Das Rüstzeug der Frau: Reifrock und Korsett
Von Carmen Anton
Die Geschichte von Reifrock und Korsett ist eng miteinander verflochten. Sie beide dienten der Formung einer gesellschaftlich erwünschten Silhouette. So verwundert es auch nicht, dass die beiden oftmals Hand in Hand gehenden Modeerscheinungen sich auch zur gleichen Zeit zu entwickeln begannen. Darum liegt es nahe, ihre Geschichte zusammen zu betrachten.
Es sei vorweggenommen, dass zeitgenössische wie auch moderne Literatur eine Vielzahl an Vokabeln für die verschiedenen Ausprägungen von Korsett und Reifrock durch die Epochen kennt. Die Abgrenzung voneinander ist dabei nicht immer klar und häufig gar verwirrend. Gewiss ist indes, dass die Begriffe „Schnürbrust“, Schnürleib“, „steifes Mieder“ oder auch „Leibstück“ bis in das 19. Jahrhundert hinein in verschiedenen Zeiten und Regionen das bezeichneten, was während des Biedermeier als Lehnwort aus dem Französischen übernommen auch heute noch als das Korsett bekannt ist. Alle Korsetts sind dem Wesen nach sogenannte Mieder. Dieser Begriff bezeichnet ganz allgemein ein Brust und Leib einhüllendes, eng anliegendes und zumeist geschnürtes Oberteil. Die Bänder können sich dabei wahlweise vorne, hinten oder seitlich befinden.
Für die Entwicklungsgeschichte der Kleidung lässt sich festhalten, dass das voll versteifte Korsett sich Stück für Stück und über Jahrhunderte hinweg aus dem Mieder differenzierte. Gemeinsam haben alle Entwicklungsschritte dieser figurformenden Kleidungsstücke, dass sie nicht — wie in Historienfilmen oftmals fälschlich dargestellt — auf nackter Haut, sondern stets über einem Unterhemd getragen wurden. Dies schützte das oft kostbare Mieder einerseits vor Schweiß und erhöhte außerderm den Tragekomfort, da die Schnürung so keinen direkten Kontakt mit der Haut hatte.
Anatomie versteifter Unterkleider
Als Korsett gilt ein versteiftes Stück der Leibwäsche, welches den Oberkörper umhüllt und dazu gedacht ist, ihn in seiner Form zu modellieren. Oft ist es durch kleine Stäbchen verstärkt. Diese konnten historisch aus einer Vielzahl von Materialien bestehen, beispielsweise Rohr, Horn, Federstahlband, Stahlspiralen oder Fischbein. Letzteres blieb bis weit in das 19. Jahrhundert hinein vorherrschend, ehe Stahl es ablöste.
Getragen wurde das Korsett je nach Epoche als Oberbekleidung oder Unterwäsche, jedoch immer zumindest über einem Unterhemd oder Unterkleid, sodass es nicht direkt auf der Haut auflag.
Die Intensität des formenden Effektes konnte durch die für Mieder übliche Schnürung des Korsetts nach Präferenz der Trägerin variiert werden. Der Schnitt des Korsetts unterlag zu jeder Zeit der ihm zugedachten Funktion und somit – abgesehen von modernen medizinischen Korsetts – vor allem der Mode. Moderne Korsetts und Korseletts verwenden ferner auch Plastikstäbchen.
Auch Reifröcke wurden im Laufe der Zeit aus unterschiedlichen Materialien hergestellt. Ursprünglich mit Pfahlrohr oder Schilf geflochten, wurden sie später aus Weidenruten und Drahtgestellen geformt. Die so konstruierten Reifen wurden in Stofftunnel eingezogen und so in einem Unterrock an Ort und Stelle gehalten.
Das Panier des 18. Jahrhunderts erhielt aufgrund seiner ursprünglich sehr geräuschvollen Komponenten Wachstuch bzw. Leder und Rute den Beinamen „Kreischerin“. Schließlich setzte sich – ebenso wie im Falle des Korsetts – für die längste Zeit Fischbein für die notwendigen Streben durch, ehe auch hier im Verlauf des 19. Jahrhunderts leichtere und günstigere Stahlkonstruktionen oder gar Luftröhrenkrinolinen zum Aufblasen vorrangig wurden. Dabei kamen diese Entwicklungen der Materialveränderung im Korsettbau gar zuvor.
