Lörrach mit Grenzach und Schopfheim

Die Synagoge in Lörrach, um 1927. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge schwer beschädigt und kurz darauf abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1077]
Die Synagoge in Lörrach, um 1927. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge schwer beschädigt und kurz darauf abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1077]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Im Jahr 1503 gelangte Lörrach zusammen mit der Herrschaft Rötteln von den Markgrafen von Hachberg-Sausenberg an die Markgrafen von Baden und gehörte seit der Landesteilung von 1535 der baden-durlachischen Linie. Nach der Zerstörung der Burg Rötteln 1678 wurde das gleichnamige Oberamt nach Lörrach verlegt. Im Zusammenhang damit erfolgte 1682 die Verleihung des Stadtrechts. Nach dem Dreißigjährigen Krieg ließen sich Juden in Lörrach nieder. Bei den Verhandlungen über das Stadtprivileg von 1682 waren sie Gegenstand eingehender Erwägungen; man erkannte zwar ihre Bedeutung für die Hebung des Handels an, wollte sie aber nur als Einwohner, nicht als Bürger gelten lassen. 1685 und 1687 ließ sich je ein Jude aus Schlettstadt bzw. Stollhofen in der Lörracher Kirche taufen. Die Erlangung des vollen Bürgerrechts wird sie zu dieser Konversion bewogen haben. Das Stadtprivileg gewährte freie Religionsausübung und begünstigte den Zuzug von Juden, da Neuzuziehenden das Aufnahmegeld ganz und das jährliche Schutzgeld zum Teil erlassen wurde, wenn sie in Lörrach binnen zwei Jahren ein modellmäßiges Haus bauten. Nathan Ulmann ist einer der ältesten namentlich bekannten Juden der Stadt. 1670 erwarb er von der Gemeinde ein Stück Feld am Schäckelberg (auch Schöckliberg und Schädelberg) als Begräbnisplatz für seinen verstorbenen Sohn. Dieser zunächst private Begräbnisplatz wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts zum einzigen erlaubten Zentralfriedhof der Juden in der Herrschaft Rötteln und wurde von den Juden aus Lörrach, Turnringen, Fischingen und Kirchen belegt. Der Sulzburger Rabbiner Isaak Kahn (1744-1797) entwarf eine Friedhofsordnung, die 1775 in Kraft trat.

1800, 1812, 1864/65 und 1873 fanden Vergrößerungen des Friedhofs statt. Streitigkeiten zwischen der Lörracher und der Kirchener jüdischen Gemeinde wegen der Erweiterungs- und Unterhaltungskosten, die 1878 durch einen Vergleich beigelegt werden konnten, hatten bereits 1865 zur Errichtung eines jüdischen Friedhofs in Kirchen geführt. Auf dem alten Lörracher Judenfriedhof am Schützenwaldweg wurden seit 1865 nur noch Juden aus Lörrach begraben; denn in Tumringen und Fischingen lebten zu dieser Zeit keine mehr. 1891 wurde er geschlossen und ein neuer Judenfriedhof neben dem christlichen an der Brombacherstraße angelegt. Um 1700 lebten im ganzen badischen Oberland keine Juden. In Lörrach wurden 1716 wieder vier jüdische Familien in den Schutz aufgenommen, aber 1727 berichtet das Oberamt, es seien zur Zeit keine Juden in seinem Amtsbereich ansässig. Nach der Ausweisung der Juden aus Solothurn/Schweiz 1736 ließ sich ein Teil der Vertriebenen in Lörrach und Kirchen nieder. 1738 wohnten drei Judenfamilien in der Stadt. 1749 betrug die Zahl der Israeliten 34, 1750 38, 1778 die Zahl der jüdischen Haushaltungen 8. Ende der 1730er Jahre vereinbarten die Juden mit den christlichen Metzgern, dass sie für ihren Hausgebrauch jährlich eine bestimmte Anzahl Vieh selbst schlachten durften. 1756 hatte jeder Jude, der in Lörrach ein Haus besaß, 3 Pfund, und der kein Haus besaß, 1 Pfund 10 Schilling für Wasser und Weide zu bezahlen. In diesem Jahr wurden die Stadtprivilegien erneuert, ohne dass die Juden eigens genannt wurden.

