Von Michael Aumüller
Servitutenbücher sind ab 1836 angelegte württembergische Spezialverzeichnisse, in denen die dauerhaften Grunddienstbarkeiten (Servituten) eines Grundbuchbezirks oder einer Gemeinde eingetragen sind. Diese bestehen unabhängig vom jeweiligen Eigentümer fort und lasten auf dem Grundstück zu Gunsten eines Dritten. Der Eigentümer eines dienenden Grundstücks muss Einschränkungen hinnehmen, kann bestimmte Handlungen auf seinem Grundstück nicht durchführen oder muss bestimmte Handlungen auf seinem Grundstück erdulden.
Neben den Grunddienstbarkeiten gibt es weitere als Servituten bezeichnete Dienstbarkeiten. Dazu gehören u.a. das umfassende Nießbrauchrecht und die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten. Ersteres hält das lebenslange Wohn- und vor allem Nutzungsrecht an einer Immobilie fest, unabhängig vom Eigentümer der Immobilie; letzteres räumt einer bestimmten Person Befugnisse hinsichtlich der Nutzung eines belasteten Grundstücks ein. Gemeinsam ist diesen Dienstbarkeiten, dass sie an bestimmte Personen gebunden sind und mit dem Ableben der jeweiligen Person erlöschen. Diese Dienstbarkeiten finden sich auf Grund ihrer zeitlichen Beschränkung nicht in den Servitutenbüchern, sondern wurden in den Kaufbüchern, den Güterbüchern und in den Inventur- und Teilungsunterlagen festgehalten.
Während das Rechtsinstitut der Servituten aus dem römischen Recht herrührt und im 19. Jahrhundert bereits als auf unvordenklichem Herkommen / Ersitzung[1] beruhend geschildert wurde, bildet die Grundlage für die systematische Anlage der Servitutenbücher eine Verfügung für das Königreich Württemberg vom 6. Dezember 1836.[2] Da die meisten Servituten von der Art sind, daß sie eine umständlichere Beschreibung erfordern, und ihr Eintrag in die Güterbücher und die nachherigen, bei Besitzstand-Veränderungen vorkommenden Überschreibungen viele Mühe und Zeitaufwand verursachen, auch die Güterbücher dadurch allzusehr ausgedehnt werden, so erscheint in solchen Gemeinden, wo viele und verschiedenartige Servituten vorkommen und das Güterbuch nach der Personal-Ordnung angefertigt ist, die Anlegung eines besonderen Servitutenbuchs zweckmäßig, auf welches im Güterbuche bei den betreffenden einzelnen Grundstücken durch einfache Allegation hinzuweisen ist, ohne dass es eines Nachtrags der Besitzveränderungen im Servitutenbuche bedarf. Die Einrichtung eines solchen Servitutenbuchs zeigt das Formular Lit. C.[3]
Das Zitat weist darauf hin, dass die Servituten ursprünglich in den Güterbüchern eingetragen worden waren. Aus diesem Grund ist auf dem Deckblatt des Servitutenbuches oftmals der Vermerk „Beilage zu dem Gemeinde-Güterbuch…“ aufgeführt.[4] Die Servituten wurden als Teil der Güterbücher verstanden. Die Güterbücher bildeten zunächst die Grundlage für die Besteuerung der Güter und Grundstücke. Mit der Anlegung der jüngeren Serie der württembergischen Güterbücher im 19. Jahrhundert verschiebt sich der Schwerpunkt dieser weg von der Steuer hin zu eigentums- und güterrechtlichen Belangen. Mit der Einführung der reichsweiten Grundbuchordnung ab dem 1. Januar 1900 wurde das Grundbuch, wie wir es heute noch kennen, geschaffen. Für eine Übergangszeit wurden die Güter-, Servituten- und Unterpfandsbücher zum Grundbuch erklärt.[5] Zugleich belegt das Zitat, dass nicht in jeder württembergischen Gemeinde ein getrenntes Servitutenbuch angelegt werden musste. Insbesondere bei den Gemeinden, die das Güterbuch nach der Real-Ordnung angelegt hatten. Das heißt die Güterbücher bezogen sich auf die Grundstücke selbst und nicht auf deren Eigentümer.[6] Infolgedessen gibt es Gemeinden, die kombinierte Servituten- und Güterbücher angelegt haben. Diese Güterbücher führen im Formular eine eigene Spalte für Servituten. Die wichtigsten die Gemeinde betreffenden Servituten werden häufig auch im Vorwort des Güterbuchs erwähnt.
