Wahlen - Hermann Hummels Wahlkampf für die DDP

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Rede Hermann Hummels (DDP): Die Demokratie und die Aufgaben der Gegenwart, 18.12.1918 (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK O Nr. 718, 2 Flugblätter, Bild 1)
Rede Hermann Hummels (DDP): Die Demokratie und die Aufgaben der Gegenwart, 18.12.1918 (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK O Nr. 718, 2 Flugblätter, Bild 1)

Kontext

Wahlen zum Badischen Landtag fanden in der Weimarer Republik 1919, 1921, 1925, 1929 und 1933 statt. Am 12. November 1918 erließ der Rat der Volksbeauftragten einen Aufruf, in dem die Reichsregierung das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht auch für Frauen verkündete. Dieses trat am 30. November in Kraft.

Die ersten Wahlen zu einer verfassungsgebenden Landesversammlung am 5. Januar 1919 entschieden dabei grundlegend, ob es in Baden zu einer parlamentarischen Republik oder dem Erstarken kommunistischer Kräfte kommen sollte, die sich weiterhin für ein Rätemodell nach sowjetischem Vorbild einsetzten. Rechtliche Grundlage für die Wahlen bildete die von der provisorischen Volksregierung im Dezember 1918 erlassene Wahlordnung sowie für die Landtagswahlen das Landtagswahlgesetz vom 21. März 1919. Zwischen 1919 und 1933 waren zwischen 1,1 und 1,6 Million Badener stimmberechtigt. Jede Partei durfte dabei pro 10.000 Wählerstimmen einen Abgeordneten in den auf vier Jahre gewählten Landtag entsenden.

Die Wahlen zur badischen Nationalversammlung wurden von der provisorischen Volksregierung für den 5. Januar festgesetzt. Sie führten in Baden zur Bildung der sogenannten Weimarer Koalition aus Zentrum (39 Sitze), SPD (36 Sitze) und DDP (25 Sitze). Die DNVP, die sich in Baden Christliche Volkspartei nannte, errang sieben Sitze. Die Rätebewegung ging in Form der USPD, die gerade einmal 15.000 Stimmen und damit keinen Sitz im Parlament erhielt, klanglos unter. Mit einer Wahlbeteiligung von 88,1 % machten die Badener aktiv Gebrauch von ihren neu erworbenen demokratischen Teilhaberechten. Weimarer Koalitionen bildeten in Baden bis 1933 durchgängig die Regierung.

Die Verluste, die die Weimarer Koalition im Zuge der ersten Reichstagswahlen 1920 gegenüber republikfeindlichen Kräften hinnehmen musste (SPD minus 14,7 %, 20,1 %; Zentrum plus 0,2 %, 13,6 %; DDP minus 9,2 %, 12,3 %), wiederholten sich in den Landtagswahlen in Baden am 30. Oktober 1921 (Zentrum 34 Sitze, SPD 20 Sitze, DDP 7 Sitze). Die Weimarer Koalition blieb einerseits zwar regierungsfähig, andererseits hatte sie gegenüber den konservativen Kräften einen starken Stimmenverlust hinnehmen müssen. So fiel die DDP von 22,8 % auf 8,5 %, was einem Verlust von 25 auf sieben Mandaten entsprach. Das Zentrum konnte von seinen 39 noch 34 Mandate für sich beanspruchen. Die Christliche Volkspartei erhielt genauso viele Stimmen wie 1919 und konnte einen leichten Anstieg von 7 % auf 8,4 % verbuchen, blieb jedoch bei sieben Sitzen. Die DVP errang 6 %, der Badische Landbund 8,3 % und die USPD noch 3 %. Dennoch ermöglichte die weiterhin stabile Stimmenmehrheit der Weimarer Koalition eine problemlose Regierungsbildung.

