Robe des Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer

von Johannes Beermann-Schön

 

Nach 16 Jahren kehrte der überzeugte Sozialdemokrat aus dem Exil zurück und zog sich die Robe wieder in deutschen Gerichtssälen über. circa 1949 Jahre. [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]
Nach 16 Jahren kehrte der überzeugte Sozialdemokrat aus dem Exil zurück und zog sich die Robe wieder in deutschen Gerichtssälen über. circa 1949 Jahre. [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]

Fritz Bauer spielte eine entscheidende Rolle bei den Auschwitz-Prozessen, die 1963-1965 in Frankfurt am Main abgehalten wurden.

Als Fritz Bauer wohl im Frühjahr 1949 diese Robe anfertigen ließ, waren sechzehn Jahre vergangen, seit er das letzte Mal in einem deutschen Gericht eine Robe getragen hatte. Sechzehn Jahre, in denen der ehemalige Stuttgarter Amtsrichter als überzeugter Sozialdemokrat und Jude von den Nationalsozialisten verfolgt worden war und ins Exil hatte fliehen müssen. Jahre während derer die rechtstaatlichen Werte, die diese Amtstracht bis heute symbolisiert, unter der nationalsozialistischen Herrschaft herabgewürdigt worden waren.

Ende der 1870er-Jahre erließen die Bundestaaten des Deutschen Reichs zum Teil bis heute gültige, einheitliche Bekleidungsvorschriften für Richter, Staatsanwälte, und Verteidiger. Sie orientierten sich dabei am Vorbild der preußischen Juristenrobe, die für Richter und Staatsanwälte einen schwarzen Talar mit einem Ärmelbesatz aus Samt, für Rechtsanwälte aus Seide sowie für Gerichtsschreiber aus Wolle vorsah. In ihrer Einheitlichkeit und Schlichtheit sollte die Robe die Würde des Gerichts und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz repräsentieren.

Diesen Werten fühlte sich auch Fritz Bauer verpflichtet, als er 1930 als jüngster Amtsrichter Deutschlands seine Karriere am Amtsgericht seiner Geburtsstadt Stuttgart begann. Bauer, 1903 in eine deutsch-jüdische Kaufmannsfamilie geboren, hatte an den Universitäten Heidelberg, München, und Tübingen Jura studiert und war 1927 mit einer Dissertation zum Thema „Die rechtliche Struktur der Truste“ zum Dr. jur. in Wirtschaftsrecht promoviert worden. Mit dem Staatsdienst hatte er sich für einen Berufszweig als Jurist entschieden, der bis zum Beginn der Weimarer Republik 1918 jüdischen Deutschen weitgehend verschlossen geblieben war.

Nach 16 Jahren kehrte der überzeugte Sozialdemokrat aus dem Exil zurück und zog sich die Robe wieder in deutschen Gerichtssälen über. circa 1949 Jahre. [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]
Fritz Bauer (1903–1968) gab die Anfertigung seiner Robe vermutlich im Frühjahr 1949, kurz vor seiner Ernennung zum Landgerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig, bei der Firma Richard Graefe in Lüdenscheid in Auftrag. Im Jahr darauf wurde er Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunschweig. Sowohl in dieser Funktion als auch als hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main trug Fritz Bauer seine Robe. Nach seinem Tod 1968 nahm Bauers Freund und Testamentsvollstrecker Manfred Amend das Kleidungsstück bei der Auflösung von Bauers Büro im Gerichtsgebäude B des Frankfurter Landgerichts an sich. Er übergab es 1996 dem kurz zuvor gegründeten Fritz Bauer Institut. Im Archiv der Forschungs- und Bildungseinrichtung zur Geschichte und Wirkung des Holocaust wird die Robe seitdem als Teil des Bestandes „Nachlass Fritz Bauer“ unter der Signatur „NL Bauer-104“ verwahrt.  circa 1949. [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]

