Wer kam in welche Einrichtung? Aufnahme- und Verlegungspraxis

Von Gudrun Silberzahn-Jandt

 

Kinder im Krankenhaus der Diakonie Stetten [Quelle: Historisches Archiv Diakonie Stetten 2592_12]. Aus rechtlichen Gründen wurden die Gesichtszüge der abgebildeten Personen anonymisiert. Zum Vergrößern bitte klicken.
Kinder im Krankenhaus der Diakonie Stetten [Quelle: Historisches Archiv Diakonie Stetten 2592_12]. Aus rechtlichen Gründen wurden die Gesichtszüge der abgebildeten Personen anonymisiert. Zum Vergrößern bitte klicken.

Viele der Anstalten nahmen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten – oft entgegen ihrer Bezeichnungen – Menschen mit unterschiedlichen Hilfebedarfen und verschiedenster Altersgruppen auf. Dies konnte für die Bewohnerinnen und Bewohner bedeuten, dass ihre spezifischen Bedürfnisse hintenanstehen mussten, oder das dahingehend nicht qualifizierte Personal diese schlicht nicht wahrnahm. Damit waren diese Heime nur selten ausschließlich Jugendhilfeeinrichtungen oder Orte für Menschen mit Behinderungen. Dennoch zeigen sich einige Spezifika bei Aufnahme und Verlegung, die für die meisten dieser Einrichtungen der Behindertenhilfe galten.

Anstalten, die zur Inneren Mission gehörten, ließen fast ausschließlich protestantische Personen einziehen, solche, die Mitglieder des Caritasverbands waren, nur katholische. Kommunale oder staatliche und auch private Träger orientierten sich nicht an der Religionszugehörigkeit. Viele wurden bereits als Kind oder Jugendliche in einem Heim aufgenommen und in ihrer Entwicklung zur Selbstständigkeit wenig gefördert.  Die Welt in den Heimen wurde von der Institution als sicher beschrieben, die außerhalb als gefährlich. Dass ihnen später als erwachsene Person attestiert wurde, dass sie „immer des behütenden Schutzes eines Heimes bedürfen“ und daher eine dauerhafte Heimunterbringung nötig sei, wundert deshalb nicht.

Neben Heimen, die wenig spezialisiert waren und Menschen mit Behinderung und auch sogenannte Fürsorgezöglinge aufnahmen, gab es auch solche, die sich ausschließlich auf die Erziehungspflege und damit nur auf Kinder und Jugendliche und deren Entwicklungs- und Verhaltensprobleme konzentrierten. Insbesondere unter diesen Anstalten finden sich einige, die ausnahmslos Mädchen versorgten, wie das Fürsorgeheim Urbach-Oberurbach im Remstal, oder solche, die nur Jungen aufnahmen, so das Landesjungenheim Schloss Flehingen in Oberderdingen. Die Jugendlichen selbst sprachen aus ihrer Perspektive von einer Hierarchie der Heime: Sie erlebten solche, die ihnen mehr und solche, die ihnen weniger Freiheit boten. In letztere wurden sie als höchste Stufe der Bestrafung bei unangepasstem Verhalten und einer Eskalation der Situation in der aktuellen Einrichtung verlegt. Zudem wurden sie mit einer Warnung einer möglichen Verlegung eingeschüchtert. In der Anstalt Stetten war unter den Jungen die Drohung, man müsse aus Stetten fort und komme in die als sehr streng geltende staatliche Fürsorgeerziehungsanstalt Schönbühl, besonders angstbesetzt. Eine noch größere Furcht löste die Ankündigung einer möglichen Verlegung in die Psychiatrie aus. Auffälliges Verhalten und Symptome einer psychischen Erkrankung ließen sich nicht immer gut differenzieren. Oft war es auch eine Gratwanderung in der Einschätzung. Solchen Verlegungen ging, sofern es sich nicht um eine akute Situation einer Krise handelte, eine ärztliche Untersuchung durch den Landesjugendarzt voraus. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1961 erstellte der Landesjugendarzt Max Theodor Eyrich die dazu nötigen Gutachten. Eyrich hatte bereits in der Zeit des Nationalsozialismus diese Stelle beim Landesjugendamt Württemberg-Hohenzollern inne und in dieser Funktion tatkräftig an den „Euthanasie“-Morden und der Deportation von Sintikindern mitgewirkt. Im Grafeneckprozess im Jahr 1949, bei dem er angeklagt war, wurde er, da ihm keine eine eigene Tatherrschaft nicht nachgewiesen werden konnte, freigesprochen.

Sowohl die Jugendämter, die für die Fürsorgeerziehung und Einweisungspraxis zuständig waren, als auch die Heime verfolgten meist das Prinzip, dass Geschwisterkinder getrennt und in unterschiedlichen Einrichtungen untergebracht werden sollten. Hintergrund solchen Vorgehens war, dass die Beziehung zur Herkunftsfamilie und den Geschwistern für die weitere Entwicklung des Kindes nicht als bedeutend erachtet wurde. Zugewiesen wurden die Kinder und Jugendliche durch die Kreisfürsorgeämter mit dem Zweck der Erziehung, Heilung und Pflege. Die Eltern hatten bei der Einweisung kaum Mitsprachemöglichkeiten. Die bei den Jugendämtern angestellten Ärzte und Beamten konnten bei einer von ihnen attestierten körperlichen oder sittlichen „Verwahrlosung“ eines Kindes oder Jugendlichen oder auch bei der Gefahr einer solchen präventiv eingreifen und eine Heimeinweisung erwirken. Die letztliche Entscheidung trafen dann die Vormundschaftsgerichte. Sie konnten bis 1958 eine Heimeinweisung sogar veranlassen, ohne die Eltern dazu angehört zu haben. Verlegungen und Aufnahmen von Jugendlichen fanden auch statt, um Ausbildungen, die in der eigenen Einrichtung nicht angeboten werden konnten, zu ermöglichen.

 

Literatur:

  • Burkhardt, Anika, Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts. (BtrRG); Bd. 85). Tübingen 2015, S. 573-575.

 

Zitierhinweis: Gudrun Silberzahn-Jandt, Wer kam in welche Einrichtung? Aufnahme- und Verlegungspraxis, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.

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