Nähbücher für die Hausfrau. Reformer im Ersten Weltkrieg zwischen Politik und Pragmatik.

Von Carmen Anton

Porträt einer Sitzenden bei Handarbeit, 1866 [Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe]

Porträt einer Sitzenden bei Handarbeit, 1866 [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, Signatur: 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 563]
 

Im Laufe des 19. Jahrhunderts vereinnahmten die erstarkenden bürgerlichen Kreise bestimmte Formen der Handarbeit – namentlich vor allem Sticken, Stricken und feine Näharbeiten – für sich als Form des Müßigganges. Damit griffen sie zurück auf eine Praxis, welche in früheren Jahrhunderten der Adel pflegte. Dort waren Sticken und kunstvolle Näherei zur Zierde noch bis ins 18. Jahrhundert hinein ein verbreiteter Zeitvertreib für Damen gewesen. Er galt als tugendhaft und somit repräsentativ, was dem Selbstverständnis des Bürgertums entsprach.

Das gestiegene Ansehen der Handarbeit als Statussymbol erhob diese zu einer der wenigen tatsächlich anerkannten und schicklichen - obgleich auch in diesen Kreisen spärlich bezahlten und somit keine vollwertige Autonomie gewährleistenden - Erwerbsformen für Mädchen und Frauen des Bürgertums. Eine veränderte Gewichtung, die umso bizarrer scheint, bedenkt man das zuvor Jahrhunderte lang gepflegte Bild des Schneiders und Nähers als körperlich schmächtiger Mensch, der für alle anderen Arbeiten als ungeeignet erachtet wurde. Da seine Werke keine besondere Körperkraft verlangten, war der Berufsstand häufig Ziel des Spotts anderer Handwerker gewesen. Erklärlich wird die erwähnte Umdeutung dadurch, dass die Industrialisierung Stoffe und fertige Konfektionskleidung weit zugänglicher und günstiger werden ließ, als dies zuvor der Fall war. Nähen, Klöppeln und Sticken waren für viele Menschen keine Notwendigkeit mehr und konnten somit zur Luxustätigkeit avancieren. Entsprechend ist es auch kein Zufall, dass in diese Epoche auch die Entwicklung der Haute Couture, der sich selbst als glamouröse Kunst zum Anziehen verstehenden Designerkleidung, in Paris fällt. Kleidung vollzog endgültig die Differenzierung in pragmatische, buchstäblich handelsübliche Gebrauchsgüter, zweckgebundene Repräsentationsgegenstände, wie beispielsweise Uniformen, und schließlich extravagante von Ästhetik und Mode bestimmte Genussobjekte.

Boudori-Nähkästchen der Zarin Maria Feodorowna, Stuttgart, 1796 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]
Boudoir-Nähkästchen der Zarin Maria Feodorowna, geborene Prinzessin Sophie Dorothee von Württemberg, Stuttgart, 1796 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]

Aufgrund seiner Funktion als notwendiges Handwerk für weniger betuchte Familien einerseits und kreativer Zeitvertreib für wohlhabende Frauen andererseits verwundert es nicht, dass um 1900 auch zahlreiche Publikationen - gerade auch aus dem Umfeld der Lebensreform - das Nähen zum Thema machten. Diese sind jedoch nicht immer als einzig praktische Lektüre zu verstehen. Vielmehr können Ratgeber für heimische Näherei und Schneiderei als Texte, die sich einem tief im Alltag verwurzelten Themengebiet annehmen, auch Einblicke in die Lebensumstände der Zeitgenossen gewähren. Dies gilt vor allem auch für jene Bücher, die während des Ersten Weltkriegs erschienen, denn sie gehen schon aus pragmatischen Gründen ganz genau auf die für diese Zeit bestimmenden und die Möglichkeiten der Heimnäherin prägenden Lebensbedingungen ein. Aber auch ideologische Aspekte lassen sich in diesem Kontext ablesen, die weit über die Schneiderei selbst hinaus deuten.

