Die Korsettindustrie in Württemberg: Ein Welterfolg
Von Carmen Anton
Die Geschichte des Korsetts beschränkt sich nicht allein auf Elemente der Modegeschichte. Gerade im Königreich Württemberg ist seine Herstellung auch bedeutsamer Bestandteil der regionalen Wirtschaftsgeschichte. Nicht zuletzt unter dem prägenden Einfluss württembergischer Unternehmer wurde das komplexe Korsett der Moden des 19. Jahrhunderts zu einer erschwinglichen Massenware für alle gesellschaftlichen Schichten in der westlichen Welt.
Von den ersten Fabriken zur Blüte der Korsettindustrie
Bereits 1842 gründete der Damenschneider Joseph Schell in Ludwigsburg eine Fabrik für genähte „Spickelkorsetts“. Der wirtschaftliche Durchbruch in der Korsettherstellung entstand jedoch auf einem anderen Weg, obgleich Schells Geschäft wuchs und in den 1860ern schließlich florierte.
1848 eröffnete in Stuttgart die erste deutsche Fabrik – strenggenommen, ebenso wie ihre ersten Nachfolgerinnen, noch eine Manufaktur - für gewebte Korsetts. Den Eindrücken der 1848er Revolution folgend hatte man die Königliche Zentralstelle für Gewerbe und Handel ins Leben gerufen. Diese initiierte ein Programm zur Förderung erwerbsloser Weber, aus welchem diese erste Fabrik hervorging.
Gegründet wurde sie von dem Franzosen Charles d’Ambly. Frankreich galt seinerzeit als Wiege der schönsten und hochwertigsten Korsetts, was dem Ruf der Ware d’Amblys gewiss zuträglich war. Doch er schloss sein Werk bereits 1851 aufgrund mangelnden Absatzes, trotz bester Bedingungen in Form von Subventionierung, hochmoderner Fabrikausstattung und qualifizierter Arbeiter.
In diesem Jahr wurde von der sogenannten Weber-Association-Göppingen eine weitere Webkorsettfabrik etabliert. Betrieben von insgesamt sieben vorwiegend jüdischen Webmeistern als Gesellschaftern wurde auch diese 1855 wieder aufgegeben, nicht jedoch wegen mangelndem Erfolg. Im Gegenteil: Die Nachfrage stieg derart eklatant, dass die ehemaligen Gesellschafter sich nun in Eigenregie selbstständig machten und neue Fabriken an den Standorten Göppingen, Stuttgart und Cannstatt eröffneten. Württembergische Korsetts waren binnen weniger Jahre zu einem weltweit nachgefragten Exportgut geworden, welches bis in die USA verschifft wurde. Sie standen im Ruf, qualitativ in keiner Weise hinter der französischen Konkurrenz zurückzubleiben, waren jedoch erheblich günstiger zu erwerben, was ihnen einen großen Marktvorteil einbrachte.
1856 eröffnete d’Ambly seine zweite Fabrik für nahtlose Webkorsetts in Stuttgart, im selben Jahr noch eine weitere in Magstadt. Zusätzliche Zweigstellen, beispielsweise in Möhringen und Schönaich, folgten in den nachfolgenden Jahren.
Die beinahe vollständig auf Export ausgerichtete Firma Ottheimer & Söhne, eine der Nachfolgefabriken der ursprünglichen Göppinger Einrichtung, eröffnete nicht nur weitere Nebenstellen im Königreich, sondern gründete 1865 sogar eine Zweigstelle in New York.
Bereits in den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Fabrikanten derart gestiegen, dass die einzelnen Hersteller einander nennenswerte Konkurrenz wurden. Doch obgleich der Markt blühte und d’Ambley und Ottheimer zahlreiche Patente zur Verbesserung ihrer Kreationen anmeldeten, blieb die Situation der für sie und andere Industrielle arbeitenden Weber eher prekär. Die Fabrikarbeiter in der Korsettherstellung waren Selbstständige. Aufgrund dieses Status war es potenziell jeden Tag möglich, dass ihr Stundenkontingent dramatisch reduziert oder sie gar ohne Umschweife „auf 0 gesetzt“, das heißt de facto entlassen, wurden.Ferner verfügten sie ihrer Selbstständigkeit zum Trotz nicht über die notwendigen Produktionsmittel. Die in den Fabriken verwendeten Webstühle waren kostspielige Anschaffungen, sowie komplizierte Maschinerien, welche die Fabrikeigentümer aus Frankreich eigens importierten und in ihren Hallen den Arbeitern zur Verfügung stellten. Damit waren die Weber zur Verrichtung ihrer Arbeit auf die Mittel ihres Arbeitgebers dringend angewiesen. Ferner fehlte es ihnen spätestens ab 1862 mit der Abschaffung der Zünfte an einem Sprachrohr ihrer Profession.
1865 profitierte die Konjunktur des Korsettexports vom Ende des amerikanischen Bürgerkriegs. Dort war die Modeindustrie zwischen 1861 und 1865 weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Abschaffung der Sklaverei im Anschluss führte zu einem dramatischen Einbruch des dortigen Baumwollmarktes. Entsprechend groß war das amerikanische Interesse am Import der württembergischen Korsetts.
