Lahr

Die Judengass auf dem Plan oder Grund-Riss der Hoch-Graeffl. Nassau-Sarbr. Statt Lahr im Breisgau von Philipp Ludwig Dreyspring, 1726. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H Lahr 4]
Die Judengass auf dem Plan oder Grund-Riss der Hoch-Graeffl. Nassau-Sarbr. Statt Lahr im Breisgau von Philipp Ludwig Dreyspring, 1726. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H Lahr 4]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Nach dem Aussterben der Grafen von Geroldseck fiel Lahr mit der Herrschaft Mahlberg 1426 an die Grafen von Mörs-Saarwerden. Bei der Teilung der Herrschaft kam Lahr 1629 an Nassau und fiel 1803 an Baden, das 1629 Mahlberg erhalten hatte.

Eine erste jüdische Gemeinde fiel den Verfolgungen der Festzeit 1348/49 zum Opfer. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts öffnete sich die Stadt erneut den Juden. 1852 wird der erste von einer Volkszählung erfasst. Seit der Gesetzgebung von 1862 strömten immer mehr Juden in die aufblühende Industriestadt, deren Einwohnerzahl seit den Gründerjahren sprunghaft anstieg. 1875 lebten 48 Juden in Lahr, 1887 65, 1900 141, 1925 118. Am 22. Juni 1888 wurden sie zu einer jüdischen Gemeinde zusammengeschlossen, die dem Rabbinatsbezirk Schmieheim (seit 1893 Offenburg) zugewiesen wurde. In der Bismarckstraße wurde ein Betsaal eingerichtet. Die Toten wurden auf dem Verbandsfriedhof Schmieheim bestattet.

Am 1. Oktober 1933 wurde die politische Gemeinde Dinglingen mit Lahr vereinigt. 1875 wohnten dort 7, um 1900 17 und 1925 noch ein einziger Jude. Bei der Volkszählung vom Juni 1933 lebten im Stadtgebiet 96 Angehörige der jüdischen Konfession. Bevor die Maßnahmen der Nationalsozialisten das Geschäftsleben der Juden abwürgten, betrieben diese mehrere Einzelhandelsgeschäfte in verschiedenen Branchen. Von großer wirtschaftlicher Bedeutung war das Metall­werk Oscar Weil AG, das über 150 Beschäf tigten Arbeit gab. Der damalige Leiter des Familienunternehmens, Hugo Weil, versuchte durch Eingaben bis zu den höchsten Regierungsstellen seiner „arischen" Frau und seinen Kindern das Erbe seines Vaters zu erhalten.

Obwohl da Aktienkapital sich zu 75 Prozent in nichtjüdischen Händen befand, wurde die Fabrik „arisiert". Hugo Weil, hochdekorierter Freiwilliger des Ersten Weltkrieges und Waffenstudent, emigrierte daraufhin nach England. Bis zu ihrer Auswanderung praktizierten ein jüdischer Notar, ein Arzt und eine Ärztin in der Stadt.

Über das Leben der jüdischen Gemeinde im Dritten Reich ist wenig bekannt. 1935 wurde die Erlaubnis zur Gründung einer Ortsgruppe der zionistischen „Jüdischen Jugendgemeinschaft" (Habonim noar Chaluzi) für die sieben schulpflichtigen jüdischen Kinder aus Lahr beantragt. Bedenken wurden von nationalsozialistischer Seite dagegen nicht erhoben.

Am Tag nach der Kristallnacht wurden in Lahr mehrere jüdische Geschäfte demoliert. Betroffen waren vor allem das Schuhgeschäft Haberer und das Gasthaus Haberer. Ausgeführt wurde die Judenaktion" von jungen Angehörigen der Gebietsführerschule Lahr. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten schon viele jüdische Bürger in Übersee eine neue Heimat gefunden.

Von 1933 bis 1945 lassen sich in den Unterlagen des städtischen Einwohnermeldeamts in Lahr insgesamt 121 Personen nachweisen, die nach der nationalsozialistischen Rassenideologie Juden waren. Davon starben 12 in Lahr, 50 wanderten aus, 22 wurden 1940 nach Gurs deportiert. Von diesen wiederum überlebten 5, 2 starben in französischen Lagern, 13 wurden in Auschwitz ermordet, 2 sind verschollen. Von den Ausgewanderten wurden Hans und Walter Lederer in Holland 1943 von der Gestapo verhaftet und später in Sobibor umgebracht. Martin und Mina Krause versuchten diesem Schicksal durch gemeinsamen Freitod zu entgehen. Martin Krause starb durch Gasvergiftung. Mina wurde im letzten Augenblick gerettet, um wenige Monate später dem Gastod von fremder Hand in Auschwitz zum Opfer zu fallen.

Auch die Spuren von 34 Juden, die bis 1940 aus Lahr verzogen sind, lassen sich zum Teil weiter verfolgen. Von ihnen wanderten 16 aus, 4 starben in Deutschland, 4 wurden nach Gurs deportiert und von dort nach Auschwitz. Eine wahre Odyssee war das Leben von Anneliese Lederer, der Schwester der in Sobibor umgebrachten Brüder. Sie zog 1937 als Fünfzehnjährige nach Konstanz. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Verwandten in Berlin gelangte sie Ende 1938 mit einem Kindertransport nach Holland, wo sie bis 1940 in einem Kinderheim verblieb. Nach zweijähriger Tätigkeit in einem jüdischen Altersheim in Amsterdam kam sie 1943 in das KZ Westerbork, von wo sie 1944 nach Theresienstadt überstellt wurde. Dort erlebte sie das Kriegsende und wanderte über Prag und Brüssel schließlich nach Schweden aus.

Von den drei in sogenannter Mischehe mit einem „arischen" Partner lebenden Juden wurde ein Mann noch 1945 nach Theresienstadt deportiert. Nach der Befreiung kehrte er in die Heimat zurück.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Lahr, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Germania Judaica, Bd.2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 463-464.
  • Kattermann, Hildegard, Geschichte und Schicksale der Lahrer Juden, hg. Stadtverwaltung Lahr, 1979.
  • Schellinger, Uwe, Der Tod des Kantors. Salomon Bergheimer (1887-1942) aus Lahr, in: Storchenturm - Infobroschüre für Lahr, Jg. 20. (2010), S. 3-7.
  • Stolpersteine in Lahr. Ein Geschichtsprojekt mit Schülerinnen und Schülern der Klasse 10a der Friedrichschule in Lahr, hg. vom Historischen Verein Mittelbaden Regionalgruppe Geroldsecker Land.
  • Stude, Jürgen, Die Lahrer Juden, in: Geschichte der Stadt Lahr, Bd. 3, 1993.
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