Vom Krieg in der Mode

Ida Hornung: Wie schneidere ich selbst? 3. Auflage von 1918 [Quelle: Badische Landesbibliothek Karlsruhe]
Ida Hornung: Wie schneidere ich selbst? 3. Auflage von 1918 [Quelle: Badische Landesbibliothek Karlsruhe]

Mit dem Ersten Weltkrieg brachen über das Deutsche Reich vielfältige wirtschaftliche Belastungen herein. Der Lebensunterhalt wurde zusehends kostspieliger, Importe waren nicht länger möglich und so wurden neben den Lebensmitteln auch Stoffe und Bekleidung geradezu unerschwinglich. Ihre Preise stiegen bis hin zur Verdopplung.

In diesem gesellschaftlichen Klima gelangte Ida Hornungs in Stuttgart erschienener Näh-Ratgeber „Wie schneidere ich selbst?“ 1918 zu seiner dritten Auflage. Das Vorwort datiert ihn auf den Oktober des Jahres und somit in die letzten der entbehrungsreichen Kriegswochen. Darin enthalten sind Illustrationen und Schnittmuster für die heimische Anfertigungen von Kinder- und Frauenkleidung aus alten, aufgetragenen oder unmodern gewordenen Stücken. Die Autorin hatte schon vor dem Krieg recht erfolgreich Nähbücher veröffentlicht, die mitunter Auflagen im zweistelligen Bereich erzielten. Doch neben den praktischen Anweisungen für die heimische Näherin enthält das Buch auch Einblicke in den Zeitgeist seiner Epoche.

So thematisiert Hornung die Situation an der Heimatfront und leitet die Relevanz ihres Ansatzes, Frauen einen Weg zu eröffnen alte Kleidung zu neuer umzuarbeiten, davon ab. Sie verweist auf die Notwendigkeit an dem durch die Entbehrungen der Kriegszeit verknappten Material wie auch an Kapital zu sparen, mahnt gar, sich nicht finanziell zu verausgaben um zu gefallen und modisch zu bleiben. Außerdem ermutigt sie Mütter dazu, ihren Töchtern den Besuch von Nähstunden zu gestatten, da sie hierin eine privat nützliche und potenziell auch beruflich förderliche Tätigkeit verortet.

Hornung gibt sich offen als Kritikerin des Korsetts und opulenter Kleidung zu erkennen, die für die Verbreitung der Reformmode eintritt. Dies tut sie unter dem Banner einer „neuen deutschen Mode“, die es laut ihr zu begründen gilt. Diese sollte sich von der stilistischen Abhängigkeit der im Krieg ohnehin nicht verfügbaren Modezentren Frankreich und England lösen. Aus dieser Prämisse folgert Hortung eine regelrechte ethische Verpflichtung jeder Frau an diesem angestrebten Wandel zu partizipieren. Korsetts tituliert sie als „Panzer, die den ganzen Körper bis an die Knie einpressen und Lunge und Beckenorgane schwer schädigen“ und somit ihrem Ideal einer gesunden Frau und Mutter empfindlich entgegenstehen. Ihre Perspektive deckt sich diesbezüglich mit den Argumenten der Lebensreform zugehöriger Ärzte ihrer Zeit.
Entsprechend wird die Korsettsilhouette als hässlich und geschmacklos gebrandmarkt, interessanterweise Bezug nehmend auf die Außenwarte, denn weder Künstler noch vernünftige Menschen, mit denen sie die als gegensätzlich wahrgenommenen Typen Schöngeist und Rationalist stellvertretend für die Gesamtgesellschaft hervorhebt, können ihrer Warte nach etwas Gefälliges an dieser Form finden. Die leidenschaftlichen Worte der Autorin verweisen dabei neben der Verdeutlichung ihrer eigenen Überzeugungen spannenderweise darauf, dass auch gegen Ende des Ersten Weltkrieges das Korsett als Kleidungsstück wenigstens im süddeutschen Raum, in dem ihr Text verlegt wurde, offenkundig noch lange nicht ausgedient haben dürfte, da alles andere einen solchen Appell überflüssig gemacht hätte. Da die Nähanweisungen jedoch auf Anregungen zu Anfertigung eines Korsetts konsequent verzichten, lässt sich nicht schlüssig herleiten, welcher Korsettschnitt konkret kritisiert wurde. Das Verdammen einer bis zum Knie beklemmenden Mode und ihr häufiger Bezug auf zuletzt moderne, indes viele Figuren nicht gut kleidende enge Röcke, scheinen konform mit den allgemeinen Schemata der Modeentwicklung der 10er-Jahre, denn 1917 waren die Röcke in der Mode verglichen mit früheren Linien recht eng geworden. Die kritisierte Versteifung könnte auf die damals übliche Praxis abzielen, dass Strumpfgurte an den Korsetts befestigt wurden und somit eine gewisse Spannung auf die Gliedmaßen übertrugen.

