Neudenau 

Die Hauptstraße in Neudenau, 2008. In der Nr. 5 ganz links war bis in die 1830er Jahre die Mikwe untergebracht. Hinter den Häusern lag die 1937 geschlossene und 1938 an den damaligen Engelwirt verkaufte Synagoge, die während der Pogrome im November nicht zu Schaden kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Gebäudes wegen Baufälligkeit abgebrochen. [Aufnahme: Eva Maria Kraiss]
Die Hauptstraße in Neudenau, 2008. In der Nr. 5 ganz links war bis in die 1830er Jahre die Mikwe untergebracht. Hinter den Häusern lag die 1937 geschlossene und 1938 an den damaligen Engelwirt verkaufte Synagoge, die während der Pogrome im November nicht zu Schaden kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Gebäudes wegen Baufälligkeit abgebrochen. [Aufnahme: Eva Maria Kraiss]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.


Erzbischof Gerlach von Mainz erwarb 1364 Burg und Stadt Neudenau durch Kauf. 1803 bis 1806 gehörte Neudenau dem Grafen von Leinigen-Heidesheim und fiel 1806 an Baden.

Die jüdische Gemeinde Neudenau war zwar klein, konnte aber auf ein hohes Alter zurückblicken. Bereits während der Verfolgung durch den Ritter Rindfleisch 1298 wurden hier Juden ermordet. In den folgenden Jahrhunderten lebten einige Juden in der Stadt, wie die 1454 erwähnte Judengasse und der vor 1530 angelegte Judenfriedhof schließen lassen. Nach dem „Jurisdiktionalbuch" der Kellerei Neudenau vom Jahre 1667 zahlte der damals einzige jüdische Einwohner Manneß jährlich 24 Gulden Schutzgeld; jeder durchreisende Jude hatte 30 Pfennige Zoll zu erlegen, selbst wenn er hundert oder mehr Pferde bei sich gehabt hätte. Dazu bemerkte ein späterer Keller: „Könnte ohne untertänigste Maßgebung wohl geändert, d. h. erhöht werden". In der zweiten Hälfte des 18. und im 19. Jahrhundert vermehrte sich die Zahl der jüdischen Einwohner. 1769 zählte man 8 Familien mit 36 Seelen, 1806 11 Familien mit 54 Seelen, 1825 36, 1848 48, 1875 49, 1883 50, 1900 39, 1910 26, 1925 12 und 1933 9 Juden.

Der 1530 zum ersten Mal erwähnte jüdische Friedhof Neudenau wurde wahrscheinlich schon im 15. Jahrhundert angelegt. Auf ihm begruben auch die Juden von Billigheim und anderen Orten ihre Toten. Das Jurisdiktionalbuch von 1667 berichtet, dass außerhalb des oberen Tores „ein Judenbegräbnis" gewesen, aber durch den früheren Keller Philipp Vischer abgeschafft worden sei. Für einen verstorbenen Juden über 20 Jahre mussten seine Erben zwei, unter 20 Jahren einen Gulden Grabgeld erlegen. Früher habe das im Jahre durchschnittlich 9 Gul­den eingebracht, aber zur Zeit käme nichts ein. Der 1667 amtierende Keller hatte offenbar den Friedhof im Gewann „Untere Ebene" wieder eröffnet, um die Einkünfte seines Amtes zu vermehren. Der Gottesdienst fand seit 1783 in einem Bethaus (Judenschule) statt. Am 29. Januar 1875 weihte Rabbiner Weil aus Mosbach einen Synagogenneubau in Neudenau ein. Von 1836 bis zu seinem Tode 1876 unterrichtete der jüdische Lehrer Wolf Strauß an der allgemeinen Volksschule.

Im öffentlichen Leben der politischen Gemeinde sind die Juden wenig hervorgetreten. Sie gingen ihrem Vieh-, Pferde- oder Textilwarenhandel nach. 1933 trieb nur noch Leopold Haas Pferdehandel; Heinrich Rosenberg und Helmar Spier waren Textilkaufleute; Sigmund Weinberg besaß ein Manufakturwarengeschäft. Durch Beschluss des Badischen Staatsministeriums vom 8. November 1937 wurde die Israelitische Gemeinde Neudenau aufgelöst, und die wenigen noch vorhandenen Juden der Gemeinde wurden Billigheim zugeteilt. Der von den Nationalsozialisten ausgeübte Boykott raubte diesen ihre wirtschaftliche Existenz. Mit Ausnahme von Mina Haas, die noch in Neudenau starb, verzogen die jüdischen Einwohner zwischen 1935 und 1940 nach Pforzheim, Weinheim, München und Berlin. In der Kristallnacht im November 1938 wurde die Synagoge zerstört. Am Tag der Deportation der badischen Juden wohnte in Neudenau selbst kein Jude mehr. 3 ehemalige Neudenauer Juden wurden von Pforzheim, 2 von Weinheim aus am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen starben 2 im Lager Gurs, 2 wurden in Auschwitz ermordet. Helmar Spier musste 1942 von seinem Zufluchtsort Berlin aus mit seiner Frau und seiner fünfjährigen Tochter den Weg nach Auschwitz antreten. Die ganze Familie wurde umgebracht. Lina Rosenberg wurde vermutlich 1942 von Buttenhausen in ein Vernichtungslager abtransportiert. Leopold Haas zog 1935 zu seiner Tochter nach München. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt.

Auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge befindet sich heute ein Lagergebäude. An die jüdische Gemeinde erinnert nur noch ihr alter Friedhof.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Mayer, Fridolin, Geschichte der Stadt Neudenau an der Jagst und ihrer beiden Wallfahrtskapellen St. Gangolf und St. Wolfgang, 1937.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Neudenau, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 177-181.
  • Germania Judaica Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 941.
  • Göldner, Andrea, Karolina Blume geb. Rosenberg. Ein Lebensweg, (Neudenauer Heimatblätter 177-178), 1998.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Mayer, Fridolin, Geschichte der Stadt Neudenau an der Jagst, 1937.
  • Straßer, Elisabeth, Ellen Auerbach geb. Rosenberg. Künstlerin und Weltbürgerin, (Neudenauer Heimatblätter 235-237), 2003.
  • Vochezer, Fridolin, Das jüdische Bethaus in Neudenau, (Neudenauer Heimatblätter 121-123), 1994.
  • Vochezer, Fridolin, Die Neudenauer Judengemeinde, (Neudenauer Heimatblätter 148), 1996.
  • Vochezer, Fridolin, Das jüdische Frauenbad in Neudenau, (Neudenauer Heimatblätter 97-98 und 112), 1992/1993.
  • Vochezer, Fridolin, Sitten und Gebräuche der Neudenauer Juden, (Neudenauer Heimatblätter 117-118), 1993.
  • Weihrauch, Josefine/Heimberger, Heiner, Neudenauer Überlieferungen, hg. von Peter Assion, Neudenau 1979, S. 88.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 411-412.
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