„Empfinden und feinen Genuß“ – Die Malerin Käthe Loewenthal
von Beate Stegmann
Käthe Loewenthal war viel herumgekommen, bevor sie 1910 in Stuttgart in der von Adolf Hölzel geleiteten „Damenmalklasse“ der Königlich Württembergischen Kunstschule zu studieren begann. Sie wurde 1878 in Berlin geboren. Die Familie war jüdischer Herkunft aber nicht religiös orientiert. Aufgrund der Lehrtätigkeit des Vaters, einem Professor für Medizin, bestimmten mehrfache Umzüge das Leben. Ab 1890 verbrachte Käthe Loewenthal einige Zeit in Bern bei einer befreundeten Pfarrersfamilie und ließ sich protestantisch taufen. Auf ihrem Lebensweg begleiteten sie eine tief verwurzelte Gläubigkeit und die Überzeugung von einem höheren Sinn. Von ihren religiös-philosophischen Gedanken sind mehrere Niederschriften erhalten. Der Vater Wilhelm Loewenthal starb 1894. Die Mutter Clara, die aus einer wohlhabenden Hamburger Kaufmannsfamilie stammte, konnte ihren insgesamt fünf Töchtern weiterhin ein gutes Auskommen sichern.
In der Schweiz lernte Käthe Loewenthal die Werke des Malers Ferdinand Hodler kennen, bei dem sie ab 1895 Unterricht nahm. Eine Studienreise führte sie nach Paris. Weitere Stationen ihrer Ausbildung waren Berlin, wo Leo von König Kurse anbot und die an Worpswede orientierte Kunstschule von Zeven. 1905 wurde München zum neuen Lebensmittelpunkt. Dort trat sie dem Künstlerinnen-Verein bei. Noch unter dem Einfluss von Hodler entwickelte sie eine persönliche und sehr subjektive Beziehung zur Natur. Viele ihrer ausdrucksstarken Werke entstanden in der imposanten Bergwelt des Berner Oberlands sowie auf Hiddensee mit seinen Meeresstimmungen. Hier lebte ab 1912 ihre jüngste Schwester Susanne Ritscher, deren Haus im Sommer zu einem Treffpunkt der Familie wurde. 1902 hatten die beiden Schwestern eine Reise nach Italien unternommen, wobei sie einige Bergetappen zu Fuß zurücklegten.
In der Malerei, die Damen der höheren Gesellschaft als Beschäftigung zugestanden wurde, sah Käthe Loewenthal einen ernstzunehmenden Beruf, der sich auch für Frauen nur über eine fundierte Ausbildung erschloss. 1909 siedelte sie nach Stuttgart über, wo ihre Freundin Erna Raabe lebte. Sie trat dem Württembergischen Malerinnenverein bei, bekam einen Platz im Atelierhaus am Eugensplatz und erhielt endlich Zugang zu einem regulären akademischen Studium. Unter dem Eindruck der sich entfaltenden Moderne und der abstrahierenden Lehre Hölzels suchte sie nach neuen Ausdrucksformen. Statt zu abstrahieren entwickelte sie Möglichkeiten der Stilisierung, die sich mit ihrem religiös-spirituellen Empfinden verband. Ihre Kompositionen aus kraftvollen, durch farbige Akzente belebten Flächen und strukturierenden, dunklen Linien orientierten sich weiterhin am Gegenständlichen. Sie nutzte die Dynamik einer „schiefen Linie“[1] statt der bei Hodler oder in den Lehren Hölzels vorgegebenen symmetrischen beziehungsweise geometrischen Formensprache. Weitere Anregungen kamen aus der japanischen Malerei, die im 19. Jahrhundert, ebenso wie die japanische Druckgraphik, Impulse für nicht-gegenständliche Entwicklungen in der Kunst gegeben hatte.
Einen ganz eigenen Stellenwert besitzen Käthe Loewenthals lebhaft bis urtümlich-wild anmutende Darstellungen von Bäumen, Sträuchern und Gehölzen, die, meist in entlaubtem Zustand, durch Stämme und Äste Schwerpunkte setzen, einen Bezug zwischen Himmel und Erde schaffen und mit ihrem individuellen Erscheinen den Charakter der Bilder prägen. Einige erhaltene Beispiele entstanden im Stuttgarter Umfeld und auf der Schwäbischen Alb. Angesichts der lückenhaften Überlieferung ist eine Beschreibung des Werkes von Käthe Loewenthal nur eingeschränkt möglich. Ihr Schwerpunkt lag in der Landschaftsmalerei. Daneben entstanden Stillleben. Es sind nur wenige Porträts bekannt, die Käthe Loewenthal meist als Auftragsarbeiten ausführte.
