Friedensschluss - Prinz Max von Baden und die Hohenlohe-Briefaffäre
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Einführung
Der Zusammenbruch der deutschen Front im Westen im Oktober 1918 kam für die deutsche Bevölkerung und für führende deutsche Politiker völlig überraschend. Sie hatten vier Jahre lang der Propaganda des Militärs Glauben geschenkt hatten, die Siegesgewissheit vermitteln wollte. Die Alliierten antworteten auf das deutsche Waffenstillstandsgesuch vom 3. Oktober 1918 mit der Forderung nach einer demokratischen Parlamentarisierung Deutschlands als Vorbedingung für Waffenstillstandsverhandlungen. Daher bedurfte es nun verständigungsbereiter und vor allem glaubwürdiger Politiker, die solche Verhandlungen aufzunehmen und die von den Siegermächten überhaupt als Verhandlungspartner akzeptiert zu werden vermochten.
Zu diesen international renommierten Politikern zählte – trotz seiner adeligen Abstammung – Prinz Max von Baden (1867-1929), der im Oktober und November 1918 als Reichskanzler einer am 4. Oktober zum Zwecke des Friedensschlusses gebildeten Reichsregierung fungierte. Max von Badens Glaubwürdigkeit speiste sich insbesondere aus seiner Ablehnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges 1917. In seiner national wie international viel beachteten Antrittsrede im Reichstag am 5. Oktober 1918 bekundete er seinen uneingeschränkten Friedenswillen, was er ebenfalls mit der Benennung konkreter Ziele zu untermauern versuchte. Seine Rede richtete er insbesondere an den US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson (1856-1924), dessen 14 Punkte umfassendes Friedensprogramm einen vergleichsweise milden Frieden für Deutschland zu versprechen schien: Max von Baden zeigte sich zum einen bereit, in einen den Frieden sichernden Völkerbund einzutreten und bekundete zudem seine Bereitschaft, das von Deutschland besetzte Belgien vollkommen wiederherzustellen. Für deutsche Vasallenstaaten wie Litauen und Polen räumte er selbst gewählte Volksvertretungen ein und bekundete den unbedingten Willen zur inneren Demokratisierung Deutschlands. Daher habe er „in der Nacht zum 5. Oktober durch die Vermittlung der Schweiz an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika eine Note gerichtet“, in der er ihn bat, „die Herbeiführung des Friedens in die Hand zu nehmen“. Der neue Reichskanzler schloss mit den folgenden, authentische Friedensbereitschaft suggerierenden Worten: „Was mich selbst betrifft, so können meine früheren vor einem anderen Hörerkreise gehaltenen Reden bezeugen, dass sich in der Vorstellung, die ich von einem künftigen Frieden hege, keinerlei Wandlung mehr vollzogen hat, seitdem ich mit der Führung der Reichsgeschäfte beauftragt worden bin.“
Am 10. Oktober 1918 folgte diesen Worten einer der ersten Medienskandale des sich vollziehenden Demokratisierungsprozesses. Der Vetter des Prinzen, Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1862-1924), veröffentlichte am 10. Oktober einen Privatbrief Max von Badens, den der Reichskanzler im Januar 1918 an ihn verfasst hatte. Die in diesem Brief getätigten Aussagen konterkarierten von Badens friedfertige Äußerungen der Reichstagsrede vom 5. Oktober vollständig. Der Prinz hatte sich in seinem Privatbrief an Hohenlohe-Schillingsfürst gegen die parlamentarische Demokratie und jeglichen Verständigungsfrieden ausgesprochen und den Herrschaftsanspruch des Deutschen Reiches weiterhin hochgehalten. Der pazifistisch sozialisierte, in rechten und nationalen Kreisen verpönte Hohenlohe-Schillingsfürst hatte sich in den Kriegsjahren in die neutrale Schweiz zurückgezogen. Er nahm nun die Reichstagsrede vom 5. Oktober zum Anlass, ein anderes Licht auf die Friedensbekundungen des neuen Reichskanzlers und angeblich demokratischen Reformers zu werfen, dessen Friedenswillen nun vollends diskreditiert schien. Die Veröffentlichung sorgte für einen internationalen Skandal, der in den renommiertesten Zeitungen Englands, Frankreichs und den USA Niederschlag fand. Und auch in der Beziehung zu deutschen Politikern war das Vertrauen schwer erschüttert; insbesondere zu Friedrich Ebert (1871-1925), der Max von Baden großes Vertrauen entgegengebracht hatte.
