Sinsheim mit Rohrbach

Die Synagoge in Sinsheim, vor 1938, in der bis 1933 so genannten Synagogengasse, heute Kleine Grabengasse. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude schwer beschädigt und anschließend abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1638]
Die Synagoge in Sinsheim, vor 1938, in der bis 1933 so genannten Synagogengasse, heute Kleine Grabengasse. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude schwer beschädigt und anschließend abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1638]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das 1192 von König Heinrich VI. zur Reichsstadt erhobene Sinsheim wurde im 13. und 14. Jahrhundert mehrfach an die Markgrafen von Baden und an die Pfalzgrafen verpfändet, die sie seit 1338 an die Herren von Hirschhorn weiterverliehen. 1362 erwarb Kurfürst Ruprecht 1. die Reichsstadt für immer für die Pfalz. 1803 bis 1806 gehörte Sinsheim zum neu gegründeten Fürstentum Leiningen und fiel 1806 an Baden.

1318 werden Abraham de Sunneshem und sein Schwiegervater David als Geldverleiher erwähnt. 1330 wird der Gelehrte Abraham ben Moses genannt, der Schüler des Rabbi Meir von Rothenburg war und in seiner Jugend „Abraham der Vorbeter von Erfurt" genannt wurde. Er verfasste Schriften über die Tefillin, die jüdischen Gebetsriemen. 1340 werden Jacob und Meier von Sinsheim als Bürger in Speyer aufgenommen. Die Angehörigen der Familie Sinsheim, die in Worms, Mannheim, Straßburg und Wien verzweigt war, leiteten von der Stadt an der Elsenz ihren Namen her.

Nach dem Judenpogrom 1348/49, dem auch die Sinsheimer Juden zum Opfer fielen, nahm Ritter Engelhard von Hirschhorn, der damals die Stadt von der Kurpfalz zu Lehen trug, die aus Worms und Speyer vertriebenen Juden in Sinsheim gegen entsprechendes Schutzgeld in den Schutz auf. Es gelang ihnen jedoch nicht, auf die Dauer festen Fuß zu fassen. 1357 finden wir nur zwei Judenfamilien in Sinsheim. In den nächsten drei Jahrhunderten dürften es kaum mehr gewesen sein. Während der Kriegswirren des 17. Jahrhunderts verließen die meisten von ihnen die Stadt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm ihre Zahl allmählich zu, gegen den Willen des Stadtschultheißen. Hielten sich 1705 erst 2 Juden in der Stadt auf, so waren es 1722 und 1743 jeweils 9 Familien. 1782 betrug die Zahl der jüdischen Einwohner 121, 1825 75, 1852 121, 1875 131, 1884 132, 1900 119, 1925 79 und 1933 71. Im Ersten Weltkrieg starben zwei Gemeindeglieder namens Julius Weil den Soldatentod.

Seit 1827 gehörten zum Rabbinatsbezirk Sinsheim die Gemeinden Babstadt, Bad Rappenau, Dühren, Eschelbach, Ehrstädt, Grombach, Hilsbach, Hoffenheim, Hüffenhardt, Neckarbischofsheim, Neidenstein, Obergimpern, Rohrbach, Siegelsbach, Sinsheim, Steinsfurt, Untergimpern, Waibstadt, Weiler und Wollenberg, von denen bereits sechs aufgelöst waren, als kurz nach der Jahrhundertwende die Rabbinatsfunktionen vom Bezirksrabbiner in Heidelberg übernommen wurden. Von 1904 an gehörten die Juden der aufgelösten Gemeinden Hilsbach und Weiler zur jüdischen Gemeinde Sinsheim. Das Filialverhältnis erlosch bereits vor 1925 durch die Abwanderung der letzten Juden dieser Orte.

An die Stelle des bisherigen Betsaales trat 1836/37 eine Synagoge in der Kleinen Grabengasse. Seit dem 19. Jahrhundert besaß die Gemeinde auch einen eigenen Friedhof im Gewann Krebsgrund, der neben dem christlichen liegt. Der Wohltätigkeitsverein, der Frauenverein, der Talmud-Thoraverein, der Verschönerungsverein und der Begräbnisverein nahmen die karitativen und religiösen Aufgaben wahr.