Amerikanerinnen waren von Beginn an ein lohnenderer Markt für die Fabrikanten, als die einheimischen Damen. Die deutsche Landbevölkerung, welche von den niedrigen Preisen der Massenware Korsett hätte profitieren können, lehnte sie oftmals aufgrund des beengenden Tragegefühls eher ab, Damen der feinen Gesellschaft und die ihnen nacheifernden Städterinnen indes präferierten noch das kostspieligere, aber auch prestigereichere Korsett aus handwerklicher Herstellung auf Maß.
Die Amerikanerinnen indes schätzten das nahtlose Korsett und seine umgehende Verfügbarkeit, zumal die überwiegend puritanischen Frauen oftmals auf eine Anprobe beim Einkaufen verzichteten und ihrem Kaufverhalten also Korsetts ohne die Notwendigkeit von persönlicher Vermessung durchaus entgegenkamen. Gleichzeitig lag das Lohnniveau in den USA höher als in den deutschen Staaten, weswegen selbst Arbeiterinnen Kapital für mehrere Korsetts aufbringen konnten und offenkundig auch wollten.
Der Niedergang der württembergischen Korsettfabriken - und ihre Erben in der Gegenwart
Doch so stimulierend die internationale Politik auf die regionale Produktion des exportstarken Königreichs einwirken konnte, so verheerend wirkten sich auch manche andere Entwicklungen auf sie aus.
Obgleich man auch andere Länder, wie beispielsweise England und Dänemark, belieferte, schlugen sich Veränderungen in Amerika im späten 19. Jahrhundert immer wieder dämpfend für die Konjunktur nieder. So brach der US-Export schon 1875, als die Hälfte der Korsettfabriken des Deutschen Reiches auf Württemberg entfielen, für einige Jahre um 40% ein, weil schwäbische Auswanderer eigene Korsettproduktionen nach heimischem Vorbild dort etablierten. Der Kampf um den Markt verhärtete sich, doch bis 1880 konnte Württemberg seine Position noch einmal festigen. Die Produktion stieg erneut, die Gewinne jedoch sanken. Ursache hierfür waren von der kaiserlichen Regierung erlassene Einfuhrzölle auf für die Herstellung notwendigerweise zu importierenden Materialien. Eine Steigerung des Verkaufspreises kam im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit jedoch nicht in Frage, um diese zu kompensieren.
Schließlich, 1890, fand die Hochzeit württembergischer Korsettindustrie recht abrupt ihr Ende. Mit dem Machtantritt der Republikanischen Partei in den USA und dem Mc-Kinley-Act erhöhten sich die Preise für europäische Importwaren so sehr, dass der Korsettexport regelrecht kollabierte. Zugleich verdrängte der Siegeszug der Nähmaschine als Massenartikel die handgewebten Korsetts zugunsten von maschinengenähten aus maschinell gewebtem Stoff. Diese waren nicht bloß günstiger als ihre Vorläufer, sie widerstanden der erstarkenden Kritik am Korsett als einschränkendes, vielleicht gar gesundheitsschädliches Kleidungsstück auch effektiver, da sie sich flexibler der Figur ihrer jeweiligen Trägerin anpassen ließen.
Einige bekannte Namen aus der Zeit württembergischer Korsettfabrikate konnten bis in die Gegenwart überdauern. So wurde die heute international vertriebene Unterwäschemarke „Triumph“ 1886 in Heubach gegründet.
Der Fabrikant Sigmund Lindauer rief „Prima Donna“ ins Leben und ließ sich 1890 den Namen markenrechtlich schützen. Eine gewisse Berühmtheit erlangte der Büstenhalter der Firma, den sie unter diesem Markennamen engagiert in den Printmedien bewarben. Das Model „Hautana“, welches kaum zwei Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erschien, fand sich sogar in einer Anzeige der „Lüderitzbuchter Zeitung“, welche im heutigen Namibia, damals die Kolonie Deutsch-Südwestafrika, erschien. „Hautana“ wurde zeitgenössisch synonym für den frühen Büstenhalter.
Die Firma blieb bis kurz vor der Jahrtausendwende im Familienbesitz. Der Enteignung durch die Nationalsozialisten entgingen die jüdischen Geschäftsführer, indem das in Cannstatt ansässige Unternehmen 1938 den Namen des Schwiegersohns, Wilhelm Meyer-Ilschen, annahm.
Am ersten Januar 1990 wurde die Firma vollständig an den belgischen Dessous-Hersteller Van de Velde verkauft. Dieser produziert bis heute Damenunterwäsche unter dem Namen „Prima Donna“.
Literatur
- Barbe, Josephine, Figur in Form. Geschichte des Korsetts, Bern 2012.
- Planungsstab Stadtmuseum und Pro Alt-Cannstatt e.V. (Hrsg.), Prima Donna. Zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik. Begleitband zur Ausstellung im Stadtmuseum Bad Cannstatt 29.02.2012 – 30.09.2012, Stuttgart 2012.
Zitierhinweis: Carmen Anton, Die Korsettindustrie in Württemberg: Ein Welterfolg, in: Alltagskultur im Südwesten. URL: [...], Stand: 08.08.2020