 

Wahlkampfrede Professor Hermann Hummels (1876-1952, DDP)

Den Kampf um den Einzug in die badische Nationalversammlung führte neben den etablierten Parteien auch die neu entstandene Deutsche Demokratische Partei (DDP). Sie ging 1918 aus dem linken Flügel der während der Novemberrevolution zerfallenen Nationalliberalen Partei (NLP) hervor. Sie setzte sich aus dem linksliberalen Bürgertum sowie demokratischen Gruppen zusammen. Sie war im Wesentlichen eine Honoratiorenpartei des bürgerlichen Mittelstandes. Zu ihren Zielen gehörten der Schutz und die Verwirklichung von Verfassung und Rechtsstaatlichkeit sowie die Erziehung der Nation zu demokratischer Gesinnung. Dementsprechend gehörte sie zu den Grundpfeilern der Republik und des demokratischen Aufbaus. Dabei spielte die DDP vor allem in der Anfangsphase der Parlamentarisierung innerhalb der sogenannten Weimarer Koalitionen im Verbund mit Zentrum und Sozialdemokratie eine staatstragende Rolle. In Baden war diese Koalition bis 1931 an allen Regierungen beteiligt. Die 1919 auf Reichsebene drittgrößte Fraktion verlor jedoch ihre Wählergruppen vor allem durch das Umschwenken bürgerlicher Kreise auf rechtskonservative Bahnen ab 1921. Hinzu kam insbesondere die Verelendung der Mittelschicht in den Jahren der Inflation 1923 bzw. der Deflation und der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933. In Baden artikulierte sich dieser Abstieg im Zuge der Landtagswahlen 1919 bis 1929 in einem sukzessiven Verlust von 23 % (1919) auf 8,5 % (1921), von 8,7 % (1925) auf 6,7 % (1929). Wichtige badische Politiker der DDP waren Hermann Dietrich (1879-1954), der in der provisorischen Volksregierung 1918 das Außenministerium bekleidete, sowie der ebenfalls 1918 in der provisorischen Volksregierung als Kultusminister agierende Hermann Hummel (1876-1952).

Die hier präsentierte Rede hielt der studierte Chemiker und Angehörige der provisorischen Volksregierung Hummel während einer öffentlichen Wählerversammlung der DDP am 18. Dezember 1918 im Konzerthaus zu Karlsruhe. Sie ist im Kontext der für den 5. Januar 1919 angesetzten badischen Nationalversammlung zu verstehen, für die Hummel programmatisch Grundsätze der DDP zu formulieren und damit Wählerschichten zu akquirieren versuchte. Die Rede bildete zudem eine Reaktion auf die in Mannheim und Karlsruhe stattfindenden revolutionären Bestrebungen der Rätebewegung.

Entsprechend des revolutionären Kontextes, in dem die Rede gehalten wurde, unternahm Hummel einen parteipolitischen Grenzgang, auf dem er die DDP im Verbund mit der Sozialdemokratie in der politischen Mitte anzusiedeln versuchte. Dabei profilierte er sich vor allem gegen den Militarismus wilhelminischer Schule einerseits sowie den derzeit aktiven Kommunismus sowjetischer Prägung andererseits. So habe der Wilhelminismus mitsamt seiner Kriegsbereitschaft die weltpolitische Lage falsch eingeschätzt und damit das alte Klassensystem in den Abgrund gestürzt. Dabei wehrte sich Hummel vehement gegen die, vor allem von führenden Militärs wie Erich Ludendorff, in die Welt gesetzte Dolchstoßlegende, wonach die Heimatfront mit ihren Munitions- und Fabrikstreiks dem angeblich kurz vor dem Sieg stehenden Heer in den Rücken gefallen sei. Vielmehr versuchte sich Hummel in einer Richtigstellung der Gründe für die Kriegsniederlage, indem er die Schuld an Ausbruch und Niederlage bei den Militärs verortete. Dabei richtete er sich insbesondere gegen Ludendorff, dessen berühmtes Diktum vom 1. Oktober 1918 im Kreise der Obersten Heeresleitung Schlagzeilen gemacht hatte. Ludendorff hatte demokratischen Politikern die Schuld an der sich abzeichnenden Kriegsniederlage gegeben und angesichts der von den Alliierten zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen verlangten Parlamentarisierung gefordert, nun „diejenigen Kreise an der Regierung zu beteiligen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit [zur Kriegsniederlage, d. A.] gekommen sind. Sie sollen die Suppe essen, die sie uns eingebrockt haben." Hummel attackierte Ludendorff, dieser habe im Rahmen der Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen eklatante Fehler begangen. So hätten durch einen geordneten Rückzug sowie durch hinhaltendes Taktieren gegenüber der Entente womöglich bessere Friedensbedingungen ausgehandelt werden können.

