Schmieheim

Die Synagoge in Schmieheim, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge schwer beschädigt. Das Haus wurde in den 1950er Jahren verkauft und mehrfach umgebaut. [Quelle: Landesarchiv BW, EA 99/001 Bü 305 Nr. 1581]
Die Synagoge in Schmieheim, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge schwer beschädigt. Das Haus wurde in den 1950er Jahren verkauft und mehrfach umgebaut. [Quelle: Landesarchiv BW, EA 99/001 Bü 305 Nr. 1581]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das zum Ritterkanton Ortenau zählende Dorf Schmieheim kam 1439 an die Herren von Bock, und zwar zu 1/3 an die Ruster, zu 2/3 an die Gerstheimer Linie. Der Anteil der Bock von Gerstheim gelangte 1711 an die Familie von Waldner, die ihn nach mehrfachen Teilungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts stückweise zurückerwerben konnte. Der Anteil der Ruster Linie, später mit dem Namen Böcklin von Böcklinsau, fiel nach 1748 an die Freiherren von Berstett. 1806 kam Schmieheim unter badische Landeshoheit.

Das älteste Zeugnis für die Anwesenheit von Juden in Schmieheim ist die Dorfordnung von 1624, die den Einwohnern Kreditaufnahme bei Juden und den Juden bei Strafe von fünf Pfund Pfennig verbot, „zu practicieren, inn gemeinschaften zun khaufen, tauschen, oder zun handtlen". 1709 werden Löw Levie der Jud, Elias Schnurmann und Isac Dreyfuß als Einwohner Schmieheims genannt. Als 1716 die Stadt Ettenheim ihre Juden auswies, siedelten einige von den sieben betroffenen Familien nach Schmieheim für ein halbes Jahr über, ehe sie nach und nach wieder nach Ettenheim zurückkehrten. 1747 wohnten etwa 80 Juden im Dorf. Wegen der Zunahme der Judenfamilien beklagten sich die Einwohner bei dem Amtmann Wild vor allem deswegen, weil die Juden beim Tod eines Bürgers, besonders wenn er verschuldet war, die besten Häuser wegkauften. Unter den jungen Bürgern herrschte deswegen Wohnungsnot. Seit 1747 musste ein Jude für jede Erlaubnis zum Kauf eines Hauses sofort 30 Gulden zahlen. Ein christlicher Verkäufer erhielt für ein Jahr das Rückkaufsrecht. Auf dem Haus blieben die Bürgerabgaben haften, auch wenn der jüdische Käufer kein Bürgerrecht erwerben konnte. 1752 wurden die Juden gegen Abgabe von jährlich 69 Gulden zu Wasser und Weide zugelassen. Für die Neuaufnahme eines Israeliten waren an die Herrschaft 55 Gulden zu entrichten. Ferner hatte jeder jährlich 12 Gulden Schutzgeld und 1 Gulden Hausgeld zu zahlen. Beim Begräbnis eines Erwachsenen waren 1 1/2, bei dem eines Kindes unter 14 Jahren 1 Gulden fällig. Später kam noch eine jährliche Abgabe von 6 Gulden für die Synagoge hinzu.

1758 wohnten 28 Judenfamilien in Schmieheim, davon 10 in eigenen Häusern. 1769 wurde Samuel Levie Judenschultheiß. Er wurde 1777 des Meineids, Betrugs und Ehebruchs beschuldigt und seines Amtes entsetzt. Ein langer Prozess vermochte ihn zu rechtfertigen, verursachte aber beiden Parteien große Kosten.

Im 19. Jahrhundert erreichte die jüdische Gemeinde ihre größte Entfaltung. Zwischen 1850 und 1875 war fast die Hälfte der Einwohner Juden. 1809 lebten 57, 1834 91 Judenfamilien in Schmieheim. 1825 zählte der Ort 325 (36,4 Prozent) Israeliten, 1875 486 (45,2 Prozent), 1900 258 (29,3 Prozent), 1925 134 (17,8 Prozent).

Seit etwa 1777 war Schmieheim Sitz eines Rabbinats. Namentlich bekannt ist erst Rabbiner David Günzburger, der um 1790 vor der Französischen Revolution aus Bollweiler nach Schmieheim floh. Sein Sohn Josle folgte ihm 1817 im Amte nach. 1847 bis 1876 waren Kaufmann Roos aus Lichtenau und 1876-1893 Dr. Rawicz Rabbiner. 1827-1893 gehörten zum Rabbinatsbezirk Schmieheim die Gemeinden Altdorf, Diersburg, Durbach, Ettenheim, Friesenheim, Kippenheim, Lahr (seit 1888), Nonnenweier, Offenburg (seit 1866), Orschweier, Rust und Schmieheim. 1893 wurde der Rabbinatssitz auf die Bitte des Rabbiners Dr. Rawicz nach Offenburg verlegt.

