Flehingen: Eine Einrichtung – drei Biographien
Biographien dreier ehemaliger Jugendlicher, von denen zwei fast zeitgleich in Flehingen untergebracht waren, zeigen drei unterschiedliche Lebenswege.
Von Jürgen Treffeisen
Herbert Haselwander – der überzeugte Nationalsozialist
Herbert Haselwander wurde am 10. Januar 1910 in Freiburg geboren und kam im Januar 1928 in das Erziehungsheim Flehingen, nachdem er wegen Betrugs und Identitätsschwindels aufgegriffen worden war. Während seiner Zeit im Erziehungsheim äußerte Haselwander bereits den Wunsch, zum Reichsheer zu gehen, und war politisch in einer nationalsozialistischen Jugendorganisation tätig. Er absolvierte eine Lehre in der Landwirtschaft. Seine in der Akte dokumentierten Aussage, er habe zu Büroarbeit weder Lust noch Eignung, wird seine weitere Karriere widerlegen.
Haselwander trat bereits 1927 in die NSDAP ein und wurde 1930 Geschäftsführer und Propagandaleiter der Hitlerjugend im Gau Thüringen. Im Dezember 1927 wurde er zum Oberbannführer in der Hitlerjugend im Gebiet 17 (Thüringen), und zudem – im Alter von gerade einmal 20 Jahren – zum Kreisleiter der Kreise Heiligenstadt und Worbis ernannt. 1936 wurde er Gauschulungsleiter für den Gau Thüringen und übernahm das Amt eines Kreisdeputierten im Kreis Heiligenstadt. Zudem agierte er seit März 1936 als Abgeordneter der NSDAP für Thüringen im Reichstag. In Heiligenstadt benannte man damals sogar eine Straße nach ihm. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gab ihm die Möglichkeit, die ersehnte Laufbahn im Militär einzuschlagen. Trotz seines hohen Amtes in der NSDAP zog er als Oberleutnant mit in den Krieg. Er fiel am 21. Mai 1940 bei Arras.
Hans-Heinrich Hornberger – der kommunistische Widerstandskämpfer
Hans-Heinrich Hornberger wurde am 12. Juli 1907 in Bayreuth geboren und am 1. Dezember 1924 im Erziehungsheim Schwarzacher Hof aufgenommen, später nach Flehingen überstellt. Hans Hornberger trat Ende der 1920er in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein und wurde bald Agitprop-Leiter der KPD-Betriebszelle bei der Werft Blohm & Voss in Hamburg, seiner damaligen Arbeitsstelle. Er wurde 1930 erwerbslos und nutzte diese Zeit für weiteres politisches Engagement. So behielt er seinen Agitprop-Posten, war in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) tätig und kurzzeitig Parteisekretär der KPD. Über das Amt des besoldeten Unterbezirksleiters im Bezirk Lüneburg stieg Hornberger weiter zum Parteiinstrukteur für die Bezirksebene Hamburg auf.
Aufgrund seiner politischen Einstellung saß Hornberger 1932 acht Monate in Untersuchungshaft. Danach fungierte er als Parteiinstrukteur im KPD-Bezirk Wasserkante. Nach weiteren fünf Monaten in Untersuchungshaft wurde Hornberger 1936 erneut bei der Werft Blohm & Voss angestellt. Hier beteiligte er sich am Aufbau illegaler Kommunikationsstrukturen unter den Gegnern des Nationalsozialismus. Ab 1942 wirkte Hornberger in der Widerstandsgruppe um Bernhard Bästlein als Betriebszellenleiter mit. Ihre Aktionen bestanden aus Sabotage an Werkzeug und Material, Aufklärung über den Kriegsverlauf bis hin zu Beschädigung von Schiffsmotoren. Ende 1942 gelang es den Nationalsozialisten, die Struktur der Bästlein-Organisation aufzudecken und deren Akteure festzunehmen. Hans Hornberger wurde am 19. Oktober 1942 verhaftet. Nach den Luftangriffen auf Hamburg im Juli 1943 kam Hornberger frei und tauchte unter, ehe er am 4. Januar 1944 wieder verhaftet wurde. Hornberger wurde mit drei weiteren Widerstandskämpfern auf Befehl Heinrich Himmlers – und somit ohne Prozess – ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht. Dort wurden sie noch am selben Tag, dem 14. Februar 1944, hingerichtet.