1914 hatte Käthe Loewenthal ein Atelier in der Ameisenbergstraße in Stuttgart bezogen. Sie bekam Gelegenheit, an verschiedenen namhaften Ausstellungen teilzunehmen, was ihr ermöglichte von der Kunst zu leben. Die Herrschaft der Nationalsozialisten bedeutete in mehrfacher Hinsicht eine Katastrophe. Der gläubigen Protestantin und deutschen Patriotin wurde aufgrund ihrer jüdischen Abstammung ein Berufs- und Ausstellungsverbot auferlegt. Sie verlor ihre Mitgliedschaft im Malerinnenverein, das Atelier und damit auch ihre Existenzgrundlagen. 1938 starb ihre Freundin Erna Raabe nach schwerer Krankheit. Um sie zu pflegen hatte Käthe Loewenthal ein mögliches Exil in der Schweiz ausgeschlagen.
1941 musste Käthe Loewenthal ihren Wohnsitz aufgeben und wurde in eine Abschiebewohnung nach Stuttgart-Kaltental zwangsumgesiedelt. Von dort kam die über 60-jährige Künstlerin in das Sammellager Weißenstein und wurde am 26. April 1942 nach Izbica deportiert. Das Ghetto im besetzten Polen fungierte als Durchgangslager in die Vernichtungslager Belzec und Majdanek. Keiner der 273 Menschen aus Württemberg und Hohenzollern, die am 26. April 1942 dorthin deportiert wurden, überlebte.
1943 wurden Käthe Loewenthals von Albrecht Kämmerer, einem Förderer mehrerer zeitgenössischer Stuttgarter Künstler, gerettete und in einem Magazin verwahrte Ölbilder durch einen Bombenangriff zerstört. Dank der Unterstützung von Freunden blieb eine Mappe mit rund 250 graphischen Arbeiten, Fotos von weiteren Werken und schriftlichen Selbstzeugnissen erhalten. Angesichts der schwierigen und nicht absehbaren Verhältnisse hatte Käthe Loewenthal die Auswahl als eine Art Vermächtnis zusammengestellt.
Neben Käthe waren auch ihre Schwestern Agnes (1882-1933) und Susanne (1886-1975) künstlerisch tätig. Susanne, verheiratete Ritscher, studierte für einige Zeit in München und pflegte Kontakte zur Künstlerkolonie auf Hiddensee. Susanne und Käthe waren im „Hiddensoer Künstlerinnenbund“ aktiv. Susanne überlebte in Verstecken und überstand 1945 die letzten Kriegsmonate in einem Arbeitslager. Agnes liebte Reisen, die sie bis nach Australien und in die Südsee führten. Von ihrem Mann Walter Schaefer wurde sie 1918 geschieden. Ab 1909 lebte sie in Hellerau bei Dresden. Agnes Schaefer schloss 1922 eine zweijährige Ausbildung als Fotografin an der Berliner Lette-Schule ab. Danach arbeitete sie in Griechenland. Sie verschwand 1933 während einer Wanderung in den griechischen Bergen, wo sie vermutlich durch Selbsttötung starb.
Anmerkungen
[1] Die „schiefe Linie“ wird erwähnt in Unterrichtsmanuskripten von Clara Fauser, in: Adolf Hölzel, hg. von der Galerie Schlichtenmaier und der Galerie der Stadt Sindelfingen, Grafenau/Sindelfingen 1987, S. 161 f.
Das Zitat in der Überschrift stammt aus dem Beitrag von Agnieszka Lutz, Spiegelbild Natur, in: Käthe Loewenthal. Landschaften. Katalog zur Ausstellung im Ignaz-Günther-Haus München, 1. Oktober – 1. November 1992, S. 15.
Eine ausführliche Biografie zu Käthe Loewenthal finden Sie auf LEO-BW.
Auf der Webseite http://www.kaetheloewenthal.de/ finden Sie weitere Informationen zu Leben und Werk von Käthe Loewenthal und Fotos von vielen ihrer Werke.
LOKSTOFF! Das Theater im öffentlichen Raum aus Stuttgart hat in der Podcast-Reihe „Familienabend – eine Erinnerung für die Zukunft!“ eine spannende Podcast-Folge über Käthe Loewenthal veröffentlicht.
Zitierhinweis: Beate Stegmann, „Empfinden und feinen Genuß“ – Die Malerin Käthe Loewenthal, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.