Eine Synagoge bestand schon im 18. Jahrhundert. 1812 wurde sie durch einen größeren Neubau ersetzt. Der Judenvogt Hirschel Levi Wachenheimer bat um unentgeltliche Abgabe von Bauholz für die Synagoge aus dem Staatswald, was der jüdischen Gemeinde Kippenheim 1793 bewilligt worden war. Die Schmieheimer Juden erhielten zwar das Bauholz, mussten aber 532 Gulden dafür bezahlen. Ein großer Teil der Baukosten wurde durch Versteigerung der Synagogenplätze gedeckt. Ihre Verteilung gab Anlass zu Unzufriedenheit und sogar zur Klage beim Amt. 1843 wurde die Synagoge bei einer Besichtigung innen und außen verwahrlost gefunden. Bei der daraufhin vorgenommenen Renovierung wurde auch die Zahl der Sitzplätze vermehrt. 1875 wurde die Synagoge zum zweiten Mal renoviert.

Seit 1813 zahlten die Israeliten dem evangelischen Lehrer für jedes ihrer Kinder im Vierteljahr 24 Kreuzer Schulgeld. Dafür musste er die Kinder täglich eine Stunde besonders unterrichten. Weil die Kinder sehr unregelmäßig die Schule besuchten, bat 1819 der Rabbiner den Schulrat, Dekan Engler in Kippenheim, er möge für Abhilfe sorgen. Als Engler bei den Eltern wenig Unterstützung fand, sprach er das Bezirksamt um Hilfe an. Ein strenger Befehl des Amtes zum pünktlichen Schulbesuch war die Folge. Damals besuchten 40 Kinder die Schule. 1828 bestellten die Juden Moses Richter aus Buchen als eigenen Lehrer. Ihm folgte 1830 Gideon Moos aus Tiengen und 1832-1842 lsac Löw Ballin. 1837 besuchten 58 Schüler die jüdische Schule. Lehrer Gombrich unterrichtete 1855 120 israelitische Kinder. 1855-1867 wurden sie im Schloss unterrichtet, weil ihr altes Schulzimmer zu klein und ungesund war. 1867 bauten die Juden ein eigenes Schulhaus. Dem Verlangen um einen Beitrag der politischen Gemeinde wurde nicht stattgegeben. Mit Rücksicht darauf musste seit der Einführung der Simultanschule im Jahre 1876, als die Gemeinde vier Klassen in das israelitische Schulhaus einwies, die politische Gemeinde der israelitischen Gemeinde eine jährliche Miete zahlen. Lehrer Gombrich wurde zweiter Hauptlehrer an der Simultanschule. 1881 erhielt er die Goldene Verdienstmedaille. Wegen des Rückgangs der Zahl der jüdischen Schüler - 1905 waren es nur noch 36 - wurde die zweite Hauptlehrerstelle aufgegeben und ein jüdischer Unterlehrer angestellt.

Der jüdische Friedhof von Schmieheim ist der größte Verbandsfriedhof in Südbaden. Auf ihm ruhen etwa 2.000 Tote von Altdorf, Ettenheim, Friesenheim, Kippenheim, Nonnenweier, Orschweier, Rust und Schmieheim. Nur Nonnenweier erhielt 1880 einen eigenen Judenfriedhof. Wegen seiner Größe wird das Alter des Schmieheimer Friedhofs häufig überschätzt. Er wurde erst im 17. Jahrhundert angelegt. Der älteste erhaltene Grabstein stammt von 1703.

Zur Unterstützung Hilfsbedürftiger und Kranker gründete die jüdische Gemeinde im 19. Jahrhundert einen Kranken- und Frauenverein. Von dem friedlichen Einvernehmen zwischen Juden und Christen zeugt die gemeinsame Einrichtung einer Krankenpflegestation im Jahre 1901.

An Handel und Gewerbe hatten die Juden in Schmieheim bedeutenden Anteil. Noch 1933 gab es dort 5 Pferdehändler und 4 Viehhändler. Ferner gab es 3 jüdische Manufakturwarengeschäfte, 2 Kolonialwarengeschäfte und 2 Zigarrengeschäfte. Jakob Dreyfuß betrieb eine Zigarrenfabrik mit Zigarrengroßhandel, Nathan Bloch eine Likörfabrik. Leopold Hofmann war Inhaber einer Drahtgeflecht- und Siebfabrik. Isidor und Wilhelm Bloch hatten gemeinsam eine Bäckerei. Eine Mazzenbäckerei betrieb Leopold Hofmann. Die Gastwirtschaft „Zur Krone" gehörte David Schwab.

