Parteien
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Parteien in Württemberg/wichtige Vertreter
Bis zum November 1918 gehörten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) und vor allem die Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) zu den wichtigsten Kräften des politischen Umwälzungsprozesses in Württemberg. Ihre in der provisorischen Regierung tätigen Mitglieder brachten das Land nach der Kriegsniederlage auf den Weg zur Wahl einer Verfassunggebenden Landesversammlung. Diese führte im Januar 1919 zur Bildung des demokratischen Freien Volksstaates Württemberg. Ein wichtiger Vertreter war Wilhelm Josef Blos (1849-1927, MSPD), der als Ministerpräsident der provisorischen Volksregierung vom 9. November 1918 bis zum 12. Januar 1919 und als erster Staatspräsident Württembergs von 1919 bis 1920 amtierte. Zu den führenden Köpfen zählte ferner Wilhelm Keil (1870-1968, MSPD), der sich von 1900 bis 1918 als Landtagsabgeordneter in der zweiten Kammer der württembergischen Landstände engagiert hatte. 1919/20 hatte er den Vorsitz der Verfassunggebenden Landesversammlung inne und gehörte bis 1933 dem Landtag an, in dem er die SPD-Fraktion anführte. Keil wirkte zudem auf Reichsebene. Von 1910 bis 1918 saß er für Württemberg im Reichstag. 1919/20 beteiligte er sich an der Weimarer Nationalversammlung und war bis 1932 Reichstagsabgeordneter. Nach der Wiedervereinigung der MSPD mit der USPD 1920 gehörte die SPD in Württemberg neben dem Zentrum mit rund 20 % Stimmenanteil zu den politisch dominanten Parteien. Sie war bis auf eine kurze Unterbrechung im Kabinett Hieber bis 1924 an allen Landesregierungen beteiligt.
An der provisorischen Volksregierung wirkten ebenfalls bürgerliche Kräfte der liberalen Fortschrittlichen Volkspartei (FVP) und der Nationalliberalen Partei (NLP) mit. 1918 gründete sich auch in Württemberg aus Teilen der NLP und insbesondere der FVP die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP). Zu ihren Exponenten gehörte in Württemberg beispielsweise Friedrich Payer (1847-1931), der sich 1893 bis 1912 als Mitglied in den württembergischen Landständen engagiert hatte. Von 1877 bis 1918 hatte er mit kurzen Unterbrechungen für Württemberg dem Reichstag angehört, ab 1919 war er Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Zu erwähnen ist ebenfalls Conrad Haußmann (1857-1922), der von 1889 bis 1918 der zweiten Kammer der württembergischen Landstände sowie bis 1922 dem Landtag des Freien Volksstaates als Abgeordneter angehört hatte. Von 1890 bis 1918 verfügte er über ein Mandat im Reichstag. Die DDP gehörte bei den Landtagswahlen mit rund 15 % Stimmenanteil zu den wichtigsten Parteien. Bis 1924 war sie an allen Landesregierungen beteiligt.
Mit dem Zentrum befanden sich zudem konservative Vertreter in der provisorischen Regierung. Führende Köpfe waren hier beispielsweise Johann Baptist von Kiene (1852-1919), der sich 1894 bis 1918 in der zweiten Kammer der württembergischen Landstände engagiert hatte. 1919 verfügte er über ein Mandat in der Verfassunggebenden Landesversammlung sowie über das Portefeuille des Justizministers. Ein wichtiger Vertreter des Zentrums war zudem Eugen Bolz (1881-1945). Er nahm 1912 bis 1918 Mandate im Reichstag sowie in der zweiten Kammer der württembergischen Landstände wahr. Von 1919 bis 1933 engagierte er sich in der Nationalversammlung, im Reichstag sowie im württembergischen Landtag. 1919 amtierte er als württembergischer Justizminister und 1923 als Innenminister. Den Höhepunkt seiner politischen Karriere erlebte er 1928 bis 1932 als Staatspräsident von Württemberg.
Die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) war von 1928 bis 1933 an den Landesregierungen beteiligt. Bis 1924 gewann sie in den Landtagswahlen rund 4 % der Stimmen. Die rechtskonservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) nannte sich in Württemberg bis 1924 Konservative Bürgerpartei. Sie lag bis 1924 bei rund 10 % der Stimmen und war von 1924 bis 1933 an allen Landesregierungen beteiligt. Der Württembergische Bauern- und Weingärtnerbund (WBWB) konnte bei den Landtagswahlen als agrarische Interessenvertretung rund 19 % der Stimmen holen. Er bildete eine enge Fraktionsgemeinschaft mit der Bürgerpartei, mithilfe derer er Einfluss auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen vermochte.