Während des 19. Jahrhunderts vermehrte sich die Zahl der Juden stark, nahm aber dann in den letzten Jahrzehnten und während des 20. Jahrhunderts stetig ab: 1801 97 Juden, 1825 127, 1834 140, 1864 191, 1875 248, 1900 204, 1925 151 und 1933 162. Im Ersten Weltkrieg hatte die israelitische Gemeinde fünf Gefallene zu beklagen.

Seit 1827 gehörte die israelitische Religionsgemeinde Lörrach zum Rabbinatsbezirk Sulzburg. Der Gottesdienst fand zuerst in einem Betsaal statt. Er befand sich im Armenhaus oder Judenspital, das die Gemeinde aus Mitteln der Begräbniskasse 1800 erworben hatte. 1808 wurde eine Synagoge in der Teichstraße im Weinbrennerstil erbaut. 1965 wurde beim Abbruch eines Hauses im Keller auch ein rituelles Frauenbad aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Den karitativen Zwecken der Gemeinde dienten ein Männer-, ein Frauenverein und die Unterstützungskasse für Arme und Wanderer. Die Reinhard'sche und Vogel'sche Stiftung waren für Armenunterstützung und Kultuszwecke errichtet.

Ursprünglich waren die Lörracher Juden vorwiegend mit dem Viehhandel beschäftigt. Seit 1802 durften sie offene Läden führen, wenn sie eine entsprechende Lehrzeit nachweisen konnten. Mit dem Aufblühen der Industrie wurden manche Auslandsvertreter. Die Lage Lörrachs am Berührungspunkt dreier Staaten bot dazu günstige Gelegenheit.

Von den jüdischen Ladengeschäften am Ort seien als wichtigste erwähnt: die Zweigstelle des Freiburger Warenhauses Knopf, die Möbelhandlungen E. Pistiners Namf. und Gebr. Roll, das Herrenkonfektionsgeschäft Adolf Erreich, das Schuhgeschäft Alfred Bodenheimer, die Textilhandlung August Weil, die Eisengroßhandlung Rosenthal & Jacobi, die Eisenhandlung Simon Joseph, die Exportgroßhandlung in Armaturen David Schwab, die Weingroßhandlung und Brennerei Ludwig Kahn sowie die Lebensmittelgroßhandlungen Silas Mayers Söhne und Albert Rosenberger. In den akademischen Berufen waren die Juden vertreten durch einen Arzt, eine Zahnärztin und einen Studienrat. Fritz Vogel, Fabrikdirektor in Lörrach war an der Gewerbe GmbH, deren Gesellschaftskapital eine halbe Million Reichsmark betrug, mit 350.000 Reichsmark beteiligt. Hermann Selinger besaß eine Buchdruckerei. Ferner gab es unter den Juden einen Buchhändler und Antiquar, zwei Herrenschneider, eine Damenschneiderin und einen Schirmflicker.

Nicht nur an der Wirtschaft, sondern auch am politischen und kulturellen Leben der Stadt nahmen die Juden regen Anteil. Dr. Samuel Moses genoss in gleicher Weise als Arzt und Kommunalpolitiker hohes Ansehen. Er gehörte der Demokratischen Partei an und war Stadtverordneter. Zahlreiche Juden waren Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr und örtlicher Vereine.