Heutzutage wird kein eigenes Servitutenbuch mehr geführt. Die Dienstbarkeiten werden in die Zweite Abteilung des Grundbuchs eingetragen. Die Umschreibung von einem Grundbuchformat in ein anderes, z.B. vom Foliantengrundbuch auf das Loseblattgrundbuch und von Letzterem in das elektronische Grundbuch, erfolgte oftmals in der Form eines Hinweises. Das bedeutet, es wurde nicht die komplette Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen, sondern es wurde lediglich auf das Servitutenbuch mit der Seitenangabe verwiesen, auf der die Dienstbarkeit zu finden ist. Das hat zur Folge, dass nach gültigem Grundbuchrecht die Servitutenbücher aus dem 19. Jahrhundert noch heute rechtserheblich und Bestandteil des Grundbuchs sind.[7]
Im Großherzogtum Baden sind die Dienstbarkeiten in den Kaufbüchern eingetragen worden. Eine getrennte Auflistung der Dienstbarkeiten hat dort nicht stattgefunden.
Das o.g. Formular gibt den Aufbau der Servitutenbücher vor. Auf dem Deckblatt wird in der Regel der Kreis, das Oberamt und die Gemeinde angegeben, darunter Servitutenbuch (Beilage zu dem Gemeinde-Güterbuch angelegt im Jahr…). Innerhalb des Buches gibt es mehrere Spalten: 1. Aktennachweisung, d.h. die Quelle, aus der die Dienstbarkeit herrührt. In der 2. Spalte wird der Ort im Güterbuch angegeben, an dem die Eintragungen zu dem betreffenden Grundstück zu finden sind. In der 3. Spalte folgt die Beschreibung der herrschenden und dienenden Grundstücke und die letzte Spalte enthält die Beschreibung und Entstehung der Servituten oder Bemerkungen.[8]
In die Servitutenbücher wurden nur solche Servituten eingetragen, die von bleibendem Charakter waren oder die ganze Gemarkung betrafen; nicht jedoch Benutzungs-, Wohnungs- oder Verkaufsrechte. Vielmehr wurden Rechte aufgenommen, die Gebäude und Hofreiten oder Grundstücke betrafen. Zu ersteren gehören etwa Trauf-, Durchgang-, Durchfahrts-, Übergangs- und Überfahrts- und Dohlenrechte. Zu letzteren gehören Weg- und Treppdienstbarkeiten, Ab- und Zufahrtsbestimmungen, Übergangsrechte, Wasserleitungen und dergleichen.
Wie so häufig, so gibt es auch bei den Servitutenbüchern solche, die sich nicht an das Formular halten. Dort werden beispielsweise nur bestimmte Dienstbarkeiten genannt, wie Schafweiderechte, Schleifwege, Faselviehaltung,[9] Wässerungsrechte etc., darunter die Parzellen, die durch diese Dienstbarkeiten berührt werden. Es gibt zudem Servitutenbücher, in die lediglich eine spezielle Servitute aufgenommen wurde, etwa den Unterhalt der Stadtmauer betreffend[10] oder sogenannte Weg- und Luckenbücher. Letztere sind ursprünglich eine Vorgängerform der Servitutenbücher, die lediglich Weg- und Überfahrtsrechte regeln. Sie konnten ergänzend zu den Servitutenbüchern oder diese ganz ersetzend weitergeführt werden.[11]
Die Quellen, aus denen die Servituten geschöpft und ins Servitutenbuch eingetragen wurden, sind vielfältig. Sie können auf unvordenklichem Herkommen / Ersitzung[12] beruhen oder – ohne, dass diese Aufzählung vollständig oder für jede Gemeinde zutreffend sein muss – herrühren von Kauf- und Kontraktenbüchern, Untergangsprotokollen, Ruggerichtsrezeßbüchern, Hausschauprotokollen, Gemeinderatsprotokollen, Flur- und Markungskarten, Rechnungen, etc.[13] In den amtlichen Anzeigern und im Staatsanzeiger wurden Aufrufe an die Bürgerschaft lanciert, Rechte und Dienstbarkeiten anzumelden, um sie dann prüfen und in das Servitutenbuch aufnehmen zu können.[14] Von der Gemeinde, d.h. den Bürgerlichen Collegien, wurde eine geeignete Persönlichkeit, der sogenannte Commissär, beauftragt, das Servitutenbuch anzulegen, allerdings musste die Gemeinde sich dies und die Höhe der Entschädigung von den vorgesetzten königlichen Kreisstellen genehmigen lassen.