Fritz Bauer trat leidenschaftlich für die neuen politischen Verhältnisse und die noch junge Demokratie in Deutschland ein. Bereits mit 17 Jahren war er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) geworden, setzte sich als Amtsrichter für die Gründung des Republikanischen Richterbunds ein und engagierte sich in der sozialdemokratischen Schutzformation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Als Vorsitzender der Reichsbanner-Ortsgruppe Stuttgart versuchte er ab Anfang der 30er-Jahre an der Seite des SPD-Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher vergeblich den Aufstieg der Nationalsozialisten in Württemberg zu verhindern. Nach deren Machtübernahme 1933 wurde Bauer umgehend aus dem Staatsdienst entlassen und für neun Monate im Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb und im Garnisons-Arresthaus in Ulm inhaftiert. 1936 emigrierte er nach Dänemark, musste 1943 jedoch von dort gemeinsam mit seiner Familie vor der drohenden Deportation über das Kattegat nach Schweden fliehen, wo er sich bis Kriegsende gemeinsam mit dem späteren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt in sozialdemokratischen Exilorganisationen engagierte.

Kurz vor Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 erhielt Bauer, der wieder in Dänemark lebte, das Angebot, als Landgerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig nach Deutschland zurückzukehren. Er nahm es an und ließ sich in Braunschweig nieder; die Stadt lag ebenso wie Lüdenscheid, wo er seine Richterrobe bestellte, in der britischen Besatzungszone. Der Hersteller seiner Amtstracht, die Firma Richard Graefe, war bis dahin auf die Anfertigung von Pfarrbekleidung spezialisiert gewesen, hatte jedoch im Herbst 1948 auch Juristenroben in ihre Kollektion aufgenommen. Da sich die Roben von Richtern und Staatsanwälten äußerlich nicht voneinander unterscheiden, brauchte Bauer das für ihn genähte Kleidungsstück nicht ändern zu lassen, als er im Juli 1950 zum Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunschweig ernannt wurde. So trug er die Robe auch in dem Verfahren, das ihn mit einem Schlag deutschlandweit bekannt machen sollte, dem Remer-Prozess.

Der rechtsextremistische Politiker Otto Ernst Remer hatte im Mai 1951 in einer öffentlichen Rede die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg  als Landesverräter bezeichnet und gedroht, die Überlebenden würden bald schon von einem deutschen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Bauer erhob daraufhin Klage gegen Remer aufgrund übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Im folgenden Strafverfahren vor dem Landgericht Braunschweig gelang es Bauer 1952, die Widerstandskämpfer, die acht Jahre zuvor versucht hatten Adolf Hitler zu ermorden und so den Krieg zu beenden, zu rehabilitieren und das NS-Regime als Unrechtsstaat zu ächten. Dies war ein Meilenstein auf dem Weg zur juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland.

Vier Jahre nach dem Remer-Prozess packte Bauer seine Robe ein und zog von Braunschweig nach Frankfurt am Main, wo er zum hessischen Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht ernannt worden war. Der Wechsel bedeutete für ihn einen weiteren beruflichen Aufstieg. In Hessen unterstanden Bauer nun neun Staatsanwaltschaften sowie 13 Justizvollzugsanstalten. Als oberster Chefankläger des Landes initiierte er ab 1956 eine Welle von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen ehemalige NS-Täter. 1957 sorgte er gemeinsam mit dem israelischen Geheimdienst dafür, dass der Organisator der Massendeportationen während des Holocaust, Adolf Eichmann, in Argentinien aufgespürt und später in Jerusalem vor Gericht gestellt wurde.

Auf Bauers Initiative hin fand von 1963 bis 1965 vor dem Landgericht Frankfurt am Main ein Strafverfahren gegen 21 ehemalige SS-Angehörige sowie einen Funktionshäftling des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz statt. Der erste Frankfurter Auschwitz Prozess, einer der größten Strafprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte, führte nicht zuletzt durch eine intensive Medienbegleitung der bundesdeutschen und internationalen Öffentlichkeit erstmals vor Augen, was in Auschwitz geschehen war. Unermüdlich warb Bauer in öffentlichen Vorträgen, zahlreichen Publikationen und Diskussionsrunden in Funk und Fernsehen für seine Idee einer gesellschaftspolitischen Selbstaufklärung über die NS-Zeit mit den Mitteln des Rechts. Als er im Juli 1968 überraschend starb, hinterließ er ein großes Lebenswerk—und an einem Haken in seinem Büro eine schwarze Robe aus Baumwolle und Samt.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in dem Shared History Project, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland veröffentlicht.

Zitierhinweis: Johannes Beermann-Schön, Robe des Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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