Josef Weber – der Wunderheiler von Schutterwald
Josef Weber, geboren am 18. März 1945, kam Ende 1959 in das Erziehungsheim Flehingen, nachdem er des Diebstahls überführt worden war. Er absolvierte nach seiner Zeit im Erziehungsheim Flehingen eine Lehre zum Kfz-Mechaniker und Pflasterer, versuchte sich als selbstständiger Bauunternehmer. Vier Monate saß er wegen Verletzung der Aufsichtspflicht in Haft.
Bekannt wurde Josef Weber 1974 als Wunderheiler von Schutterwald. Nach eigenen Angaben erschien ihm am 6. Dezember 1973 ein helles Dreifaltigkeitszeichen, und eine Stimme sagte ihm, er habe die Kraft in sich, den Menschen zu helfen. Im Januar 1974 traf Weber auf Ursula Vetter. Ihre Hände waren zu diesem Zeitpunkt seit 8 Jahren offen gewesen, manche Finger bestanden fast nur noch aus Knochen, die Hände waren spröde und sehr empfindlich. Weber forderte sie auf, ihren Verband zu entfernen und die Wärme seiner Hände zu spüren. Er bat die Frau, den Verband nicht mehr anzulegen, sie werde ihn bereits am nächsten Morgen nicht mehr brauchen.
Am nächsten Tag brachte Weber zwei Reporter der Bildzeitung zu Ursula Vetters Wohnung, nach seiner Aussage ohne die Wirkung seiner Behandlung zu kennen oder die Adresse von Ursula Vetter selbst erfahren zu haben. Ihre Hände waren an diesem Morgen, wie von ihm prophezeit, zugeheilt und sahen fast gesund aus.
Die Schlagzeile über die wundersame Heilung löste einen Ansturm von Pilgern aus. Er wurde über Nacht berühmt. Obwohl sich Josef Weber anfangs nicht bezahlen, sondern höchstens beschenken ließ, verdiente er schnell ein Vermögen. 1975 mietete Weber ein Hotel in Müllheim, das ihm als Praxis diente. Er gründete Außenstellen in Bayern, dem Saarland und Niedersachsen, zu denen er per Flugzeug pendelte. Seinen Verdienst gab Weber zu diesem Zeitpunkt auf mindestens 20.000 Mark pro Monat an. Da Weber jedoch keinerlei Lizenz für eine gesundheitliche Behandlung besaß, wurde er 1981 wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz verurteilt. In der Folge verlieren sich seine Spuren. Er starb 1991.
Auszüge aus: Die Unterlagen der Erziehungsheime Flehingen und Stutensee im Generallandesarchiv Karlsruhe, in: „Aufarbeiten im Archiv“; leicht überarbeitet von Nora Wohlfarth. Die vollständige Fassung enthält Fussnoten und Einzelnachweise.
Bilder:
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe, Glasnegative Wilhelm Kraft 498-1 Nr. 7268, Bild 1. (Kachelbild)
Literatur:
- Treffeisen, Jürgen: Die Unterlagen der Erziehungsheime Flehingen und Stutensee im Generallandesarchiv Karlsruhe, in: Aufarbeiten im Archiv. Beiträge zur Heimerziehung in der baden-württembergischen Nachkriegszeit. Hrsg. Christian Keitel, Nastasja Pilz und Nora Wohlfarth. Stuttgart 2018.
- Erziehungsheim Schloss Flehingen: Zöglingsakten (Bestand), Bestandssignatur: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 484-1
- Brandmeier, Jonas: Eine Jugend, zwei Ideologien. In: Archivnachrichten 55. (2017). S. 24.
Zitierhinweis: Jürgen Treffeisen, Flehingen: Eine Einrichtung – drei Biographien, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.03.2022.
Weitere Beiträge zum Thema:
- Flehingen
- Stutensee
- Die überlieferten Unterlagen von zwei Erziehungsheimen und ihre Auswertungsmöglichkeiten