Die Aufgabe des Reifrocks bestand neben der Formung der erwünschten Figur vor allem auch darin, das mitunter enorme Gewicht der zahlreichen, zum Teil aus schwerem Damast, Samt oder Brokat gefertigten Röcke zur Entlastung der Trägerin zu verteilen. Modelle, die mit dem letzten Reifen auf dem Boden auflagen, versuchten ferner auch die Rockkonstruktion auf diese Weise bei langem Stehen, beispielsweise während eines Hofzeremoniells, zu tragen.
Der Modekörper und seine Helfer im Wandel der Zeit
Seit dem späten 15. Jahrhundert ist der Reifrock in Spanien belegt. Die ersten Vorläufer des Korsetts, noch mehr Mieder als Schnürbrust im heutigen Sinne, fallen in dasselbe Jahrhundert und in die Region Burgund. Dabei geht das Grundkonzept des Korsetts, nämlich eine durch Schnürung geformte Silhouette, sogar bis auf die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts zurück. Damals begann man durch seitlich angebrachte Schnürungen die zuvor geraden Gewänder der Damen bei Hofe auf Taille zu bringen. So entwickelte sich aus einer zuvor androgynen, geschlechtsneutralen Silhouette eine klar feminine Kleidungsweise.
Über die folgenden Jahrhunderte wurde die Kleidung immer enger, ehe ab etwa 1400 bloß noch das Oberteil weiterhin am Körper anlag, während die Röcke wieder an Umfang und Volumen gewannen. Man legte sie in zusehends reiche Falten.
Während der Renaissance wurde die Schnürung des Mieders mitunter sichtbar an der Vorderseite getragen. Dahinter trat das darunter liegende Hemd oder Unterkleid hervor.
Seit dieser Zeit entwickelte sich innerhalb der spanischen Mode, die sich auch im restlichen Europa verbreitete, die für das Barock charakteristische V-Form. Diese kennzeichnete eine schmale Taille und eine flach gedrückte Brust, welche dem Oberkörper die Anmutung eines auf dem Kopf stehenden Kegels verlieh und ihn geradezu konisch formte. Um der Gestalt diese höchst unnatürliche Form aufzuzwingen, griff man zur Versteifung des Mieders mitunter gar zu Eisen oder Blei, was der Kleidung den Charakter einer regelrechten Panzerung verlieh und die Trägerin besonders steif anmuten ließ. Die gewünschte Silhouette finalisierten im 16. Jahrhundert obligatorisch die kegel- oder glockenförmigen Reifröcke. Die Mode war traditionell hochgeschlossen, verhüllte den durch das frühe Korsett zur Körpermitte hin spitz zulaufenden Leib bis beinahe zum Kinn.
Da ursprünglich die Oberteile der Bekleidung selbst versteift wurden und somit in gewissem Ausmaß auch Figur formend wirkten, vergingen einige Jahrzehnte, bis sich die Schnürbrust letztlich zu einem eigenen Kleidungsstück ausdifferenzierte und ihre Funktion nicht länger von dem eigentlichen Kleid selbst erfüllt wurde.
Der Reifrock geriet bereits um 1600 vorläufig wieder aus der Mode. Das Korsett indes entwickelte sich während des Barock bis hinein in das Rokoko weiter. Ab 1620 verlor sich die konische Form außerhalb Spaniens. Vom französischen Hof ausgehend wurde diese obschon nicht gänzlich verworfen, doch modifiziert: Man behielt die V-Form des Oberkörpers weitgehend bei, drückte die Brust jedoch nicht mehr flach, sondern hob sie, um die nun modischen viereckigen Ausschnitte mit einem schönen Dekolleté zu füllen.
Diese neue Schnürbrust, welche aus Inventurlisten schlussfolgernd wenigstens zu festlichen Anlässen auch in ländlichen Kreisen Verbreitung fand, war ärmellos, wurde von Trägern auf den Schultern gehalten, umschloss Brust und Bauch eng und konnte bis ins 18. Jahrhundert hinein sowohl als Ober- als auch Unterbekleidung getragen werden. Ihre Versteifung wurde um 1700 einzig in der Front mit Fischbein oder ähnlichen Materialien verstärkt. Später traten auch Streben in den Seiten dazu.
Ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts begann die Taille sukzessive im Umfang abzunehmen. Sie wurde stärker geschnürt, bis hin zur Wespentaille.
