1771 gehörte es zur wiedervereinigten Markgrafschaft Baden.

Die mittelalterliche Judenniederlassung in Ettlingen wurde in der Verfolgung von 1349 vernichtet. 1526 nahm Markgraf Christoph I. (1475-1527) den Juden Jakob Lemlein und seine beiden Söhne auf acht Jahre in den Schutz nach Ettlingen auf. Markgraf Philipp II. (1571-1588) änderte 1584 seine bis dahin tolerante Haltung und vertrieb die Juden seines Landes. Nur für Silberkauf, Geldwechsel und Pferdehandel ließ er die beiden reichsten Familien in Ettlingen und Rastatt wohnen gegen Zahlung von 500 Gulden Schutzgeld. 1593 nahm Eduard Fortunat (1588-1594), der dadurch seine Schuldenlast zu verringern hoffte, mehrere Juden auf zehn Jahre in den Schutz auf, darunter einen in Ettlingen. Unter baden-durlachischer Verwaltung (1594-1622) erfolgten weitere Schutzaufnahmen. 1605 wohnten vier Judenfamilien in Ettlingen. Jeder Jude hatte damals zur Hirschjagd einen Klepper zu stellen. 1606 wurden die beiden Juden Hirsch und Lazarus zu Ettlingen von Markgraf Georg Friedrich mit seinem Hofschmied ins Württembergische geschickt, um für den Marstall Pferde zu kaufen. 1613 hatten die Ettlinger Juden insgesamt drei Pferde mit Sattel und Zeug in die Residenz Durlach zu bringen. 1609 waren neue Schutzbriefe ausgestellt worden. Die meisten Juden im Lande waren jedoch so arm, dass sie das Schutzgeld nicht zahlen konnten. Über die Ettlinger Juden berichtet 1611 der Amtmann, der eine sei so arm, dass er schon zweimal seinen Tribut nicht habe aufbringen können. Ein anderer namens Schmoll floh im gleichen Jahre seiner vielen Schulden halber aus dem Land. Weil man an diesen armen „Wucherjuden" nichts verdienen konnte, verfügte Markgraf Georg Friedrich im Jahre 1614 ihre Ausweisung aus beiden Markgrafschaften. Nach dem Dreißigjährigen Krieg kamen allmählich wieder Juden ins Land. 1673 übertrug der markgräfliche Kammerdirektor Eschbach dem Juden Isaak von Ettlingen sowie zwei anderen Juden in Bühl und Durlach den Eisenhandel in der Markgrafschaft Baden-Baden und im Territorium der Abtei Schwarzach.

1683 wohnten zwei, 1700 fünf und 1721 sechs Judenfamilien in Ettlingen. Der „Baujud" Josef Jakob von Ettlingen war 1717 einer der ersten Juden in Karlsruhe. In der Hauptsache lebten die Ettlinger Juden von Geld- und Viehhandelsgeschäften. So gab es um 1750 z. B. keinen einzigen jüdischen Kramladen in der Stadt. Infolge der dauernden Abwanderungen in das nahe Karlsruhe vermehrte sich die Zahl der jüdischen Einwohner Ettlingens auch im 19. und 20. Jahrhundert nicht sehr: 1801 lebten 19, 1825 33, 1875 42, 1900 70, 1925 62 und 1933 48 Juden in der Stadt.

Die neue Synagoge an der Pforzheimer Straße in Ettlingen, um 1896. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 11]
Die neue Synagoge an der Pforzheimer Straße in Ettlingen, um 1896. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 11]

1819 wurde ein Betsaal eingerichtet. An seine Stelle trat 1849 ein Bethaus. Es war klein und unansehnlich und behinderte den Verkehr. Ein neues Gotteshaus war erforderlich. Die Synagoge an der Pforzheimer Straße wurde am 7. Oktober 1889 eingeweiht. Einen jüdischen Friedhof gab es in Ettlingen nicht. Die Toten wurden in Kuppenheim begraben. 1827 wurde Ettlingen dem Rabbinatsbezirk Karlsruhe zugeteilt; bei dessen Umorganisation 1885 kam die Gemeinde zu Bühl. Ein Frauenverein nahm die Aufgaben der Wohlfahrt wahr.