Ihren Standpunkt vertritt Hornung vehement und nicht ohne sich militärischen Vokabulars zu bedienen. Sie fordert den „Befreiungskrieg von fremdländischer Mode“ und die Partizipation jeder deutschen Frau darin. So wird Mode politisiert, klar in deutsch und nichtdeutsch unterteilt und damit die nationalistische Gesinnung der Verfasserin klar und deutlich artikuliert.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie sehr alltägliche Vorgänge doch politisiert und ideologisch aufgeladen werden können. Unverhohlen offenbaren Hornungs Schilderungen Appelle zum offensiven Nationalismus im alltäglichen Leben ebenso, wie eine Militarisierung der Sprache, die ferner Indikator für weiterreichende Thesen, wie beispielsweise die Militarisierung der Gedankenwelt sein könnte. Somit ist ihr Nähratgeber gewissermaßen auch ein ideologisches Manifest für ihr persönliches Modebild als Teil der Lebensreform und zugleich ein Appell zum Ertragen des Krieges sowie dazu, gewissenhaft und praktisch das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Damit handelt es sich schließlich und endlich auch um eine Durchhalteparole, gezielt adressiert an Frauen und Mädchen.

 

Frauenkleidung als Schauplatz von Kulturkämpfen

Emilie Cadenbach: Kleid der Frau als Ausdruck deutschen Wesens und deutscher Kultur. 1916 [Quelle: Badische Landesbibliothek Karlsruhe]
Emilie Cadenbach: Kleid der Frau als Ausdruck deutschen Wesens und deutscher Kultur, 1916 [Quelle: Badische Landesbibliothek Karlsruhe]

In ähnlicher Weise wie Hornung äußerte sich auch Emilie Cadenbach in ihrem 1916 abgedruckten Vortrag „Kleid der Frau als Ausdruck deutschen Wesens und deutscher Kultur“. Auch sie postulierte die Notwendigkeit der Entwicklung einer originär deutschen Modekultur, mit der die Abhängigkeit vor allem von Frankreich, aber auch von England aufgelöst werden müsse um eine kulturelle Vormachtstellung Deutschlands international zu verfestigen, statt sich anderen unterzuordnen. Der vermeintliche Anspruch auf kulturelle Hegemonie des Deutschen Reiches ist bezeichnend für die Gesinnung und vor allem auch die Identifikation der Verfasserin mit ihrem Staat. Damit stellen die hier genannten Autorinnen keine Einzelfälle ihrer Zeit da, sondern stehen vielmehr noch in der Tradition des Gedankengutes, welches 1871 überhaupt erst zur Reichsgründung beigetragen hatte und durch die Erinnerungspolitik des Deutschen Kaisers in der Folgezeit weiter kultiviert worden war.

Das Werk enthält die Empörung seiner Verfasserin über das bis zur Hybris übersteigerte Selbstbewusstsein der Pariser Modeschöpfer, aber auch über die deutschen Konsumenten, die ihnen Recht geben und es kaum erwarten können, nach Kriegsende wieder von dort ihre Kleidung zu beziehen.

Cadenbach erkennt zwar die Eleganz französischer Moden der vorangegangenen zwei Jahrhunderte an, kritisiert aber davon abgesehen die dortigen Kreationen beinahe auf allen Ebenen scharf.