Französische Mode
Anfang des 18. Jahrhunderts kam auch eine neue Inkarnation des Reifrockes auf. Als sogenanntes Panier entwickelte er seine für dieses Jahrhundert weitgehend finale Form bis etwa 1730 und verlieh der vom französischen Hof ausgehend sich in ganz Europa im Zeremoniell verbreitenden Robe à la française ihre charakteristische Silhouette. Anders als zuvor umgab der Reifrock seine Trägerin nun nicht mehr mit einem kreisrunden Gestell. Das Panier war viel mehr queroval, ragte zu den Seiten weit von seiner Trägerin fort, verzichtete nach vorne und hinten jedoch auf große Durchmesser. Die Kombination aus Reifrock und Korsett erlaubte die Illusion einer wenigstens optisch noch schmaleren Taille.
Der Schnitt der dazu getragenen Robe komplimentierte die geformte Gestalt ihrer Trägerin noch: Der vorne offene Manteau, der wie ein Mantel über dem Rock darunter getragen wurde und diesen in der Front zeigte, wurde in der Taille zur Seite gerafft und bildete so im Rücken die sogenannte Watteau-Falte, deren opulente Stoffmassen an der Rückseite mit der schmalen Taille der Vorderansicht kontrastierten.
Dennoch etablierten sich seit etwa der Mitte des Jahrhunderts auch weniger opulente, somit komfortablere und alltagstauglichere Alternativen zum Panier, namentlich der Springrock und die Poschen. Letztere – zwei rechts und links der Hüften einzeln angebrachte Körbe - dienten, wie der Name aus dem Französischen bereits impliziert, auch als Taschen.
Mit der Französischen Revolution verschwand der Reifrock Ende des 18. Jahrhunderts ein weiteres Mal aus der Modewelt. Auch das Korsett, das zuvor Jahrhunderte lang als unentbehrlicher Bestandteil der Frauenmode gegolten hatte, war nicht länger unvermeidlich. Die kurzlebigen Moden des Directoire und Empire – man spricht zwischen etwa 1795 und 1815 auch von der „mode à la grècque“ – setzten auf leichte, fließende Stoffe und Silhouetten, welche einerseits praktisch sein und andererseits das antike Körperideal wiederentdecken sollten. Die Notwendigkeit, den Körper in eine konkrete Form zu dirigieren, entfiel somit für viele Frauen, zumal die Taille dieser Kleider zwischenzeitlich beinahe direkt unter der Brust ansetzte. Entsprechend folgten die Korsetts dieser Epoche der natürlichen Körperform und dienten vor allem dem Heben und Stützen der Büste. Wer dessen nicht bedurfte, konnte auch gänzlich auf einen Schnürleib verzichten. Allerdings hatten auch manche Frauen durch exzessives Schnüren in den Jahren oder gar Jahrzehnten zuvor sowie durch entsprechende Veranlagung Verformungen wie den sogenannten Froschbauch davongetragen. Andere waren aus Gewohnheit oder aufgrund einer geschwächten Rückenmuskulatur nicht in der Lage oder auch bloßs willens sich vom Korsett gänzlich zu entwöhnen. Diese setzten auf die modernen, leichteren Korsetts in dezentem Weiß oder Hautfarbe, welche ihre Makel diskret kaschierten, ohne unter den durchscheinenden Stoffen der Epoche, welche vor allem die Abendmode des Empire prägten, allzu sehr aufzufallen.
Doch schon im frühen 19. Jahrhundert kehrte das Korsett – nun gewöhnlich trägerlos, dafür später mit Strumpfbändern ausgestattet – als unverzichtbarer Bestandteil der Biedermeiermode zurück. Bereits ab 1810 näherte sich der Schnitt der neuen Mode wieder der natürlichen Taille an und lenkte den Fokus somit auch zurück auf die Formung des Oberkörpers. Ab 1812 warf schließlich auch der Reifrock den Schatten seiner Rückkehr voraus.
Männer im Korsett
Im nun modernen Biedermeier, das auch als „Zweites Rokoko“ bezeichnet wird, schnürten auch die Männer im Zuge der Dandymode ihre Taille massiv, nicht jedoch Brustkorb und Rippen. Als Teil der Unterwäsche glich das zeitgenössische Herrenkorsett den Modellen der Damen enorm. Es bestand aus einer Schnürung im Rücken und wurde vorne mit Haken geschlossen. Da es jedoch den Brustkorb aussparte, war es wesentlich kürzer als sein feminines Pendant und glich darum einem Gürtel oder dem Kummerbund.
