Verfolgung in Baden
von Uri R. Kaufmann
Offen erklärter Kernpunkt der Ideologie der NSDAP war der Antisemitismus. Am 1. April 1933 wurde der erste „Judenboykott“ durchgeführt. Der Vorsitzende des Oberrates, Nathan Stein, wagte es, dagegen zu protestieren.
Die Entlassung „nichtarischer“ Hochschullehrer und Bücherverbrennungen folgten. Jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und Schüler wurden bedrängt. Der Oberrat musste eine neue Infrastruktur aufbauen. Aus den Jüdischen Lehrhäusern wurden Vorbereitungsschulen für die Auswanderung mit Fremdsprachenunterricht. Jüdische Bezirksschulen wurden ins Leben gerufen. Der Jüdische Kulturbund bot den Verfolgten Abwechslung. Junge Auswanderungswillige lernten auf Hachschara („Berufsumschichtungs-“) Gütern handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe, etwa im nordbadischen Sennfeld.
Ausländische Staaten jedoch errichteten hohe Schranken gegen jüdische Flüchtlinge. Gerade die nahe Schweiz zeigte sich trotz verwandtschaftlicher Verbindungen vieler badischer Juden zur schweizerisch-jüdischen Gemeinschaft abweisend. Kinder wurden in Transporten nach England und in die USA verbracht, wie das Schicksal von Ludwig/Louis Maier aus Malsch zeigt. Einige konnten bei Nachweis eines Vermögens von tausend englischen Pfund nach Palästina ausreisen, weil die Briten dort die Wirtschaft ankurbeln wollten.
Wenige Christen leisteten Widerstand. Es gab versteckte Nachbarschaftshilfe, aber auch Denunziationen. Unerschrocken setzten sich die Katholikin Gertrud Luckner (1900–1995) aus Freiburg und der Protestant Hermann Maas (1877–1970) aus Heidelberg für die Verfolgten ein. Der rechtliche Status des Oberrats und der Gemeinden wurde gemindert. Im März 1938 wurden den Gemeinden die Körperschaftsrechte aberkannt und alle der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ mit Sitz in Berlin unterstellt. Am 9./10. November schändeten Nationalsozialisten die Synagogen, drangen in jüdische Wohnungen ein und verhafteten Hunderte von Männern, die ins KZ Dachau verschleppt wurden. In Heidelberg, Freiburg und anderen Orten wurden Synagogen gänzlich abgebrochen. Die Gauleiter Robert Wagner und Josef Bürckel wollte sich beim „Führer“ besonders auszeichnen und verfügten auf den 22. Oktober 1940 die Verschleppung der badischen, pfälzischen und saarländischen Juden ins unbesetzte Frankreich. Sie gelangten in ein Lager bei Gurs in der Nähe der Pyrenäen. Dies war eine der ersten Deportationen von Juden aus Deutschland. Ab August 1942 wurden die meisten aus dem Lager Gurs über Drancy bei Paris in die Todeslager im Osten Europas verschleppt. Wenige hatten vorher noch in die USA ausreisen oder flüchten und in den Untergrund abtauchen können. Der Staat bemächtigte sich der Sparbücher, Grundstücke, Wohnungen und des Mobiliars der Deportierten. 1941/42 kam es zu öffentlichen Versteigerungen.
Literatur
- Benz, Wolfgang, Der Holocaust, München 2008.
- Benz, Wolfgang, Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer, München 2006.
- Frieländer, Saul, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939. Die Jahre der Vernichtung 1939-1945, München 2008.
Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 132 veröffentlicht.
Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Verfolgung in Baden, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 02.02.2022.