Mehr Mitsprache

von Uri R. Kaufmann

Geburtstagsgabe für den Großherzog, 1896. Zum 70. Geburtstag des Großherzogs im Jahr 1896 überreichte der Oberrat eine Kasette mit Synagogenfotos. Es könnte dies eine Reaktion auf die antisemitische Bewegung gewesen sein, die 1893 einen Höhepunkt erreicht hatte: Der Oberrat wollte die jüdische Religionsgemeinschaft als gleichberechtigten Teil der badischen Bevölkerung beim regierenden Fürsten und der politischen Elite Badens präsentieren. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995, F I Nr. 230.)

Zum 70. Geburtstag des Großherzogs im Jahr 1896 überreichte der Oberrat eine Kasette mit Synagogenfotos. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995, F I Nr. 230.]

Der Oberrat war bis in die 1890er-Jahre ein weitgehend von der Regierung bestimmtes Gremium gewesen. Karlsruher jüdische Familien prägten ihn. Er hatte zwar immer den religiösen Ausgleich gesucht, doch nun verlangten die Gemeindemitglieder nach mehr und direkten Mitspracherechten.

1894 wurde eine Israelitische Synode einberufen, welche die Mitwirkung der männlichen Mitglieder vorsah. Rabbiner durften ebenfalls Vertreter entsenden. Der Oberrat unterstützte soziale Einrichtungen, die für die gesamte jüdische Gemeinschaft Badens nützlich waren, etwa das 1896 gegründete Altersheim in Gailingen. Lehrer und Rabbiner erhielten aus einem zentralen Fonds Gehaltszuschläge und Zuschüsse zu ihren Renten. Fortbildungen wurden finanziert und die Reisekosten für Wanderlehrer bezahlt. Arme Landgemeinden erhielten Zuschüsse für Renovierungsmaßnahmen an Synagogen, Friedhöfen und Kunstgegenständen sowie zum Kauf von neuen Kultgeräten.

Im selben Jahr konnte der Oberrat mit Befriedigung auf das verflossene Jahrhundert zurückschauen und würdigte den Einsatz des Großherzogs gegen die neu aufgekommene antisemitische Bewegung, die 1893 anlässlich der Reichstagswahlen auch in Baden einen ersten Erfolg gefeiert hatte. So überreichte der Oberrat 1896 dem Großherzog feierlich eine Jubiläumsgabe. War er 1809 ursprünglich neben seiner Funktion zur Ausbreitung von moderner Bildung unter den badischen Juden auch als Instrument zur Berufsumschichtung gedacht gewesen, so hatte er sich doch mehr und mehr als Förderer eines Zusammenhalts erwiesen, der anderen jüdischen Gemeinschaften in Deutschland fehlte. In Preußen oder Bayern wurden erst in den 20er-Jahren Landesverbände gegründet. Indessen gleichberechtigt mit den Landeskirchen war der Oberrat bis 1918 nicht. So fehlte ihm etwa eine Vertretung in der Ersten Kammer des badischen Landtags und ein Antrag auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft im Parlament wurde von der Regierung ausdrücklich abgelehnt. Erst im Freistaat Baden (1918–1933) erfreute sich die Israelitische Religionsgemeinschaft in der Tat der Gleichstellung mit den Landeskirchen. Der Oberrat gab sich 1923 neue Statuten und führte das Frauenstimmrecht ein. Er war nun im Verhältnis zur Regierung autonom, es gab keinen Kommissär mehr, der dem Oberrat vorstand.

Wichtig war auch das durch den Mannheimer Synagogenrat von 1922 an herausgegebene „Israelitische Gemeindeblatt“, das bis November 1938 erschien.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 98 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Mehr Mitsprache, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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