Moralischen Anstoß und beinahe Ekel äußert sie über den argentinischen Tango und eine diesem Tanz angepasste Kleiderform mit hohem Beinschlitz im Rock, welche kurz vor dem Krieg in Frankreich aufgekommen sei. Sie sieht in dieser Kleidung etwas Herabwürdigendes, im französischen Stil generell unerhörte Gefallsucht und wähnt die Frau durch ihn auf ein reines Objekt der Begierde reduziert. Alle Individualität gehe dieser Mode vollständig ab, zumal sie ausschließlich für junge Frauen zugeschnitten sei und Jugend somit zum Postulat, das „Puppengesicht“ gar zur Uniform erhebe. Ferner echauffiert sie sich über die französische Textilindustrie und ihre Massenware, deren Erfolg sie auf die Unfähigkeit zur Eigenproduktion vieler Frauen zurückführt und unterstellt der französischen Bekleidung einen Hang zur Schädigung der Gesundheit ihrer Trägerinnen, sei es durch Enge, Überbelastung durch das Gewicht großer Stoffmassen oder gar das Formen des Körpers durch Kleidung. Dementsprechend überrascht es nicht, wenn auch diese Verfasserin sich als Anhängerin der Reformkleidung zu erkennen gibt und wie Emmy Schoch Teil des Verbandes für deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur, vormals auch bekannt als Verband zur Verbesserung der Frauenkleidung, war. Ihre medizinischen Bedenken stützt sie dabei auf die Ansichten des in Karlsruhe praktizierenden und 1912 dort verstorbenen Mediziners Anton Gutsch.

Neben dem entschiedenen Eintreten für nationalistisch gefärbte Modekonzepte fällt in Cadenbachs Beitrag auch der explizite Appell an die idealisierte Vorstellung der Frau als bis zur Selbstaufgabe hingebungsvolle Verfechterin eines Kulturkampfes auf. Allgemeinwohl vor Eigenwohl lautet ihre Parole knapp zusammengefasst und entspricht damit ganz dem preußisch geprägten Leitspruch der Zeit, wie er Kaiser Wilhelm I. zugeschrieben wird. Diesem Anspruch untergeordnet begreift die Verfasserin auch die von ihr hoch gepriesene Frauenbewegung. Ihre Bezugnahme dokumentiert, dass die Frage der Frauenkleidung in Baden offensichtlich nicht ausschließlich in künstlerischen Milieus und dem lokalen Frauenverein thematisiert wurde, sondern auch lokale Ärzte ihre Stellungnahme hierzu abgaben.

Aus heutiger Perspektive mag überraschen, dass für die Autorin vor allem die Rolle der Frau als Hüterin von Kultur und Tugend sowie Mutter entscheidend war, wohingegen die Erwerbstätigkeit der Frau als eher bittere Notwendigkeit gedeutet wurde.

Zu den Kernstücken des Vortrags Cadenbachs zählt weiterhin ihre Darlegung der Wichtigkeit und idealen Konzeption des Sportunterrichts für Mädchen, der den Körper stärken, aber auch allgemeine Kenntnisse über Anatomie, Gesundheit und Hygiene vermitteln solle. Dazu sind zwingend adäquat geschulte Lehrerinnen nötig. Überhaupt tritt eine starke Überzeugung von der unabdingbaren Verbundenheit zwischen Kleidung und Gesundheit in ihrem Plädoyer zutage, die gleichzeitig nur gemeinschaftlich echte Anmut hervorbringen können.

Alles wird dem Prinzip der Symbiose aus Pragmatik und Ästhetik untergeordnet, dass also das Nützliche schön ausgestaltet, aber nicht besonders verziert sein soll. Natürlichkeit, Sachlichkeit und dadurch errungene, als deutsch verstandene Eleganz sind der Verfasserin von höchster Bedeutung und werden mit Vernunft gleichgesetzt.

Literatur

  • Ehrmann-Köpke, Bärbel, "Demonstrativer Müßiggang" oder "rastlose Tätigkeit"? Handarbeitende Frauen im hansestädtischen Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Internationale Hochschulschriften, Band 546, Münster 2010.
  • Hausen, Karin, Zur Sozialgeschichte der Nähmaschine. Technischer Fortschritt und Frauenarbeit im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 4, Wiesbaden 1978, S. 148-169.
     

Zitierhinweis: Carmen Anton, Nähbücher für die Hausfrau. Reformer im Ersten Weltkrieg zwischen Politik und Pragmatik, in: Alltagskultur im Südwesten. URL: [...], Stand: 20.11.2020

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