Die von den Nationalsozialisten betriebene Judenhetze wurde in Lörrach nicht vorbehaltlos hingenommen. Die Lektüre Baseler Zeitungen ermöglichte eine objektive Unterrichtung über die Ereignisse. Trotz wiederholter Aufforderungen zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Boykott der Juden gab es Beispiele ungetrübter Freundschaft zwischen christlichen und jüdischen Lörracher Familien. Innerhalb der israelitischen Gemeinde bildete das 125jährige Jubiläum der Synagoge, das 1934 gefeiert wurde, einen lichten Höhepunkt in jenen schweren Jahren. Die Zionistische Vereinigung wuchs bis September 1936 auf 30 Mitglieder. Die Wiederbesinnung auf das eigene jüdische Erbe war die Reaktion auf die Maßnahmen der Gewalthaber. Ab 1936 begannen in verstärktem Maße die Auswanderung und die Verkäufe jüdischer Firmen und Häuser. Der Judenpogrom am 10. November 1938 bereitete dem jüdischen Geschäftsleben ein vollständiges Ende. Die Synagoge wurde zerstört, die Friedhöfe wurden geschändet und die jüdischen Männer für einige Wochen im KZ Dachau festgehalten. Viele jüdische Kinder besuchten zu dieser Zeit bereits schweizerische Schulen in Basel oder Rieben. Bis 1940 sind etwa zwei Drittel der Lörracher Juden überwiegend nach den USA, der Schweiz, Frankreich und Palästina ausgewandert. Am 22. Oktober 1940 wurden 50 jüdische Bürger nach Gurs deportiert, darunter auch Zugezogene, die versucht hatten, von hier aus in die Schweiz zu entkommen. Das Schicksal vieler dieser Deportierten der „Robert-Wagner-Aktion" ist noch immer ungeklärt, doch dürfte ungefähr die Hälfte in südfranzösischen Konzentrationslagern gestorben oder in den Vernichtungslagern im Osten ermordet worden sein. Von den Juden, die nach 1933 aus Lörrach ausgewandert oder umgezogen waren, haben etwa acht ihr Leben in den Jahren der Verfolgung verloren. 1942 wurden aus Lörrach Sitta Krautmacher und ihre Tochter Ruth nach Izbica/Polen deportiert. Beide sind verschollen. Nur eine in sogenannter Mischehe verheiratete Jüdin blieb bis zum Kriegsende in Lörrach. 1943 zog eine Jüdin aus Dortmund zu.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches kehrten im Spätjahr 1945 aus der Deportation und Emigration drei Juden nach Lörrach heim. Auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge wurde ein Wohn- und Geschäftshaus errichtet. Der neue jüdische Friedhof wird von der städtischen Friedhofsverwaltung gepflegt; der alte steht unter Denkmalschutz.

Die jüdische Gemeinde Lörrach hatte 1933 mehrere Filialgemeinden. Tumringen, wo bereits 1738 2 jüdische Familien, 1801 9, 1825 4 und 1933 1 Jude lebten, wurde 1935 der politischen Gemeinde Lörrach einverleibt.

In Grenzach waren 1925 3 und 1933 7 Juden ansässig. Bis 1939 zogen vier weitere jüdische Familien zu. Eine vierköpfige Familie wanderte 1937 nach Palästina aus. Drei ältere Jüdinnen zogen in die Muttergemeinde Lörrach und wurden dort von den Deportationen erfasst. Zwei Ehepaare wurden aus Grenzach am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen überlebte nur Josefine Bloch die Leidenszeit.

Schönau, wo 1900 zwei Juden wohnten, wird 1925 als Filiale von Lörrach, 1933 von Müllheim genannt, obwohl zu dieser Zeit sich kein Einwohner mehr zur jüdischen Konfession bekannte.