1878 errichteten Samuel Vogel und Simon Bernheimer, der mit Samuel Schnurmann in Muggensturm eine Lumpensortieranstalt betrieb, in Ettlingen eine Papierfabrik, 1883/86 auf Gemarkung Knielingen am Rhein eine Zellstoffabrik. 1928 wurde die „Karlsruher Papierfabrik AG" gegründet, in die die beiden Betriebe eingebracht wurden. Die Firma nannte sich jetzt „Vogel & Bernheimer Zellstoff- und Papierfabriken AG Ettlingen". Seit 1934 nahm die Firma, die damals etwa 300 Arbeiter und Angestellte beschäftigte, einen größeren Aufschwung. Am 1. April 1938 musste sie „arisiert'' werden. Sie ging als „Ettlingen-Maxau Papier- und Zellstoffwerke AG" in den Besitz eines Konsortiums deutscher Papierfabriken über. An kleineren jüdischen Unternehmen gab es 1933 ein Mehl- und Futtermittelgeschäft, ein Lebensmittelgeschäft, eine Metzgerei, die Gastwirtschaft „Zur Rose", drei Viehhändler und zwei Altwarenhändler. Zwei Juden waren als Ärzte tätig, einer als Amtsgerichtsrat. Dr. Durlacher, Dr. Lingert und Direktor Liebmann waren vor 1933 Mitglieder des Bürgerausschusses. Paul Spielmann wurde 1938 als polnischer Staatsangehöriger nach Polen abgeschoben. Seine Ehefrau folgte mit den Kindern 1939 nach. Seither ist die Familie verschollen. Nur dem Sohn Hermann ist es noch gelungen, nach England auszuwandern.

Am Morgen des 10. November 1938 steckte eine Anzahl Westwallarbeiter unter Führung eines SA-Sturmführers die Synagoge in Brand. Eine Anzahl Juden wurde festgenommen und nach Dachau verbracht, von wo sie nach Wochen zurückkehrten. Helene Bodenheimer erlag bei einer Razzia 1940 einem Herzschlag.

Am 22. Oktober 1940 wurden aus Ettlingen 9 Juden nach Gurs deportiert. Von ihnen starben 4 in Gurs, 1 in Rivesaltes, 2 wurden in Auschwitz ermordet, und nur 2 haben in Frankreich den Krieg überlebt. Noch in den letzten Kriegsmonaten sind zwei jüdische Frauen, die mit „arischen" Männern verheiratet waren, in Ettlingen zugezogen. Die Stadt galt während des Dritten Reiches als Zufluchtsort bei den Juden, denen der damalige Leiter des polizeilichen Meldewesens, Rudolf Stöhrer, als Gegner der Judenverfolgung Unterschlupf bot. Er informierte die jüdischen Mitbürger vor größeren Aktionen der Machthaber.

Auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge steht jetzt ein Wohnhaus mit Ladengeschäft.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Schwarz, Benedikt, Geschichte der Stadt Ettlingen, 1900. 
  • 75 Jahre Ettlingen Maxau Papier- und Zellstoffwerke AG, 1953.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Ettlingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Badische Synagogen, hg. von Franz-Josef Ziwes, 1997, S. 50-51.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Lorch, Wolfgang, Jüdisches Leben in Ettlingen. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Zeit des Nationalsozialismus. Mit Zeitzeugenberichten und einer historischen Einführung, 2010.
  • Rauh, Cornelia, Katholisches Milieu und Kleinstadtgesellschaft. Ettlingen 1918-1939, Sigmaringen 1991.
  • Stenzel, Rüdiger, Ettlingen vom 14.-17. Jahrhundert, Ettlingen 1985 (Geschichte der Stadt Ettlingen) hg. von der Stadt Ettlingen, Band IIb, S. 148-154.
  • Stenzel, Rüdiger, Ettlingen von 1689-1815. Ettlingen o.J. (Geschichte der Stadt Ettlingen), hg. von der Stadt Ettlingen, Band III, S. 379-388.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, 1990, S. 349-353.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 217-222.
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