Kriegstagebücher

Von Rainer Brüning

Feldzugsjournal des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, verfasst von General Graf Ferdinand von Harsch (1693), (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 46 Nr. 3743)
Feldzugsjournal des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, verfasst von General Graf Ferdinand von Harsch (1693), (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 46 Nr. 3743)

Definition der Quellengattung

Ein Kriegstagebuch ist eine offiziell oder inoffiziell geführte tägliche Aufzeichnung zum Kriegsgeschehen.

Historische Entwicklung

Kriegstagebücher, Feldzugsjournale und -diarien gab es schon in der Frühen Neuzeit. Sie unterlagen keiner festgelegten Form und konnten sowohl einen offiziellen, offiziösen oder privaten Charakter aufweisen. Zu nennen wären hier z.B. die Kriegstagebücher des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, bekannt als der Türkenlouis, die von seinen Feldzügen gegen Osmanen und Franzosen an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert berichten und teilweise sogar Karten enthielten.[1] Aber auch die offiziellen Kriegstagebücher der Napoleonischen Zeit wie noch der Kriege von 1866 und 1870/71 waren weit entfernt von einer Standardisierung: Einer Datumsangabe folgte jeweils ein frei formulierter Text, der die wesentlichen kriegerischen Ereignisse des Tages zusammenfasste. Der Rest blieb mehr oder weniger den Vorstellungen des jeweiligen Verfassers überlassen. Nach 1870/71 wurde jedoch auf militärischem Gebiet der preußische Einfluss in Baden und Württemberg dominierend. Während sich Württemberg noch einige militärische Reservatrechte (XIII. Armeekorps) erhalten konnte, wurde die badische Armee direkt in die preußische (XIV. Armeekorps) eingegliedert. Maßgeblich für die massenhaft verfassten offiziellen Kriegstagebücher des Ersten Weltkriegs war daher zunächst die Verfügung des preußischen Kriegsministeriums vom 18. Juni 1895, die die bisherige Anordnung vom 17. August 1870 ersetzte, welche wiederum auf den Bestimmungen vom 22. April 1850 basierte. Neben diese amtlichen traten im 19. Jahrhundert vermehrt private Aufzeichnungen. Eine verstärkte Überlieferung privater Kriegstagebücher auch von einfachen Kriegsteilnehmern setzte anscheinend mit dem Krieg von 1870/71 ein und steigerte sich im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Nun wurde nicht mehr allein von der Front, sondern im Zeichen des totalen Krieges von Zivilisten und Frauen auch über die Lage daheim berichtet.[2] Tagebücher konnten darüber hinaus als Grundlage für weitergehende Darstellungen, Feldzugs- und Regimentsgeschichten oder Memoiren dienen, wie z.B. die Denkwürdigkeiten des Markgrafen Wilhelm von Baden (Hochberg) belegen, der als junger Mann am Russlandfeldzug Napoleons teilgenommen hatte.[3]

Aufbau und Inhalt

Die Verfügung des preußischen Kriegsministeriums vom 18. Juni 1895 definierte den doppelten Zweck der offiziellen Kriegstagebücher wie folgt:[4]

a) Schaffung einer Grundlage für die Geschichtsschreibung, sowie für die historische Würdigung des Verhaltens und der Leistungen der Führer und Truppenteile.

b) Sammlung bemerkenswerter Beobachtungen und Erfahrungen zum Zweck späterer Nutzbarmachung derselben durch das Heer.

Alle mobilen und teilweise auch die immobilen Truppenteile hatten, insofern sie als selbständige Formationen agierten, vom Tag des Mobilmachungsbefehls bis zum Abschluss der Demobilmachung ein Kriegstagebuch zu führen. Ein bestimmtes Muster für die Form wurde dabei nicht vorgegeben. Der Inhalt sollte sich auf das Wesentliche beschränken. Dem Tagebuch voranzuheften waren die Bestimmungen zu dessen Führung sowie eine Liste der Offiziere, Sanitätsoffiziere und Beamten. Dauernd zu berücksichtigen waren die Angaben über Personen- und Pferdestand, die Zugehörigkeit des einzelnen Truppenteils in der Ordre de Bataille, bemerkenswerte Nachrichten und Befehle sowie die kriegerische Tätigkeit als solche. Auch besondere Beobachtungen und Erfahrungen durften hier einfließen. Einzelne Gefechtsberichte und sonstige Unterlagen konnten als Beilagen angefügt werden, ebenso Angaben zu den Verlusten. Für die Richtigkeit der Eintragungen garantierte abschließend die Unterschrift des jeweiligen Befehlshabers.