Der erste bekannte Jude in Schopfheim war ein Gastwirt, der 1650 zum Protestantismus übertrat. Danach finden sich erst im 19. Jahrhundert Juden in der Stadt. 1875 waren es 17, 1900 19, 1925 23 und 1933 18. Sie betrieben vier Textilwarengeschäfte und eine Viehhandlung. Seit 1895 war die kleine jüdische Gemeinde der Lörracher angeschlossen. Von den 24 Juden, die zwischen 1933 und 1945 in Schopfheim lebten, starben 6 in hohem Alter in der Heimat. 5 wanderten nach den USA aus, 2 Schweizer Bürger verlegten ihren Wohnsitz in ihr Vaterland. 10 Schopfheimer - unter ihnen der Justizrat Dr. Lindmann - wurden nach Gurs deportiert. Keiner von ihnen überlebte die Deportation. Die Ehefrau eines „Ariers" wurde 1944 von der Gestapo verhaftet, weil sie mit ihrem Sohn, der als „Mischling" als Obergefreiter der Luftwaffe aus der deutschen Wehrmacht entlassen worden war, in die Schweiz fliehen wollte. In Kenntnis des Schicksals von Verwandten, die im Osten spurlos verschwunden waren, nahm sie sich im Gerichtsgefängnis das Leben.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Baumhauer, August, Lörrachs Entwicklung vom Dorf zur Stadt vom 15.-18. Jahrhundert, in: Bad. Heimat 38 (1958). 
  • Herbster, Karl, Zur 250-Jahrfeier der Stadt Lörrach, in: Das Markgräflerland 4 (1932/33). 
  • Höchstetter, Wilhelm, Die Stadt Lörrach, Ihre Entstehung, Gegenwart und 200jährige Jubelfeier, Urkundenbuch und Chronik. 1882.
  • Joseph, Simon, Altjüdisches aus Lörrach, in: Israelit. Wochenblatt für die Schweiz. 1930. 
  • Pfister, Arnold, Lörracher Bauten. Schriftenreihe des Museumsvereins Lörrach. 1939. 
  • Schmidt, Julius, Kirchen am Rhein, Eine karolingische Königspfalz, 1912.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Lörrach, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Lörrach

  • Bloch, Alfred, Die Geschichte der Lörracher Juden. Erster Teil 1650-1756, in: Unser Lörrach (1979) S. 22-57.
  • Bloch, Alfred, Die Geschichte der Lörracher Juden. Zweiter Teil 1756-1848, in: Unser Lörrach (1980) S. 85-178.
  • Bloch, Alfred, Die Geschichte der Lörracher Juden. Dritter Teil 1848-1922, in: Unser Lörrach (1981), S. 95-159.
  • Bollinger, Tatjana/Moehring, Gerhard, Jüdische Geschichte zwischen 1933 und 1995, in: Jüdisches Leben in Lörrach. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (Lörracher Hefte 7), hg. von Tatjana Bollinger/Markus Moehring, Lörrach 2007, S. 14-19.
  • Güttes, Julia, Die Judenemanzipation in Baden und die Folgen für die Lörracher Judengemeinde, (Schriftenreihe Museum am Burghof), 1984.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Moehring, Gerhard, Der Lörracher Judenfriedhof, in: Unser Lörrach (1970), S. 65-70.
  • Moehring, Gerhard, Die Juden in Lörrach und Umgebung bis 1933, in: Jüdisches Leben in Lörrach. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (Lörracher Hefte 7), hg. von Tatjana Bollinger/Markus Moehring, Lörrach 2007, S. 6-13.
  • Selinger, Flora, Marie Beck – ein Lörracher Schicksal, in: Unser Lörrach (1975), S. 163-174.
  • „Vor aller Augen“. Die Deportation der Juden und die Versteigerung ihres Eigentums. Fotografien aus Lörrach 1940. Englisch: 'In Plain sight'. The Deportation of the Jews and the auctioning of their Property. Photos from Loerrach 1940, hg. von Klaus Hesse/Andreas Nachama, 2018.
  • Wilhelm, Julius, Der Lörracher Judenfriedhof von 1670, 1932.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 367-370.

Schopfheim

  • Schubert, Ingrid, Schopfheim anno dazumal. Fotografien einer alten Stadt, ihrer Menschen, Straßen und Häuser aus der Zeit von 1880-1950.
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