Besondere Verbreitung fand diese Mode nicht zuletzt auch in den Uniformen militärischer Kreise. Diese erlangten ihre charakteristische, schneidige Haltung, wie sie Gemälde und Fotographien der Zeit festhielten, nicht zuletzt durch die unter dickem Stoff verborgenen Mieder. In diesem Kontext spricht die Literatur mitunter auch vom Typus des „military dandy“. Begründet wurde der Rückgriff auf solche Miederwaren im militärischen Kontext vor allem damit, dass sie dazu geeignet seien das Einnehmen und Halten der idealen Körperhaltung zu unterstützen.
Als Resultat des Herrenkorsetts nahm nun auch der Körper des Mannes eine Sanduhrform an. Diese wurde mitunter noch durch Gürtel in der Taille betont. Als Ursprung der militärischen Korsetts gilt die russische Armee. Korsetts für Männer sollten sich noch bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein als etablierter Teil der Männermode erhalten.
Herrenkorsetts sind bisher nicht sonderlich gut erforscht. Dies liegt vor allem daran, dass weit weniger Relikte dieser Mode erhalten sind, als dies für Damenkorsetts gilt. Dennoch wird die Geschichte dieser Kleidung bis in das 15. Jahrhundert zurückgeführt. Für rund drei Jahrhunderte jedoch dürfte anstelle von Fischbein und Korsetts das Wams die gewünschte Männersilhouette erzielt haben. Diese hoch geschlossenen, meist gesteppten oder wattierten Jacken lagen eng am Körper an und waren darüber hinaus steif im Stoff. Damit eigneten sie sich bestens dazu den Torso zu modellieren.
Spätestens seit dem 18. Jahrhundert lassen sich ferner die Taille umschließende Schnürunterhosen, auch Korsettunterhosen genannt, belegen. Diese sollten dazu dienen, vor allem den Bauch zu glätten und die Taille zu akzentuieren. In der Regel wurden sie im Rücken geschnürt und an der Vorderseite geknöpft. Darüber hinaus geben historische Nähbücher mit ihren Maßangaben für Männertaillen Anhaltspunkte für das schon dem 18. Jahrhundert vorangehende manipulieren der männlichen Körpermaße, erscheinen diese doch mitunter ungewöhnlich schmal.
Darstellungen von Männern in Unterwäsche und Korsett, wie man sie schon aus früheren Jahrhunderten von Damen kannte, finden sich erst in Publikationen des 19. Jahrhunderts im Kontext mit der Dandymode. Diese wird in solchen Darstellungen zumeist karikiert und kritisiert.
Vom Biedermeier zum Ende des Reifrocks und Niedergang des Korsetts
Der Reifrock des Biedermeier war die sogenannte Krinoline. Sie umgab die Frau mit einem runden, imposanten Gestell und konnte in ihrer Hochzeit um 1868 einen Saumumfang von bis zu acht Metern erreichen.
Die auch in der Arbeiterschicht sehr beliebte Krinoline war aufgrund ihrer enormen Dimensionen nicht frei von Gefahren im Alltag. Unfälle mit Feuer, Kutschen und Maschinen konnten für die Trägerin mitunter gar tödlich enden.
Ein Mythos ist jedoch, dass die Krinoline zwingend die einfachsten Tätigkeiten, wie das Sitzen oder passieren schmalerer Türen erschwert haben soll. Die Reifen des Gestells waren nicht statisch, sondern konnten leicht eingedrückt werden und sprangen, kaum dass der Druck nachgelassen hatte, wieder in ihre ursprüngliche Form zurück.
Gleichzeitig war die Krinoline eine Erleichterung für die Frauen, deren voluminösen Röcke zuvor durch mehrere Schichten an Unterröcken geformt worden waren. Der Reifrock war eine leichtere und flexiblere Alternative zu den zuvor üblichen, großen Massen an Stofflagen.
In den kommenden Jahrzehnten entwickelte sich bis etwa 1870 die berühmte Sanduhrsilhouette, gekennzeichnet von einer sehr schmalen Taille im Kontrast zu breiten Hüften und vollem Busen. Zeitgleich wurden die Korsetts, welche ursprünglich den von Röcken bedeckten Bauch weitgehend ungeformt ließen, nach unten hin länger, um sich den neuen Schnitten anzupassen. Erstmals umschlossen sie nun auch die Hüften.
Passend dazu verlor sich der kreisrunde Umriss der Krinoline. Er wich der Tournüre, welche lediglich aus einem Korbgestell über dem Hinterteil bestand und somit bedeutend praktischer war.