Die Angehörigen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) hatten in ihrer Vorgängerorganisation, dem Spartakusbund, zu den fundamentaloppositionellen Kräften der neu entstehenden Republik Württemberg gezählt. Sie kämpften für die Verwirklichung einer Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Zu den führenden Köpfen der württembergischen KPD zählten 1919 bis 1920 Edwin Hoernle (1883-1952) und ab 1924 Johannes Stetter (1885-1963). Zentrales Presseorgan der KPD war die Süddeutsche Arbeiterzeitung. Seit den Landtagswahlen von 1924 lag sie bis 1933 bei durchschnittlich 9 % der Wählerstimmen.
Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) trat in Württemberg erstmals 1924 als Völkisch-sozialer Block (VSB) in Erscheinung und gewann 4 % der Wählerstimmen. Bei den Landtagswahlen 1928 konnte sie als Splitterpartei nur 1,8 % der Stimmen erzielen.
Die Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung im Januar 1919, die mit dem allgemeinen, geheimen und direkten Verhältniswahlrecht auch Frauen politische Partizipation ermöglicht hatte, führten zu 13 Mandatsträgerinnen. Wichtige Vertreterinnen waren hier etwa die Schriftstellerin Mathilde Planck (1861-1955, DDP) sowie Clara Zetkin (1857-1933, USPD, KPD).
Überwachung der KPD im Oberamt Ludwigsburg 1923/24
Überwachungstätigkeiten des Polizeipräsidiums und des Oberamts Ludwigsburg liefern Aufschluss bezüglich der Aktivitäten der von November 1923 bis März 1924 kurzzeitig verbotenen KPD. Mit Blick auf die Reichsebene hatte die französische und belgische Besetzung des Ruhrgebiets zur Ausrufung des passiven Widerstands durch die Reichsregierung geführt. Dieser Schritt beschleunigte die Hyperinflation. Die sich daraus entfaltenden politischen Probleme hatte die KPD zu nutzen gehofft, um ihre Vorstellung einer Räterepublik doch noch realisieren zu können. In Hamburg, Sachsen und Thüringen waren von der KPD Aufstandspläne gegen die Reichsregierung ausgearbeitet worden. Diese Planungen führten vom 20. November 1923 bis März 1924 zum reichsweiten Verbot der KPD. Auch in Württemberg hatte die KPD Aufstandspläne gehegt, weshalb einer ihrer führenden Köpfe, Johannes Stetter (1885-1963), zu Beginn des Jahres 1924 verhaftet wurde.
Das Parteiverbot führte im Oberamt Ludwigsburg zur Überwachung von Versammlungen, Feiern, öffentlichen Einrichtungen sowie Veranstaltungen, die der KPD nahestanden. Das Oberamt Ludwigsburg, das dortige Polizeipräsidium und das württembergische Innenministerium standen diesbezüglich im regen Austausch. Betroffen waren Sportveranstaltungen des kommunistisch gesinnten sogenannten Arbeitersportkartells Groß-Ludwigsburg, Versuche, Jugendliche mit Flugblättern für die Errichtung einer württembergischen Räterepublik zu gewinnen, sowie Versammlungen von Eisenbahnern, auf die die verbotene Partei weiterhin Einfluss zu nehmen versuchte. Weitere überwachte Veranstaltungen bildeten die jährlichen, reichsweit stattfindenden Großveranstaltungen der Kommunisten wie die Friedensdemonstration „Krieg dem Kriege“. Die traditionelle „Kommunistische Kampfwoche“ fand in Ludwigsburg jedoch nicht statt. Zu größeren Einsätzen der Polizei kam es in Württemberg kaum: Sie begnügte sich mit dem Entfernen von Maueranschlägen, die zum Krieg gegen das Bürgertum aufforderten. Selbst der Tod Lenins (1870-1924) am 24. Januar 1924 sowie der 1. Mai als Tag der Arbeit führten kaum zu nennenswerten kommunistischen Veranstaltungen, die die Polizei hätte unterbinden müssen. Insgesamt bestätigt sich am Beispiel des Oberamts das bisher in der Forschung für Württemberg gültige Urteil, dass es trotz des Parteiverbots ruhig im Land blieb. Das Verbot verhalf der KPD nach seiner Aufhebung sogar bei der Landtagswahl 1924 zu ihrem größten Erfolg. Mit einem Wahlergebnis von 11,7 % vermochte die KPD der SPD zahlreiche Stimmen abspenstig zu machen, wobei letztere nur auf 16 % der Stimmen kam.
GND-Verknüpfung: Parteien [4044737-6]