Quelle
Die vorliegende Akte beinhaltet verschiedene Entwürfe, die Max von Baden mithilfe des Politikers, Pädagogen und engen Freundes des Prinzen, Kurt Hahn (1886-1974), für eine öffentliche Stellungnahme zu diesem Vorfall ausarbeitete. Den Texten gemein ist die Akribie, mit der Max von Baden argumentativ auf die ihm gemachten Vorwürfe einging und in welch hohem Maße er das ihm nunmehr anhaftende Image des Heuchlers zu entkräften versuchte. Er tat dies einmal im Rekurs auf die private Natur des Briefes, im Rahmen derer die Ausführungen an seinen Vetter in salopp-persönlichem Duktus gehalten worden seien. Zudem verwies der Reichskanzler auf jene Haltung, in der er seinem Vetter im Januar 1918 geschrieben hatte. So hätten der damalige britische Premierminister Lloyd George (1863-1945) sowie der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau (1841-1929) in ihren aggressiv-imperialistischen öffentlichen Bekundungen jeglichem Verständigungsfrieden den Weg verbaut. Er sei erbittert darüber gewesen, dass diese angeblich friedliebenden Systeme der Demokratie und des Parlamentarismus sich jeglichem Friedensschluss verweigert hätten. Schließlich artikulierte der Reichskanzler in dem Schreiben eine konservative Haltung, die für zahlreiche nationalkonservative Politiker der Weimarer Republik maßgeblich war: Er glaubte nämlich, „dass es für Deutschland ein Unglück wäre, nach fremden Mustern regiert zu werden und dass wir die Demokratie, die unserer Eigenart angepasst ist, nur aus uns selber hervorbringen können.“ Damit äußerte der Prinz eine im konservativen, tendenziell antidemokratisch eingestellten Lager weit verbreitete Kritik, nach der das politische System Deutschlands aus historischen Wurzeln der Geschichte zu erwachsen habe und die Demokratie nach westlichem Vorbild Deutschland nicht von außen, sprich von den Alliierten, schulmeisterlich auferlegt werden könne.
Die hier vereinten Schreiben sind von besonderer Bedeutung, da Max von Baden in der Öffentlichkeit zunächst bemüht war, die durch den Skandal verursachte politische Krise auszusitzen. Die Akte bietet jedoch Aufschlüsse, wie sehr von Baden hinter den Kulissen darum bemüht war, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften. So äußerte sich von Baden in den ersten Tagen des Briefskandals weder im Kabinett noch im Parlament zu dem Vorfall. Aber mithilfe zweier Juristen, namens Walter Simons (1861-1937) und Conrad Haußmann (1857-1922), sowie Kurt Hahn feilte der Reichskanzler an einer Erklärung. Diese verlas er am 12. Oktober im Interfraktionellen Ausschuss, dem Koordinationsgremium der Mehrheitsfraktionen des Reichstags, um die Gemüter der wie Friedrich Ebert misstrauisch gewordenen Politiker zu beschwichtigen. Seine Replik wurde später veröffentlicht und folgte der in den Entwürfen sowie in der Reichstagsrede entfalteten Argumentation, seine Haltung zu einem Frieden habe sich im Wesentlichen nie verändert. Zudem artikulierte er seine Bereitschaft, vom Amt des Reichskanzlers zurückzutreten; ein politisch kluger Schachzug, der den Prinzen im Amt hielt. Denn die Rede, für die die vorliegende Akte die Entwürfe liefert, half die Reputation des Kanzlers im Kreise führender Politiker, insbesondere jene der für den Übergangsprozess so wichtigen Mehrheitssozialdemokraten, einigermaßen wiederherzustellen. Zudem dämpfte sie auch in ihrem Rücktrittsangebot die Bereitschaft, in der Übergangsphase den Kanzlersturz zu betreiben.
GND-Verknüpfung: Versailler Vertrag [4063141-2]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Rechtfertigungsschreiben des Prinzen Max von Baden, 10.10.1918