Als Erfinder der Tournüre gilt vielfach der Mann, der seinerzeit auch den größten Umfang der Krinoline erreicht und zum begehrten Bestandteil luxuriöser Ball- und Hochzeitsgarderoben gemacht hatte: Der englische Modeschöpfer Charles Frederick Worth, welcher seit 1845 in Paris lebte und arbeitete. Er wurde 1851 auf der ersten Weltausstellung für seine Kreationen prämiert und gilt mit seinem Pariser Modehaus als Begründer der Haute Couture. Seine Kreationen waren in Qualität und Kosten so erlesen wie der Kreis seiner Kundinnen, welchen er über die Jahre requirierte. Zu den bekanntesten Namen unter ihnen zählen die Britische Königin Victoria oder auch Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt „Sisi“, deren berühmtes, von Franz Xaver Winterhalter verewigtes weißes Ballkleid er angefertigt hatte.
Nach kurzer Unterbrechung um 1880 durch die noch figurbetontere Kürassmode, auch „Enge Mode“, welche ohne Reifrock, jedoch mit sehr langen, die Hüften umschließenden Korsetts aufwartete, setzte bereits 1883 die sogenannte zweite Tournüre ein, ehe dieser Stil sich 1888 endgültig verlor und der Reifrock bis auf Weiteres aus der Alltagsmode verschwand. Einen Nachhall fand er in der Silhouette der „Kriegskrinoline“ sowie der Petticoats in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Reifengestelle als Unterbau und Garant des Rockvolumens finden jedoch seitdem bloß noch in der Hochzeits- und Festmode vereinzelt Anwendung.
Anders als sein modischer Gefährte hielt sich das Korsett noch bis zum Ersten Weltkrieg. Um die Jahrhundertwende kam die S-Linie der Silhouette in Mode. Zu deren Erhalt war ein Korsett notwendig, musste der Körper doch in eine gänzlich unnatürliche Form gezwungen werden. Für diese konkrete Form eigneten sich besonders Stäbe aus stählernen Spiralfedern. Das so erreichte Resultat, welches ein extremes Hohlkreuz hervorrief, nannte man die „Sans-Ventre“, also „ohne Bauch“. Weiterhin wurde auch durch Polsterungen über Gesäß und Brust der Gestaltung des eigenen Körpers reichlich nachgeholfen, weswegen gerade in der Alltagsmode auf ausartendes Formen des eigenen Körpers verzichtet werden konnte, ohne das Ideal der Körperform gänzlich aufzugeben.
Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kamen verstärkt Unterbrustkorsetts in der Damenmode auf, ehe der Erste Weltkrieg den Niedergang des Korsetts beschloss. Da einerseits die verwendeten Metallstäbe nun als Rohmaterial der Rüstungsindustrie zugeführt wurden und andererseits die harte körperliche Arbeit an der Heimatfront Frauen das Tragen der Korsetts im Alltag inpraktikabel werden ließ.
Dior belebte das Korsett in den 50er-Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal breitenwirksam wieder. Doch schon gegen Ende des Jahrzehnts verschwand es erneut aus dem Alltag.
Heute werden Korsetts vor allem in der Highfashion, der Gothic-Subkultur sowie in Fetischkreisen als Oberbekleidung getragen. Aber auch in der Medizin finden sie Anwendung zur Korrektur von Haltungsfehlern oder zum Stützen der Wirbelsäule.
Ohne merkliche Verstärkung als sogenannte Korseletts kann ein wenigstens augenscheinlicher Nachfolger des Korsetts mitunter auch in der Alltagsmode entdeckt werden. Seinem historischen Nutzen näher kommt jedoch die Shape-Wear des 21. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um dünne, als Unterwäsche getragene Stoffschläuche aus Spandex, welche vor allem Taille und Bauch, aber mitunter auch Gesäß, Brust, Oberschenkel oder Oberarme umschließen und formgebend wirken.
Literatur
- Barbe, Josephine, Figur in Form. Geschichte des Korsetts, Bern 2012.
- Burde, Julia, Die Begradigung der Taillenkontur in der Männermode, Bielefeld 2019.
- Cole, Shaun, Die Geschichte der Herrenunterwäsche von Shaun Cole, New York 2010.
- Gries, Katharina, Fünf viktorianische Modemythen in historischen Medien, URL: https://zeitfaeden.de/2019/11/29/fuenf-viktorianische-modemythen-in-historischen-medien/ (aufgerufen am 08.08.2020)
- Wolter, Gundula/Loschek, Ingrid, Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart 2011.
Zitierhinweis: Carmen Anton, Das Rüstzeug der Frau: Reifrock und Korsett, in: Alltagskultur im Südwesten. URL: [...], Stand: 08.08.2020