Die Verdrängung und wirtschaftliche Vernichtung der jüdischen Viehhändler
Beitrag aus der Ausstellung „Ausgrenzung - Raub – Vernichtung“ des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb e. V.
Der Viehhandel hatte große Bedeutung im kleinbäuerlich geprägten Württemberg. Die Mehrheit der Viehhändler waren Juden. Sie versorgten die Landwirte mit Tieren, die diese als Arbeitskraft und zur Versorgung mit Milch und Dung benötigten und nahmen ihnen ihr Schlachtvieh ab. Über Generationen entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Bauern und jüdischen Viehhändlern, die oft auch Kreditgeber waren.
Landjudentum und Viehhandel
Landjudentum und Viehhandel waren in Süddeutschland bis ins 20. Jahrhundert eng verbunden. Die jüdischen Familien beachteten die religiösen Vorschriften für ihre Ernährung. Nur einwandfreies Fleisch von geschächteten Tieren durfte verzehrt werden. Deshalb wurde der Beruf des Viehhändlers häufig von Juden ausgeübt und ging von den Vätern auf die Söhne über.
Wirtschaftliches Vertrauen gegen Agrarantisemitismus
Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Bauern und Viehhändlern versuchten die Raiffeisenbewegung und der evangelisch geprägte Bund der Landwirte schon Ende des 19. Jahrhunderts zu diskreditieren. Sie verbreiteten antisemitische Begriffe wie den des „betrügerischen Wucherjuden“.
Nach 1933 schürte die NSDAP diesen aggressiven Agrarantisemitismus weiter an. In der Folge versuchten die Nationalsozialisten, durch Hetzartikel das noch bestehende Vertrauensverhältnis zwischen den Bauern und den jüdischen Viehhändlern aufzubrechen. Durch schikanöse Verordnungen wurde den Viehhändlern die Ausübung ihres Berufes immer mehr erschwert. Lokale NSDAP-Funktionäre ließen Juden aus den Viehmärkten ausschließen. Oftmals wurden solche Angriffe von der Bauernschaft mit Unmut aufgenommen.
Bis 1936 konnten sich die Juden noch auf dem Markt behaupten. Ein großer Teil der Bauern stellte seine ökonomischen Interessen noch immer über den Rassen-Antisemitismus der Nationalsozialisten.
Endgültige Verdrängung
Im Juli 1938 erfolgte schließlich reichsweit das endgültige Marktverbot für jüdische Viehhändler. Im November 1938 wurden sie vollständig aus dem deutschen Wirtschaftsleben ausgeschlossen. Die Gewerbescheine der Viehhändler wurden eingezogen. Ihre Firmen, meist Klein- und Kleinstbetriebe, wurden aufgelöst. Für eine Übernahme waren sie nicht attraktiv genug.
Wer bis Ende 1941 nicht fliehen konnte, wurde deportiert. Die Wohnhäuser der Viehhändlerfamilien, ihr Hausrat und noch ausstehende Forderungen an Bauern wurden schließlich von den Finanzämtern für den NS-Staat verwertet.
Literatur
- Behr, Hartwig, Die Ausplünderung der Besitzer einer Viehhändler- und Großschlachterfirma – die Mergentheimer Firma David Fröhlich und Sohn. Exportschlächterei, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S.383-394.
- Staudacher, Barbara, Die wirtschaftliche Vernichtung der jüdischen Viehhändler, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S.371-382.
Zitierhinweis: Staatsarchiv Ludwigsburg/Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb, Die Verdrängung und wirtschaftliche Vernichtung der jüdischen Viehhändler, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.