Im Laufe des Ersten Weltkriegs sollte sich jedoch erweisen, dass die Bestimmungen von 1895 nicht die erhoffte Wirkung zeitigten, sondern dass weiterhin eine große Variationsbreite bei Form und Inhalt der Kriegstagebücher zu beobachten war, deren Unvollständigkeit und Lückenhaftigkeit die Vergleichbarkeit und Auswertung erschwerte bzw. unmöglich machte. Ein Missstand, auf den der Chef des Generalstabes des Feldheeres unter Verweis auf die Felddienstordnung von 1908 Ziffer 75 bereits am 15. Februar 1915 aufmerksam machte. Dieser Fehlentwicklung sollte der Erlass des preußischen Kriegsministeriums vom 19. Juni 1916 mit seinen Bestimmungen über die Führung und Behandlung der Kriegstagebücher und Kriegsakten entgegenwirken. Er präzisierte und modifizierte noch einmal die Vorgaben von 1895. Die Führung des Tagebuchs wurde jetzt ausdrücklich einem geeigneten Offizier übertragen, dem konkrete Muster für dessen Anlage an die Hand gegeben wurden. Unabdingbar war zunächst die Angabe der Zugehörigkeit des Truppenteils zum übergeordneten Verband. Das Kriegstagebuch selbst hatte nun sieben Spalten, in denen eingetragen werden sollten:

  • Datum
  • Ort und Art der Unterkunft
  • Kriegerische Tätigkeit mit genauer Angabe der Tageszeit: Auftrag, Sammelplatz, Aufbruchzeit, Marschziel, Marschweg, bemerkenswerte Entsendungen, Zusammenstöße mit dem Gegner, Gefechtsverlauf, Beschäftigung im Stand der Ruhe, Sicherheitsmaßnahmen, hervorragende Waffentaten, Heranziehen der Bagagen. Im Stellungskrieg sind die Angaben sinngemäß zu ergänzen.
  • Verpflegung, Munitionsverbrauch und Ergänzung, Gesundheitszustand, Witterung, Wegeverhältnisse
  • Zu- und Abgang unterstellter Truppen, woher und wohin
  • Erfahrungen oder Hinweis auf beigefügten besonderen Bericht
  • Anlagen auf die besonders verwiesen wird.

Ebenso gab es Muster für die Kriegsrangliste der Offiziere, Ärzte und Beamten, für die Erfassung der Verpflegungs- und Gefechtsstärken sowie für die Verlustlisten. Auch die Anlagen (Kriegsakten) zum Kriegstagebuch wurden nun spezifiziert. In sie waren aufzunehmen:

  • Eingegangene Nachrichten, Befehle, Meldungen sowie alle erlassenen Befehle
  • Niederschriften von Telefongesprächen etc.
  • Gefechtsberichte
  • Pläne, Skizzen, Lagekarten, Photographien
  • Gefechtsverluste
  • Kriegserfahrungen
  • Privataufzeichnungen und Tagebücher.

Daraufhin scheint sich die Führung der Kriegstagebücher, von denen je ein Exemplar an den Stellvertretenden Generalstab in Berlin zu übersenden war, etwas verbessert zu haben. Wie zeitgenössische Klagen und ein Blick in die tatsächlich abgefassten Kriegstagebücher aber zeigen, war auch dem Erlass von 1916 nur bedingt Erfolg beschieden.

Überlieferungslage:

Beim XIV. Armeekorps (Beständegruppe 456) im Generallandesarchiv Karlsruhe verblieben die Urschriften der offiziellen Kriegstagebücher des Ersten Weltkriegs mit ihren Anlagen prinzipiell bei den jeweiligen Truppeneinheiten und ihren Beständen. Eine unvollständige Anzahl von Doppelschriften, die nicht immer mit den Originalen übereinstimmen, wurde in zwei besonderen Beständen (456 F 142 und 456 F 143) zusammengefasst. Kriegstagebücher der Frühen Neuzeit und der Napoleonischen Ära sind im Generallandesarchiv Karlsruhe in verschiedenen Beständen, vor allem aber in Bestand 46 und 48 des Haus- und Staatsarchivs vorhanden. Der Krieg 1870/71 spiegelt sich besonders in Bestand 456 F 4 Badische Einheiten wider. Auch existiert eine eigene Sammlung privater Kriegsbriefe und Kriegstagebücher von 1866 bis 1945 (S Kriegsbriefe und Kriegstagebücher) zudem sind weitere Tagebücher in Bestand 65 Handschriften eingestellt.

Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart sind die amtlichen Kriegstagebücher der Formationen des XIII. Armeekorps sowie die zugehörigen Kriegsakten zumeist in zweifacher Ausfertigung erhalten. Die während des Ersten Weltkrieges beim Kriegsarchiv gesammelten Unterlagen bilden heute die Selektbestände M 410–M 420. Die aus dem Feld zum Stellvertretenden Generalstab nach Berlin gesandten Zweitschriften der Diarien württembergischer Regimenter wurden 1938/39 vom Heeresarchiv Potsdam an das Heeresarchiv Stuttgart abgegeben und dort den jeweiligen Truppenakten zugewiesen. Von einigen Tagebüchern existieren in den Beständen M 421 und M 422 weitere Ausfertigungen. Amtliche Kriegstagebücher der Frühen Neuzeit sowie des 19. Jahrhunderts sind in verschiedenen Beständen erhalten (v.a. in den Fonds E 289a und E 289b). Über die von den militärischen Einheiten geführten Kriegstagebücher hinaus verfügt das Hauptstaatsarchiv Stuttgart über eine reiche Sammlung von persönlichen Diarien württembergischer Offiziere und Soldaten. Die Aufzeichnungen sind zumeist in den militärischen Nachlassbeständen (M 660) überliefert.

Die 1940 modifizierten, im Wesentlichen jedoch unverändert gebliebenen offiziellen Kriegstagebücher des Zweiten Weltkriegs befinden sich im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv Freiburg, ergänzt durch private Kriegstagebücher aus den Nachlässen von Militärangehörigen. Private Kriegstagebücher finden sich auch im Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Durch ihre Nähe zum unmittelbaren Geschehen stellen Kriegstagebücher eine wertvolle Quelle zur Geschichte der jeweiligen Kriege dar. Während die amtlichen Kriegstagebücher vornehmlich unter militärgeschichtlichen Aspekten zur Rekonstruktion der Ereignisse befragt werden, bieten sich private Kriegstagebücher besonders für biographische und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen an. Dabei ist aber nicht nur die Subjektivität der privaten Aufzeichnungen, sondern auch die durch den militärtechnischen Sprachduktus vermeintliche Objektivität der offiziellen Kriegstagebücher quellenkritisch zu hinterfragen.

Hinweise zur Benutzung

Die im Landesarchiv Baden-Württemberg verwahrten Kriegstagebücher sind im Rahmen des Landesarchivgesetzes frei zugänglich.

Anmerkungen

[1] Vgl. z.B. Generallandesarchiv Karlsruhe, Bestand 46 Personalien, Nr. 3743.
[2] Vgl. z.B. zum Ersten Weltkrieg: Hampe, Kriegstagebuch; Herder, Kriegstagebuch.
[3] Denkwürdigkeiten.
[4] Vgl. zum Folgenden: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand M 1/11, Bü. 41. Generallandesarchiv Karlsruhe, z.B. Bestand 456 F 11, Nr. 18 und 456 F 142, Nr. 5; für die preußischen Bestimmungen der Jahre 1866 und 1870 auch 456 F 34, Nr. 1 und 456 F 4, Nr. 495.

Literatur

  • Denkwürdigkeiten des Markgrafen Wilhelm von Baden. Bd. 1: 1792–1818, bearb. von Karl Obser, Heidelberg 1906.
  • Hampe, Karl, Kriegstagebuch 1914–1918, hg. von Folker Reichert/Eike Wolgast, München 2004.
  • Herder, Charlotte, Mein Kriegstagebuch 1914–1918, Freiburg i. Br. 1955.

Zitierhinweis:  Rainer Brüning, Kriegstagebücher, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL […], Stand: 21.6.2017.

 

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