Flugblätter, Flugschriften

von Regina Fürsich und Alexander Staib

 Epitaphium oder deß guten Geldes Grabschrifft, ca. 1620 (Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main)
Epitaphium oder deß guten Geldes Grabschrifft, ca. 1620 [Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main]

Flugblatt und Flugschrift lassen sich geschichtlich wie definitorisch schwer voneinander trennen. Eine feste zeitgenössische Terminologie für das Flugblatt existiert nicht – vielmehr konkurrierten bis zum Ende der Frühen Neuzeit verschiedene Begriffe, beispielsweise ‚Bildnis‘, ‚Bericht‘ oder ‚Pasquill‘, die auf unterschiedliche Aspekte abzielten. Aufgrund dieses sprachlichen Durcheinanders bietet es sich an, das Flugblatt unter den Forschungssammelbegriff der Flugpublizistik einzuordnen. Unter diesem finden sich ebenfalls andere ‚fliegende‘ Blätter. Medien dieser Gruppe zeichnen sich durch das Fehlen eines Einbands, einen geringen Blattumfang und eine ereignisabhängige sowie unregelmäßige Publikation aus. Innerhalb der Kategorie Flugpublizistik ist das Flugblatt dadurch charakterisiert, dass es in der Regel aus einem (ganzen oder halben) Bogen im Hochformat bestand und einseitig bedruckt war; meistens mit Text, (eventuell farbigem) Bild und Titel. Durch seine auf den Verkauf orientierte Gestaltung unterschied sich das Flugblatt von offiziellem Schrifttum wie Mandaten und Erlassen, durch die wichtige Rolle der Abbildungen von Kalendern und schließlich (unter anderem) durch sein Format vom Andachtsbild. Häufig wurde in deutscher Sprache gedruckt.

In Abgrenzung zum Flugblatt bestand die Flugschrift aus mehreren Blättern. Dies bildete lange Zeit das einzige Unterscheidungskriterium zwischen den beiden Quellengattungen. In der Regel war die Flugschrift bedruckt und auf Deutsch gehalten. Üblicherweise hatte sie ein kleineres Format (Quart oder Oktav) und stützte sich stärker auf die Textkomponente als das Flugblatt – ein Bild war meist nur auf dem Titel vorhanden. Der Umfang einer Flugschrift betrug häufig zwischen vier und 16 Blatt.

Im Dreißigjährigen Krieg konnte sich die Bevölkerung der Alten Reiches mittels Flugblättern und Flugschriften über wichtige Ereignisse (wie zum Beispiel den Tod des schwedischen Königs Gustav Adolf) oder wichtige Auseinandersetzungen (beispielsweise die Schlacht bei Lützen), und damit über den allgemeinen Kriegsverlauf, zeitnah informieren. Die hier erlangten Nachrichten – findet möglicherweise bald ein Truppendurchmarsch statt? – konnten überlebenswichtig sein. Häufig ergriffen die Autoren von Flugblättern und -schriften Partei für eine Seite. Die Anonymität der Urheber könnte einerseits auf die Furcht vor Zensur und deren Folgen hinweisen, andererseits auch auf eine geplante Inszenierung als die Stimme des gemeinen Mannes. Abweichend hiervon ist ebenfalls eine Erklärung aus der Gattungstradition möglich.

Exemplarisch soll hier ein Flugblatt der Kipper- und Wipperzeit kurz beschrieben werden. Das Flugblatt mit dem Titel „Epitaphium oder deß guten Geldes Grabschrifft“ erschien wohl um 1620 in Augsburg und entspricht der typischen Dreigliederung eines Flugblattes mit Titel, Bild und Text. Der Titel wird hier noch durch die Bildüberschrift „O du Geitzteuffel auff der Baan/ Was hebstu alles mit dem Geld an/ Ist es noch nicht genug der zeit/ Unfrid und Widerwertigkeit“ ergänzt. Das Bild zeigt im Vordergrund einen Raum, in dem sich ein Münzpräger, ein Kipper, ein Wipper und ein Jude (erkennbar an seinem Hut) aufhalten. Der Wipper wiegt (‚wippt‘) die Münzen, der Kipper zwickt (‚kippt‘) kleine Metallstücke aus den Münzen heraus, der Münzpräger schlägt den frisch gegossenen Münzen den Stempel mit der Prägung auf. Im Hintergrund sind durch die Türe des Raumes mehrere Gestalten an Brennöfen zu sehen, die aus den herausgekippten Metallstücken neue Münzen gießen. Passend zur Bildüberschrift, die in der Inflation einen Grund für zusätzlichen Zwist sieht, ist durch das mit ‚DISCORDIA‘ (lat. Uneinigkeit, Zwietracht, Streit) überschriebene Fenster des Raumes eine Kriegsszene zu sehen.

Der in Reimform verfasste, dreispaltige Text greift das Bild auf und malt die Szene aus: Das Gespräch zwischen dem Kipper und dem Juden wird ausformuliert, die Kampfszene im Hintergrund des Fensters in den Kontext gesetzt, das Vorgehen der Münzpräger wird erläutert und der Titel des Flugblattes wird im Text verarbeitet. Das Flugblatt sucht die Schuld für die Inflation einerseits bei den Kippern und Wippern, andererseits bei jüdischen Wucherern, sowie bei all jenen, die diesen Schuldigen in die Hände spielen. Den als schuldig identifizierten wird das Höllenfeuer angedroht, alle anderen werden dazu aufgerufen, Gott um eine Erlösung von der Inflationskrise zu bitten.

Quellen in Auswahl

Literatur in Auswahl

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  • Bellingradt, Daniel/Schilling, Michael, Art. Flugpublizistik, in: Handbuch Medien der Literatur, S. 273-289.
  • Brückner, Wolfgang/Schneider, Ute, Art. Flugschrift, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3, Stuttgart/Weimar 2006, Sp. 1027-1032, URL: https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/flugschrift-a1113000?s.num=0&s.f.s2_parent=s.f.book.enzyklopaedie-der-neuzeit&s.q=flugschrift (aufgerufen am 26.10.2022).
  • Harms, Wolfgang, Feindbilder im illustrierten Flugblatt der frühen Neuzeit, in: Das illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit. Traditionen – Wirkungen – Kontexte, hg. von Wolfgang Harms/Michael Schilling, Stuttgart 2008, S. 245-275 (= Wolfgang Harms, Feindbilder im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit, in: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, hg. von Franz Bosbach, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 141-177.).
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  • Schilling, Michael, Einleitung, in: Illustrierte Flugblätter der Frühen Neuzeit. Kommentierte Edition der Sammlung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, hg. von Michael Schilling (Magdeburger Museumshefte, Sonderheft), Magdeburg 2012, S. 9-15.
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Zitierhinweis: Regina Fürsich und Alexander Staib , Flugblätter, Flugschriften, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 26.10.2022

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