Überraschende Relevanz – Das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau

 

von Christoph Beckmann

Die meisten Akten enthalten keine so dramatischen Ereignisse, wie im Kinderheim Johanni[1] . Unspektakulär, aber dennoch interessant, ist zum Beispiel die Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau in Ravensburg. Auch hier waren Minderjährige untergebracht, das Landesjugendamt also aufsichtspflichtig.

Die Akten verdeutlichen vor allem die zuvor[2] beschriebene finanzielle Bedeutung des Bundessozialhilfegesetzes für Einrichtungen der Behindertenhilfe. Diverse Briefe aus der Akte beschäftigen sich mit der Kostenübernahme für aufgenommene Patientinnen und Patienten, immer wieder mit Verweis auf dieses Gesetz. Doch nicht nur im Hinblick auf diese Kosten wurde auf das Bundessozialhilfegesetz verwiesen. So versuchte das Krankenhaus etwa, das Landesjugendamt dazu zu bewegen, die Erstattung der Auslagen eines freiwilligen Mitarbeiters auf Basis dieses Gesetzes zu erreichen[3] . Das Landesjugendamt lobte zwar die Arbeit des Mannes, erklärte sich allerdings für nicht zuständig und verwies auf den örtlichen Träger der Sozialhilfe.

Allerdings finden sich nicht nur Dokumente zu finanziellen Angelegenheiten in der Akte. In einem Brief aus dem Jahre 1970 beschwerte sich der Direktor des Landeswohlfahrtsverbandes, dem das Landesjugendamt untergeordnet ist, beim baden-württembergischen Innenministerium über die zu geringe personelle Ausstattung der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses. Diese sei aufgrund dieses Mangels nicht mehr in der Lage, ihre auch für das Landesjugendamt wichtigen Aufgaben zu erfüllen: „Das Landessozialamt und das Landesjugendamt sind auf die [sic!] Weise in der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben gegenüber entwicklungsgefährdeten, verwahrlosten, geistig oder seelisch behinderten oder kranken Kindern und Jugendlichen erheblich eingeschränkt“.

Der Brief gibt einen Einblick in die große Bedeutung des Psychiatrischen Landeskrankenhauses für das System der Jugendhilfe, genau an dem Punkt, wo es auf die Systeme der Behindertenhilfe trifft. So sei häufig „eine fachgerechte jugendpsychiatrische klinische Diagnostik und Therapie häufig erst Voraussetzung für weitere Maßnahmen der Sozialhilfe und der Jugendhilfe.“[4]

Hier zeigt und erklärt sich das große Interesse des Landesjugendamtes an einer Institution, bei der es auf den ersten Blick überraschen könnte, wieso sie überhaupt unter die Aufsicht des Amtes fiel, handelte es sich doch beim Landeskrankenhaus nicht um eine klassische Einrichtung für Jugendliche.

Am Beispiel des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Weissenau zeigt sich also eine Form der Interaktion der verschiedenen, für Aufsicht und Finanzierung derselben Institution zuständigen Institutionen. Deutlich wird, wie wichtig das Krankenhaus für das Landesjugendamt war; eine Wichtigkeit, die sich in der Zahl der dort untergebrachten Jugendlichen keineswegs widerspiegelt. Daher setzte sich das Landesjugendamt bzw. der Landeswohlfahrtsverband sehr deutlich für das Krankenhaus ein. Eine völlig andere Form der Interaktion zeigte sich in der nächsten Einrichtung.

 

Anmerkungen

[1] Siehe Kapitel: Die Anwendung in der Praxis – Beispiele aus den Aufsichtsakten des Landesjugendamtes.
[2] Siehe Kapitel: Die rechtliche Situation: Jugendliche in den Gesetzen der Behindertengesetzgebung.
[3] Brief des Landesjugendamtes an das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau 10.6.1966, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 61.
[4] Brief des Direktors des Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollern an das Innenministerium Baden-Württemberg vom 24.12.1970, Aufsichtsakte des Landesjugendamtes für das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau, Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 90 V Bü 61.

 

Zitierhinweis: Christoph Beckmann, Überraschende Relevanz – Das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weissenau, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.