Boykott und Diffamierung der Juden begannen bereits 1933. Schon in diesem Jahre verließen die ersten der etwa 120 Juden das Dorf. Bis 1940 wanderten 29 aus, davon 22 nach den USA. In der Kristallnacht wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Die Bodenteppiche brachte man zum Rathaus, und einige Thorarollen hängte man am Bahnhof Dinglingen als Schaustücke auf. Im Schulhaus wurde die Bibliothek der israelitischen Gemeinde verwüstet. Am 10. November kamen einige Leute aus Ettenheim, um die Wohnungen der Juden zu demolieren. Sie wurden jedoch von den Schmieheimern an ihrem Vorhaben gehindert und aus dem Dorf getrieben. In der folgenden Nacht patrouillierten sogar einige Einwohner durch die Straßen, damit den Juden nichts geschehe. Um diese Zeit wurden auf dem jüdischen Friedhof Grabsteine umgeworfen, die Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs - unter denen sich drei Schmieheimer Juden befanden - zerstört und die Friedhofskapelle angezündet. Der Brand konnte noch rechtzeitig vom Pfarrer und einigen Einwohnern gelöscht werden. Mindestens 9 Männer kamen nach Dachau. An den Folgen der „Schutzhaft" starb der Zigarrenhändler Emanuel Dreyfuß nach der Entlassung auf der Heimreise in München. Auf diese Ausschreitungen hin verzogen im Frühjahr 1939 viele Familien nach Freiburg, Mannheim, Pforzheim, Karlsruhe, Frankfurt und andere Orte; insgesamt 51 Juden verzogen seit 1933 innerhalb Deutschlands. In Schmieheim starben bis 1941 17 jüdische Einwohner.

Am 22. Oktober 1940 wurden 14 Juden aus Schmieheim nach Gurs deportiert. 20 ehemalige Schmieheimer wurden von dieser Aktion in ihren neuen Wohnsitzen betroffen. Von diesen 34 starben 6 in französischen Lagern, 17 in Auschwitz, 7 gelangten in die USA, 1 überlebte in Frankreich und 3 sind verschollen. 8 Juden blieben wegen Alter oder Krankheit zurück. Der Kantor Abraham Bloch kam im Herbst 1941 in das jüdische Altersheim Buttenhausen. Von dort wurde er 1942 über Theresienstadt nach Maly Trostinec deportiert, wo er den Tod fand. In Schmieheim starb 1941 Henriette Meier. Ihre drei Kinder und ihre Schwester verließen am 22. April 1942 als letzte Juden das Dorf und zogen nach Mannheim, von wo aus sie einige Monate später nach dem Osten deportiert wurden. Sie starben in Theresienstadt, in Auschwitz und in Izbica. Izbica war auch die letzte Station des Leidensweges von Leopold Hofmann und seiner Tochter Betty.

Heute lebt kein Jude mehr in Schmieheim. Die frühere Synagoge wurde verkauft und zu einem Fabrikgebäude umgebaut. Nur der seit 1959 wieder instandgesetzte und vorbildlich gepflegte Verbandsfriedhof am Fuße des Heidenkopfes kündet von der einstmals blühenden Judengemeinde in Schmieheim.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Neu, Heinrich, Geschichte des Dorfes Schmieheim, 1902.

Ergänzung 2023:

In den 1990er-Jahren wurde die ehemalige Synagoge von einem Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus umgebaut.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Schmieheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Bamberger, Naftali Bar-Giora, Der jüdische Friedhof Schmieheim. Memor-Buch, Bd.1 und 2, 1999.
  • Boll, Günter, Die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Schmieheim, in: Die Ortenau 79 (1999), S. 643-646.
  • Boll, Günter, Die frühesten Bestattungen auf dem jüdischen Friedhof von Schmieheim, in: Geroldsecker Land 39 (1997), S. 24-35.
  • Köbele, Albert/Scheer, Hans/Ell, Emil, Ortssippenbuch Schmieheim, Ortenaukreis/Baden, Grafenhausen bei Lahr/Baden 1979.
  • Kreplin, Renate/Schellinger, Uwe, Die Schmieheimer Genisa, in: Kippenheimer Chronik 2005, S. 98-99.
  • Kreplin, Matthias, Rundgang durch das jüdische Schmieheim, 1999.
  • Müller, Monika, Leben mit zwei verschiedenen Zeiten. Die jüdischen Kalender aus dem Bestand der Schmieheimer Genisa, in: Die Ortenau 86 (2006), S. 269-286.
  • Pommerening, Günther, Die Juden in Schmieheim. Untersuchung zur Geschichte und Kultur der Judenheit in einer badischen Landgemeinde, Hamburg 1980.
  • Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim, Rust, Orschweier. Ein Gedenkbuch, hg. vom Historischen Verein für Mittelbaden e.V., Mitgliedergruppe Ettenheim, Ettenheim 1988.
  • Teitler, Georges M., Vergangenheit und Gegenwart zusammen bringen. Wie junge Amerikaner ihre Ahnen auf dem jüdischen Friedhof in Schmieheim finden können, in: Maajan. Die Quelle. Zeitschrift der Schweizerischen Vereinigung für Jüdische Genealogie 99 (2011).
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