Sandhausen 

Ende der 1860er Jahre wurde in der ehemaligen reformierten Kirche von Sandhausen die neue Synagoge eingerichtet. Das Gebäude kam 1938 durch Verkauf an die Gemeinde. Trotzdem fiel es während der Pogrome im November Demolierungen zum Opfer. In den 1950er Jahren konnte das verfallende Haus vor dem Abriss bewahrt werden. Nach umfassender Renovierung wurde es 1962 als Kulturzentrum neu eröffnet, heute „Ehemalige Synagoge“ und Ort der Besinnung und Begegnung. [Quelle: Alemannia Judaica, Foto: Joachim Hahn, 2004]
Ende der 1860er Jahre wurde in der ehemaligen reformierten Kirche von Sandhausen die neue Synagoge eingerichtet. Das Gebäude kam 1938 durch Verkauf an die Gemeinde. Trotzdem fiel es während der Pogrome im November Demolierungen zum Opfer. In den 1950er Jahren konnte das verfallende Haus vor dem Abriss bewahrt werden. Nach umfassender Renovierung wurde es 1962 als Kulturzentrum neu eröffnet, heute „Ehemalige Synagoge“ und Ort der Besinnung und Begegnung. [Quelle: Alemannia Judaica, Foto: Joachim Hahn, 2004]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das Dorf Sandhausen gehörte bis 1803 zur Kurpfalz und fiel dann an Baden. Kurfürst Karl Theodor (1742-1799) nahm ein Jahr nach seinem Regierungsantritt eine jüdische Familie nach Sandhausen in den Schutz auf. Ober eine frühere Anwesenheit von Juden ist nichts bekannt. 1825 betrug die Zahl der jüdischen Einwohner 34, 1875 100, 1900 - infolge der Abwanderung nach Heidelberg - nur noch 42, 1925 24 und 1933 18.

Seit 1827 gehört die jüdische Gemeinde Sandhausen zum Rabbinatsbezirk Heidelberg. 1840 erwarb sie ein Gebäude hinter dem Gasthaus „Lamm" in der Bahnhofstraße, in dem ein Betsaal und die Religionsschule eingerichtet wurden. Nach der Vereinigung der lutherischen und der reformierten Religionsgemeinschaft zur evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens wurde die von der reformierten Kirche - an der Stelle einer baufälligen Peterskirche aus dem 14. Jahrhundert - 1754-56 errichtete Pfarrkirche zu klein. 1863-66 erbaute man daher eine neue Pfarrkirche und verkaufte die alte am 12. März 1867 für 2.000 Gulden an die im Dorf ansässigen Juden, die die Kirche zu einer Synagoge umgestalteten. Einen jüdischen Friedhof gab es in Sandhausen nicht. Die Israeliten begruben ihre Toten in Wiesloch. Das Verhältnis der jüdischen zu den christlichen Einwohnern wird bis zum Dritten Reich als harmonisch bezeichnet. Zwei jüdische Bürger saßen bis 1933 im Gemeinderat.

Entwurf zum Bau der reformierten Kirche in Sandhausen, um 1752. Als die evangelische Kirche Sandhausens in den 1890er Jahren renoviert wurde, fanden einige Gottesdienste wieder in dem nun als Synagoge dienenden Gebäude statt. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 229 Nr. 91216 K 2]
Entwurf zum Bau der reformierten Kirche in Sandhausen, um 1752. Als die evangelische Kirche Sandhausens in den 1890er Jahren renoviert wurde, fanden einige Gottesdienste wieder in dem nun als Synagoge dienenden Gebäude statt. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 229 Nr. 91216 K 2]

Die Sandhausener Juden waren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Vieh- und Landesproduktenhändler. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sie als Wein-, Hopfen- und Tabakhändler sowie als Inhaber oder wenigstens Teilhaber von Zigarrenfabriken an der wirtschaftlichen Entwicklung des Ortes maßgebenden Anteil. 1933 war Kaufmann Freund der einzige Wein-, Hopfen und Tabakhändler am Ort. Er besaß über viereinhalb Hektar Wald und über eineinhalb Hektar Ackerland, das er selbst bewirtschaftete. Auch die meisten anderen Juden hatten außer ihrem Haus etwas Grundbesitz. Vier Juden - die beiden Max Freund, Julius und Ludwig Wahl - waren als Viehhändler tätig. Heinrich Freund hatte eine Textilvertretung. Der jüdische Teilhaber der Zigarrenfabrik Haus Neuburger & Co. oHG, die 1938 drei Angestellte und 26 Arbeiter beschäftigte, wohnte nicht in Sandhausen.

Die von den Nationalsozialisten betriebene Hetze gegen die jüdischen Mitbürger veranlasste 5 Sandhausener Juden, nach Heidelberg und Hemsbach umzuziehen; 4 weitere wanderten 1937 nach den USA aus. Am 23. April 1938 lebten nur noch 7 Juden im Dorf. 2 waren bis dahin noch gestorben. Der Weinhändler Freund konnte noch in geringem Umfang Geschäfte tätigen. In der Kristallnacht im November 1938 wurden die Wohnungen der Juden demoliert.

3 Juden wurden in das KZ Dachau eingeliefert. Die Synagoge blieb bei dem Pogrom unversehrt, da sie schon am 25. Oktober 1938 von der politischen Gemeinde für 3.000 Reichsmark erworben worden war. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 7 jüdischen Einwohner nach Gurs deportiert. Von ihnen starben 3 in Gurs, 3 wurden 1942 in Auschwitz ermordet, und nur 1 erlebte das Ende der Verfolgung in Frankreich, starb aber schon 1946 an den Folgen der langen Lagerhaft.

Die ehemalige Synagoge, die unter Denkmalschutz steht, wurde 1960-62 instandgesetzt und umgebaut. Sie beherbergt jetzt eine Volksbücherei mit Lesesaal sowie das Grundbuch- und Standesamt der Gemeinde Sandhausen. Im Hof befindet sich ein Gedenkstein für die in der Verfolgung umgekommenen Angehörigen der jüdischen Gemeinde.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Lacroix, Emil, Die ehemalige reformierte Kirche, spätere Synagoge zu Sandhausen (Kr. Heidelberg), Instandsetzung und Umbau, in: Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg 6, 1963, 1. 
  • Festbuch zur 700-Jahrfeier der Gemeinde Sandhausen, 1962.

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Sandhausen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Dorsch, Rudi, Die israelitische Gemeinde, in: Heimatbuch Sandhausen, 1985.
  • Dorsch, Heidrun, Alltag im Nationalsozialismus – Unterdrückung und Verfolgung der Juden in Sandhausen. Preisausschreiben des Bundespräsidenten 1981 (maschinenschriftlich).
  • Frei, Kurt, Familien in Sandhausen nach 1899, Sandhausen 1995.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Heimatbuch der Gemeinde Sandhausen 1986.
  • Hermes, Andreas, Die Sandhäuser Synagoge, Bad Bergzabern 1998.
  • Lacroix, Emil, Die ehemalige reformierte Kirche, spätere Synagoge zu Sandhausen (Kreis Heidelberg), Instandsetzung und Umbau, in: Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg 6 (1963) Heft 1, S. 20-24.
  • Schweigler, Martin G. /Hamann, Brigitta/Maier, Rolf W., Stolpersteine für die jüdischen Familien Wahl und Freund. Verlegung am 26. April 2017, Sandhausen 2019.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 72-75.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 342-343.
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