Hummels Vorwürfe gegenüber den militärisch Verantwortlichen speiste sich nicht zuletzt aus der Unterzeichnung des Waffenstillstands in Compiègne am 11. November 1918 durch Staatssekretär Matthias Erzberger (1875-1921) sowie Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925). Diesen Exponenten der Weimarer Republik erwuchs in antidemokratischen Kreisen anschließend der Vorwurf, sie hätten als Vertreter der Republik den ‚Schmachfrieden‘ geschlossen und damit jene Suppe rechtmäßig, weil selbstverschuldet, ausgelöffelt, von der Ludendorff so despektierlich gesprochen hatte. Denn damit waren es Vertreter der sich entwickelnden Demokratie und nicht etwa Militärs oder die politische Elite des Kaiserreichs gewesen, die den ‚Schmachfrieden‘ geschlossen hatten. Dieses Odium, gegen das Hummel bereits in dieser frühen Phase vorzugehen versuchte, sollte der Weimarer Republik bis zu ihrem Ende anhaften. Dementsprechend betonte Hummel die Verantwortung der DDP und der SPD beim Aufbau des neuen, demokratischen Staates, mit dem allein die Entente bereit sein werde, dauerhaft Frieden zu schließen. Mit der alten Elite oder einer kommunistischen Rätebewegung werde ein solcher Frieden kaum möglich sein.

Als politische Ziele nannte Hummel den Eintritt in einen friedensichernden internationalen Völkerbund, der vor allem auf die Idee des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zurückging. Entsprechend der liberalen Ausrichtung der DDP trat Hummel für eine weitestgehend von gesetzlichen Regulierungen befreite und selbständige Wirtschaft ein. Obgleich er damit einer kommunistischen Rätediktatur und einer sozialistischen Wirtschaftsform abermals eine dezidierte Absage erteilte, zeigte sich Hummel doch offen für Sozialisierungsmaßnahmen; etwa in kleinen bäuerlichen Betrieben oder insbesondere hinsichtlich der Idee, eine sogenannte Kriegsgewinnsteuer einzuführen.

Hummel wandte sich zudem an die Arbeiterschaft: Dieser gelte es in einem aufzubauenden Sozialstaat bürgerliche Freiheiten einzuräumen. Solche Äußerungen waren in den politischen Reden der Nationalliberalen Partei, der Vorläuferpartei der DDP, keineswegs selbstverständlich gewesen. Die Forderung, Arbeiter in das Projekt einer nach der Kriegsniederlage neu aufzubauenden deutschen Nation zu integrieren, bildete ein Novum des sich in den 1920er Jahren entfaltenden politischen Diskurses. An diesem mussten sich neben Arbeiterparteien wie der KPD oder der SPD auch all jene Parteien beteiligen, die, wie die DDP, Volksparteien sein wollten. Hummel tätigte diese Aussagen sicherlich auch angesichts des Drucks der Rätebewegung in Karlsruhe und Mannheim im November 1918. Doch nach dem freiwilligen Kriegseinsatz von tausenden von Arbeitern während des Weltkrieges und insbesondere mit dem Einzug der SPD in die Reichs- und Landesregierungen war die Arbeiterschaft als politische Macht und Wählerschicht nicht mehr zu ignorieren. Daher ließ sich die Sozialdemokratie nach 1918 nicht mehr so leicht aus Nationalisierungstendenzen ausgrenzen, wie es beispielsweise noch Bismarck durch die Sozialistengesetze 1888 bis 1890 bzw. Wilhelm II. durch eine verbesserte Sozialgesetzgebung versucht hatten. Mit Blick auf die Situation in Baden 1918 stellte Hummels Rede daher den durchaus gelungenen Versuch dar, im Verbund mit der Sozialdemokratie für einen demokratischen Staatsaufbau zu werben. Eine politische Ordnungsvorstellung, die im Dezember 1918 noch keine eindeutige Mehrheit besaß.

GND-Verknüpfung: Wahlen [4064286-0]

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