Kübler-Umzug in Bad Cannstatt 1957
Von Felix Teuchert
In den protestantischen Teilen Württembergs gibt es keine nennenswerte Fastnachtstradition. Die Reformatoren schätzten den religiösen Brauch des Fastens während der Passionszeit nicht sonderlich. Fasten galt ihnen als Ausdruck einer veräußerlichten Frömmigkeit, ähnlich wie das Beten des Rosenkranzes oder auch der Ablasshandel. Mit der Abschaffung des Fastens verlor auch die Fastnacht ihren Sinn, so dass die Tradition abbrach. Dass dennoch auch in protestantischen Territorien Fasching gefeiert wird, ist vor allem auf die Expansion des rheinischen Karnevals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Der rheinische Karneval mit seinen typischen Mottowagen breitete sich auch im deutschen Südwesten aus. In den katholischen Gebieten des deutschen Südwestens verdrängte er die bis ins Mittelalter zurückreichende schwäbisch-alemannische Fastnachttradition, aber auch in protestantischen Territorien erhielt der Karneval Einzug. Träger des Karnevals war das Bildungsbürgertum, das im Karneval ein nationales Kulturgut entdeckte und eine Veredelung des Karnevals anstrebte. Zugleich fand eine Nationalisierung des Karnevals statt: Zum einen wurde – auf der Suche nach einem nationalen Selbstverständnis im Zeitalter des Nationalismus – ein regionaler Brauch als identitätsstiftender nationaler Brauch des deutschen Volkes entdeckt, zum anderen wurden insbesondere seit den 1870er Jahren immer häufiger nationale und patriotische Motive aufgegriffen und zur Darstellung gebracht, beispielsweise Szenen aus dem deutsch-französischen Krieg.
Dieser Prozess lässt sich auch am Beispiel des protestantisch geprägten Bad Cannstatt beobachten. So fand im Jahr 1855 der erste Narrenzug statt. 1924 fand zudem erstmals ein Faschingsball statt. Der gegründete Verein, der die Bälle organisierte, nannte sich „Kübelesmarkt“, ebenso werden die Umzüge in Cannstatt „Kübler-Umzüge“ genannt. Als Verkleidung dient eine stilisierte Bauerntracht. Im Laufe der Zeit passte sich auch der Küblermarkt dem Trend zur schwäbisch-alemannischen Fastnacht an. So begegnen auf den Kübler-Umzügen Figuren, die an die schwäbisch-alemannische Fastnacht angelehnt sind. Eine der Hauptfiguren ist die Felbe, die 1952 eingeführt wurde und auf eine Legende aus dem Pfälzischen Erbfolgekrieg zurückgeht. Zu erkennen ist sie an einer grotesken Lindenholzmaske und – ähnlich wie die aus der Bodenseeregion stammenden Hänsele und Blätzlebuben – an den über tausend bunten Filzwimpeln, die an dem Kostüm befestigt sind. Weitere Figuren sind der Mond, der Brunnengeist oder der Mondlöscher, die teilweise sogar erst in der jüngsten Gegenwart eingeführt wurden. Im Jahr 1992 gab es in Bad Cannstatt ein besonderes Event: Der Umzug der Vereinigung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte fand in diesem Jahr in Bad Cannstatt statt und wurde durch den Südwestdeutschen Rundfunk erstmals im Fernsehen übertragen – ein großer Fernseherfolg.
Literatur
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Blümcke, Martin/Dold, Angelika/Dold, Wilfried/Wehrle, Roland, Zur Geschichte der organisierten Fastnacht, hg. von der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte, Vöhrenbach 1999.