Dr. Georg Weinberg (geb. 05.07.1914, gest. 01.11.2004)

von Tatjana Bollinger

Dr. Georg Weinberg praktizierte von 1975 bis 1979 am Städtischen Krankenhaus in Lörrach als Gynäkologe und Geburtshelfer und leitete von 1995 bis 2001 als Vorstand die lsraelitische Kultusgemeinde Lörrach. Bis es jedoch so weit kam, hatte Dr. Weinberg eine wahre Odyssee hinter sich.

Als drittältester Sohn des Kantors Hirsh Weinberg im ostpreußischen Memel geboren, war er gerade mal 24 Jahre alt, als er 1939 Adolf Hitler im Hotel Victoria vom Balkon schreien hörte, dass man Juden irgendwann nur noch im Museum sehen werde. Nachdem ihm sein Vater nicht glauben wollte und die Sache verharmloste, blieb Georg Weinberg 1941 nur die heimliche Flucht in der Nacht aus seinem Elternhaus. Danach hörte er nichts mehr von seinen Eltern und sechs Geschwistern. Sie alle wurden von den Nazis verschleppt – überlebt hat keiner.

Hinter Memel überquerte Weinberg, einzig einen Stock in der Hand, die litauische Grenze, bis er schließlich in Kovno landete. Als die Deutschen am 22. Juni 1941 auch die Sowjetunion überfielen, ging für Georg Weinberg die Flucht weiter. Zusammen mit seiner Frau Ida – er hatte zwischenzeitlich geheiratet – bestieg er am Bahnhof einen Güterzug, der das junge Paar nach Lettland brachte.

Im Güterzug ging es nach Sibirien. Wochenlang eingepfercht in den engen Wagen unter unmenschlichen Bedingungen – an den Bahnstationen gab es lediglich heißes Wasser und Brot – gab es für das Paar nur noch ein Ziel: Israel.

Von Sibirien führen sie herunter nach Kirgisien und von dort über Taschkent nach Turkmenistan und waren ihrem Ziel nun schon so nah. Vor den verzweifelten Menschen lag „nur“ noch das Kopetdag-Gebirge, über das man steigen musste, um in den Iran zu gelangen.

Über 100 Menschen waren es, die das Gebirge überqueren wollten, doch keiner kannte den richtigen Weg. Die Türkmenen haben dann schließlich Geld genommen, um die Gruppe über die Berge zu führen. Dies war jedoch eine Falle, die sie direkt in die Arme der russischen Grenzpolizei führen sollte. Georg Weinberg witterte die Falle und konnte abermals mit seiner Frau Richtung Kirgisien flüchten. In einer der dortigen deutschsprachigen Kolchosen fanden er und seine Frau Arbeit. Doch Ende 1941 wurde Georg Weinberg von der Polizei einfach abgeholt und in ein Arbeitslager für Deutsche gesteckt (er sprach kein russisch), in welchem er unter widrigsten Bedingungen schwer arbeiten musste. Es war Winter, bitter kalt und zu essen gab es fast nichts.

Georg Weinberg bekam Gelbsucht, wurde für sechs Monate krankgeschrieben und nach Frunse ins Spital verlegt. Im Krankenhaus wurde ihm klar, dass er Medizin studieren wollte. Er hatte Glück. Der Dekan der Universität war ein Jude mit österreichischer Frau, der Weinberg half, die erforderlichen Formulare auszufüllen. Ende 1942 begann Georg Weinberg in Frunse sein Medizinstudium.

Nach Kriegsende wechselte Weinberg von Frunse an die Universität in Wilna, wo er 1947 sein Examen machte. Seine Frau begleitete ihn zurück nach Litauen, wo sie 1946 den Sohn Zwi zur Welt brachte. Immer noch verspürte die kleine Familie den Wunsch nach Israel auszuwandern. Die Anträge wurden jedoch abgelehnt, da man den Mediziner Weinberg als Gynäkologen nicht entbehren wollte. 1965 durften dann seine Frau und die Kinder - zwischenzeitlich war auch Tochter Bella geboren — nach Israel ausreisen, jedoch der Vater nicht. In der Hoffnung sich bald in Israel wieder zu sehen, trennte sich die Familie schweren Herzens. Sieben Jahre stellte Dr. Weinberg einen Ausreiseantrag nach dem anderen — jedoch erfolglos.

Am 8. März 1971 entband Dr. Weinberg die Zentralratssekretärin – die jahrelang seine Ausreiseanträge abgelehnt hatte – von einem gesunden Kind. Überglücklich leitete die Sekretärin noch im Wöchnerinnenbett alles in die Wege und nur wenige Tage später durfte Georg Weinberg ausreisen.

1971 konnte Dr. Weinberg seine Familie endlich wieder in Israel in die Arme schließen. Doch der Traum bekam Risse. Georg Weinberg fand sich in Israel nicht mehr zurecht. So entschloss sich Georg Weinberg 1972 zur Rückkehr nach Deutschland. Es war Heimweh. Die Erinnerung an die glückliche Kindheit in Memel, an die Sprache und die Kultur ließ Weinberg in das Land zurückkehren, das so viel Unglück und Zerstörung über seine Familie gebracht hatte.

Als so genannter Spätheimkehrer passierte er das Lager Friedland, und nach verschiedenen Stationen in deutschen Spitälern kam er im Juli 1975 als Oberarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe ins Städtische Krankenhaus nach Lörrach, wo er 1979 dann in den Ruhestand verabschiedet wurde. Am 1. November 2004 verstarb Dr. Georg Weinberg im Alter von 91 Jahren.[1]

Anmerkungen

[1] Dieser Text entstand im Jahr 2007 für die Publikation „Jüdisches Leben in Lörrach“ und ist in Band 7 der Lörracher Hefte erschienen.

Zitierhinweis: Tatjana Bollinger, Dr. Georg Weinberg, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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