Marodeure
von Alexander Staib
Als Marodeure werden plündernde Nachzügler eines Heeres bezeichnet. Der Begriff lässt sich aus dem Französischen herleiten; im 16. Jahrhundert wurde das Verb „marauder“ im Sinne von betteln verwendet. Neben den Armen und Kranken gehörten auch Aussätzige und Invaliden zur Gruppe der Bettler.
Das Phänomen der Marodeure im Dreißigjährigen Krieg war eng verknüpft mit der sogenannten „militärischen Gesellschaft“. Diese lässt sich als eine Gesellschaft der Dienstfähigen charakterisieren; ein schwer verwundeter oder erheblich erkrankter Söldner war wertlos und schied – gleich dem toten – aus ihr aus. Durch den Verlust seines bis dahin gewinnbringend eingesetzten „Kapitals“, seiner Kampfkraft, war er entsprechend mittellos und ohne Einkommen.
Die Erstversorgung eines erkrankten oder verwundeten Söldners fand zunächst innerhalb seines Regiments statt, häufig durch Menschen ohne medizinische Ausbildung, da Ärzte meist nur Offizieren zur Verfügung standen. Stattdessen waren zumeist Frauen aus dem Tross beziehungsweise die Frau des Söldners mit dieser Aufgabe betraut. Legten sich die Beschwerden nicht bald, so war es für ihn unter Umständen schwierig, der Truppe weiter zu folgen. Ausgestattet mit etwas Geld, wurden Söldner dann häufig städtischen Spitälern übergeben. Sobald dieses aufgebraucht war, stand ihnen – sofern sie ihren Krankheiten und / oder Verletzungen nicht erlagen – ein äußerst ungewisses Schicksal bevor.
Die Invaliden waren ohne soziale Bindung und durch ihre Verletzungen für das planvolle Kampfgeschehen oft wertlos geworden. Entsprechend ihrer Erfahrungswelt und ihren -werten suchten sie vielfach weiterhin Anschluss an die Truppen, ohne jedoch reintegriert werden zu können; als Marodeure zogen sie so dem Tross hinterher. Im Dasein als Marodeur fanden sich nicht nur ehemalige Söldner zusammen; auch überschuldete Bauern, Leibeigene, Handwerkergesellen ohne Anstellung und Menschen mit Behinderung („Krüppel“) schlossen sich ihnen an. Dabei waren die Grenzen zwischen Räuberbanden und Marodeuren fließend, ähnlich wie zwischen Marodeuren und dem sogenannten „irregulären“ Tross. Durch ihre selbständige, gewaltsame Versorgung stellten sie sowohl für die Armee als auch für die Bauern eine zusätzliche Belastung dar. Entsprechend unerbittlich wurden sie von beiden Gruppen verfolgt. Aus der Perspektive der Marodeure handelte es sich bei ihren Zusammenschlüssen um eine soziale Gruppierung, die ihren Mitgliedern eine Lebensgrundlage sichern sollte.
Literatur in Auswahl
- Arndt, Johannes, Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648 (Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 18642), Stuttgart 2017.
- Burkhardt, Johannes, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. 2015.
- Gotthard, Axel, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung, Köln/Weimar/Wien 2016.
- Kroener, Bernhard R., Soldat oder Soldateska? Programmatischer Aufriß einer Sozialgeschichte militärischer Unterschichten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Bernhard R. Kroener. Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften, hg. von Ralf Pröve/Bruno Thoß, Paderborn u. a. 2008, S. 125-151.
- Kroener, Bernhard R., „Die Soldaten sind ganz arm, bloss, nackend, ausgemattet“. Lebensverhältnisse und Organisationsstruktur der militärischen Gesellschaft während des Dreißigjährigen Krieges", in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. 1, hg. von Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Europaratsausstellungen, Bd. 26), München 1998, S. 285-292.
Zitierhinweis: Alexander Staib, Marodeure, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 11.08.2022