Es gibt Fälle von Servitutenbüchern, an deren Ende die Unterschriften sämtlicher Güterbesitzer, die von den Servituten betroffen sind, aufgeführt werden. Damit bestätigen die Güterbesitzer die Richtigkeit der Eintragungen. In anderen Fällen erachtete man eine wiederholte Anerkennung von Seiten der betreffenden Güterbesitzer in den selben [Servitutenbüchern, M.A.] […] insofern für überflüssig, als das Aufnahms Protocoll von denselben bereits anerkannt ist.[15]
Auf Grund der Rechtserheblichkeit der Servitutenbücher ist die Überlieferungslage sehr gut, da sie für die Grundbuchsachbearbeitung ständig benötigt werden. Verluste sind selten, meist kriegsbedingt oder durch Rathausbrände verursacht. Im Zuge der Grundbuchamtsreform wurden ab 2012 alle papierbasierten rechtserheblichen Grundbuchunterlagen im Grundbuchzentralarchiv zentralisiert.[16] Aus diesem Grund befinden sich sämtliche württembergischen Servitutenbücher dort. Die Beilagen und Protokolle zur Erstellung der Servitutenbücher sind, da sie nach der Erstellung nicht mehr für wichtig erachtet wurden, nur zu einem kleinen Teil erhalten. Dieser ist im Grundbuchzentralarchiv überliefert.
Durch den ständigen Gebrauch der Servitutenbücher sind sie oftmals in einem restaurierungsbedürftigen Zustand. In den schlimmsten Fällen wurden die Bücher im Grundbuchzentralarchiv umgehend einer restauratorischen Behandlung zugeführt oder für die Ausleihe gesperrt. Gleichzeitig unterliegen die Servitutenbücher durch die Grundbuchsachbearbeitung immer noch der Veränderung. Diese findet heute in der Form statt, dass umgeschriebene oder nicht mehr bestehende Dienstbarkeiten in den Servitutenbüchern durch Rötung gelöscht werden.[17]
Das Verfahren hinsichtlich der Feststellung, Aufzeichnung und Beglaubigung der Servituten war streng formalisiert, damit die Eintragungen im Servitutenbuch öffentlichen Glauben erlangten. Nicht gelöschte Eintragungen in den Servitutenbüchern sind noch heute rechtserheblich. Daher besitzen die Eintragungen – unabhängig davon, ob sie zwischenzeitlich gelöscht wurden oder nicht – zumindest für den Zeitpunkt der Entstehung einen sehr hohen Quellenwert. Dadurch, dass die Servitutenbücher aus älteren Quellen schöpfen, die zum Teil nicht mehr erhalten sind, bieten sie ein nahezu vollständiges Bild bezüglich der Grunddienstbarkeiten, die in einer Gemarkung auf den Grundstücken lasteten. Für die Orts-, Häuser- und Familienforschung bilden sie im Kontext der weiteren Grundbuchunterlagen hervorragende Quellen.
Rechtserhebliche Grundbuchunterlagen, zu denen die Servitutenbücher als Teil des Grundbuchs zu zählen sind, unterliegen den Vorgaben der bundesweit gültigen Grundbuchordnung (GBO). Obwohl sich diese Unterlagen im Grundbuchzentralarchiv befinden, ist das Landesarchivgesetz nicht auf diese anwendbar. Die Hürden zur Akteneinsicht für die Forschung sind hoch, jedoch nicht unüberwindbar.[18] Die jüngste Rechtsprechung hält fest, dass auch rechtserhebliche Grundbuchunterlagen grundsätzlich der (familien- und heimatkundlichen) Forschung zugänglich zu machen sind, wenn dadurch der Geschäftsgang des Grundbuchamts nicht ungebührlich belastet wird.[19]
Zitierhinweis: Michael Aumüller, Servitutenbücher, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 28.10.2017.