Fast alle jüdischen Einwohner waren Kaufleute oder Handwerker, die mit der übrigen Bevölkerung in gutem Einvernehmen lebten. Zu Beginn des Dritten Reiches gab es noch 13 jüdische Geschäfte: 2 Feinkost- und Lebensmittelgeschäfte, 2 Bäckereien, 1 Weinhandlung, 2 Textilwarengeschäfte, 1 Manufakturwarengeschäft, 1 Eisenhandlung, 1 Lederhandlung, 1 Lebensmittel- und Futtermittelhandlung, 1 Hadernsortieranstalt und 1 Öl- und Fetthandlung. Bald nach Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 machte sich der wirtschaftliche und gesellschaftliche Boykott der Juden in Sinsheim bemerkbar. 1935 wurde den Juden das Zuzugsrecht versagt; sie wurden von den städtischen Bädern ausgeschlossen. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, Märkten, Versteigerungen usw. wurde ihnen untersagt. Sie durften keine Grundstücke mehr erwerben und erhielten keine Gemeindeaufträge. Den Bürgern wurde verboten, in jüdischen Geschäften einzukaufen. Infolgedessen waren bis 1938 alle jüdischen Geschäfte zum Erliegen gekommen. Die Inhaber verkauften ihre Häuser und suchten in den USA (27), in Palästina (5), Frankreich (3), Holland und England (je 1) eine neue Existenz. 1938 wohnten nur noch 2 jüdische Familien in Sinsheim.

In der Kristallnacht im November 1938 wurde die Synagoge von der SA-Ortsgruppe zerstört und später abgebrochen; 2 Juden wurden in das KZ Dachau eingeliefert. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 6 Juden aus Sinsheim nach Gurs deportiert. Dort erlag Moritz Ledermann bald den Strapazen. Seine Ehefrau Fanny starb 1945 in einem französischen Altersheim. Die Eheleute Max und Emilie Kohn rafften Hunger und Krankheit im Lager Rivesaltes dahin. Ihre Tochter Erna konnte aus dem Lager fliehen. Josef Scherer wurde wahrscheinlich in Auschwitz ermordet. Der Religionslehrer Artur Auerbacher und seine Ehefrau wurden 1942 von Weinheim nach Izbica deportiert und dort ermordet. Alfred und Anne Krell gerieten über Gurs in das Todeslager Auschwitz. Alice und Kurt Scherer wurden in Frankreich verhaftet und ebenfalls in Auschwitz umgebracht.

Trotz dieser vielen Opfer kehrte 1954 ein ehemaliger Sinsheimer Jude, der drei Geschwister im KZ verloren hatte, aus der Emigration nach Sinsheim zurück und baute sich eine neue Existenz in der Heimat seiner Väter auf.

In dem vor dem Anfall an Baden (1803) ritterschaftlichen Dorf Rohrbach bei Sinsheim wohnten seit dem 18. Jahrhundert Juden. Durch die wohlwollende Haltung der Ortsherrschaft, der Herren von Venningen, entwickelte sich eine blühende Gemeinde, die 1827 dem Rabbinatsbezirk Sinsheim zugewiesen wurde. 1825 zählte sie 91, 1842 sogar 101 Seelen. 1841 war der Bau einer Synagoge genehmigt worden. Dann aber schmolz die Gemeinde zusammen. 1875 zählte sie noch 61, 1900 21 und 1925 nur noch 3 Juden. Am 31. März 1906 wurde sie deshalb aufgelöst und die restlichen Gläubigen zunächst der Gemeinde Steinsfurt, nach 1925 der Gemeinde Sinsheim zugewiesen. Nach der Auflösung wurde die Synagoge am 6. März 1907 an die politische Gemeinde verkauft. Einen eigenen Judenfriedhof hatte Rohrbach nicht. Die dort verstorbenen Juden wurden in Waibstadt beigesetzt. Die letzten beiden Rohrbacher Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert und fanden dort den Tod.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Rommel, Gustav, Sinsheim (Elsenz). Ein geschichtlicher Überblick, 1954.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Sinsheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Sinsheim

  • Bauer, Wilhelm, Die ehemalige jüdische Gemeinde von Sinsheim. Ihre Geschichte und ihr Schicksal, 1985.
  • Bauer, Wilhelm, Vor 60 Jahren eine dunkle Stunde für Sinsheim, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 21.10.2000, S. 3.
  • Germania Judaica, Bd.1, Tübingen 1963, S. 516.
  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 765.
  • Germania Judaica Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1372.
  • Vögely, Ludwig, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im Landkreis Sinsheim, in: Kraichgau 2 (1970), S. 142-153.

Rohrbach

  • Frauenfeld, Karl Heinz, Rohrbach im Wandel der Zeit. Eine Ortsgeschichte aus der Kurpfalz, 1981.
  • Geschichte der Juden in Heidelberg, Heidelberg 1996.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Lurz, Meinhold, Die Jüdische Kultusgemeinde, in: Rohrbach. 1099 – 900 Jahre – 1999, Sinsheim 1998, S. 166-176.
  • Menzer, Georg Ludwig, Rohrbach bei Heidelberg. Eine pfälzische Ortsgeschichte, Heidelberg 1926.
  • Rink, Claudia, Jüdisches Leben in Rohrbach, in: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 8, hg. vom Heidelberger Geschichtsverein, 2003/04, S. 65-87.
  • Röper, Ursula/Rink, Claudia, Jüdisches Leben in Rohrbach, in: der punker. Leben in Rohrbach 2 (2003).
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 58-61.
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