Predigten im Dreißigjährigen Krieg

von Aaron Bauer

 Tobias Wagner, um 1668 [Quelle: Tobias-Bild Universitätsbibliothek Tübingen]
Tobias Wagner, um 1668 [Quelle: Tobias-Bild Universitätsbibliothek Tübingen]

In der ‚Theologischen Realenzyklopädie‘ wird die Predigt als wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes definiert, der in einer Buchreligion wie dem Christentum Praxis war und ist. Der Predigt kommt hierbei die Aufgabe zu, Inhalt und Bedeutung der Heiligen Schrift einem größeren Publikum zu erläutern. In der Frühen Neuzeit stellte sie ein Medium dar, das die Menschen wie kein anderes erreichte. Laut Anton Schindling bildeten Predigten dann während des Dreißigjährigen Krieges gemeinsam mit Illustrationen, Liedern, Flugblättern und -schriften die propagandistischen Medien, mittels derer „eine eigene Wirklichkeit des Krieges konstruiert“[1] werden konnte. In dieser konstruierten Wirklichkeit bildeten für weite Teile der Bevölkerung die Konfession und die Verteidigung des eigenen Glaubens die zentralen Elemente; der Kriegsbeitritt Schwedens konnte so beispielsweise glaubhaft „als Rettung des bedrohten Protestantismus“ [2] dargestellt werden.

Inhaltlich basierten viele Predigten im Dreißigjährigen Krieg auf jenen alttestamentlichen Texten, in welchen sich das israelitische Volk von Gott ab- und dem Götzendienst zugewandt hatte. Auf protestantischer wie katholischer Seite wurden diese Bibelstellen als Aufruf zum Kampf gegen die Anhänger der jeweils anderen Konfession verstanden. Diese galt es für ihren fehlgeleiteten Glauben ebenso zu bestrafen, wie die Israeliten für ihren Götzendienst bestraft worden waren. Viele Geistliche beider Konfessionen riefen die Bevölkerung zudem mittels sogenannter ‚Bußpredigten‘ zur Umkehr zu Gott und zum Gebet auf. Auch diese Predigten nutzten meist das biblische Motiv der dem Götzendienst verfallenen Israeliten und die Aufrufe der Propheten, Buße zu tun und zum Bund mit Gott zurückzukehren. Der Krieg an sich wurde in den Bußpredigten als eine Konsequenz menschlichen Fehlverhaltens dargestellt, wodurch er zu einer Angelegenheit wurde, der die Gläubigen durch gottgefälliges Handeln entkommen konnten. Häufig wurde zudem der im Neuen Testament beschriebene Antichrist für die von Krieg und Natur verursachten Leiderfahrungen verantwortlich gemacht. Das lange Andauern des Kriegsgeschehens führte schließlich dazu, dass in ‚Klagepredigten‘ die Gläubigen dazu aufgerufen wurden, ihre Ohnmacht im Angesicht all des Leids anzuerkennen und sich dem göttlichen Willen zu ergeben. Vielen Geistlichen wurde bewusst, dass nur Gott allein den Krieg, mit welchem er die Menschen zu strafen schien, beenden konnte. So dachte auch der Tübinger Professor für Theologie Tobias Wagner (1598-1680), der in seiner 1643 in Stuttgart gehaltenen „Blutpredigt“ [3] feststellte, dass sich das Verhalten der Menschen durch den Krieg keineswegs zum Besseren gewandelt hatte.

Dass der Krieg nicht nur Auswirkungen auf den Inhalt von Predigten, sondern auch auf deren Anzahl hatte, zeigt sich am Beispiel der Tübinger Theologieprofessoren und damit für das protestantische Württemberg ganz deutlich. Insgesamt betrug die Zahl der um das Jahr 1650 gedruckten Predigten der Tübinger Theologen knapp 40 – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg: im Jahr 1620 hatten die Vorgänger von Tobias Wagner, allen voran Johann Ulrich Pregitzer (1577-1656), Lucas II. Osiander (1571-1638) und Theodor Thumm (1586-1630), noch knapp 155 Predigten veröffentlicht. Laut Sabine Holtz markierte der Dreißigjährige Krieg „den Übergang zwischen der Hochphase der lutherischen Orthodoxie im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert in Tübingen und ihrem allmählichen Abfallen“ [4] .

Anmerkungen

[1] Schindling: Das Strafgericht Gottes, S. 29
[2] Schindling: Das Strafgericht Gottes, S. 29
[3] Holtz: Theologie und Alltag, S. 278
[4] Holtz: Theologie und Alltag, S. 41

Literatur (in Auswahl)

  • Holtz, Sabine, Predigt. Religiöser Transfer über Postillen, in: Europäische Geschichte On-line. (EGO), Mainz 2011.URL: http://www.ieg-ego.eu/holtzs-2011-de (aufgerufen am 23.08.2022).
  • Holtz, Sabine, Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550-1750 (Spätmittelalter und Reformation, N. R., Bd. 3), Tübingen 1993.
  • Kaufmann, Thomas, Lutherische Predigt im Krieg und zum Friedensschluss, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. 1, hg. von Klaus Bußmann / Heinz Schilling (Europaratsausstellungen, Bd. 26), München 1998, S. 245-250.
  • Klimkeit, Hans-Joachim u. a., Art. Predigt, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 27, hg. von Gerhard Müller, Berlin / New York 1997, S. 225–330.
  • Medick, Hans, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018.
  • Schindling, Anton, Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Erfahrungsge-schichte und Konfessionalisierung, in: Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religi-on im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Beiträge aus dem Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesell-schaft in der Neuzeit“, hg. von Matthias Asche / Anton Schindling, Münster 2001, S. 11-52.

 

Zitierhinweis: Aaron Bauer, Predigten im Dreißigjährigen Krieg, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 23.08.2022

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