Die Wiege des Automobils: Technische Pioniere in Baden und Württemberg
Von Carmen Anton
Das Automobil ist ein massentaugliches Individualverkehrsmittel. Das bedeutet, dass der Nutzer Fahrzeiten sowie Start und Ziel seiner Reise selbst bestimmen kann, anders als beispielsweise bei der Eisenbahn, die an feste Routen, Bahnhöfe und Fahrpläne gebunden ist. Da es sich beim Auto um ein motorisiertes Gefährt handelt, erlaubt es auch den Transport schwerer Lasten oder mehrerer Personen. Gleichzeitig überbietet es seine Vorgänger wie Kutsche, Fahrrad und Pferd an Geschwindigkeit, was den rasanten Anstieg seiner Beliebtheit erklärt.
Sowohl Handel als auch Privatverkehr wurden durch das Automobil revolutioniert. Lastkraftwagen erlaubten schnelle Transporte auch über große Distanzen, was vor allem in der Lebensmittelindustrie von großer Bedeutung war, um verderbliche Waren möglichst unbeschadet zu transportieren. Einzelpersonen erlaubte das Automobil eine größere Freizügigkeit und Flexibilität in der Wahl ihrer Wege. Dies wirkte sich unmittelbar auf die Möglichkeiten der eigenen Tagesgestaltung aus. Da sich große Distanzen nun vergleichsweise spontan und vor allem schnell überbrücken ließen, erhöhte Autofahren die Möglichkeiten zur Teilhabe an unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Angeboten, aber auch am Arbeitsmarkt. Die Verfügbarkeit von Bildungsangeboten wie Universitäten und Schulen setzte ebenfalls nicht länger direkte räumliche Nähe zur Institution voraus. Die erhöhte Geschwindigkeit, mit der Wege zurückgelegt werden konnten, ließ die Welt - wenigstens gefühlt - kleiner und somit zugänglicher werden.
Technische Innovationen sowie die zunehmend sinkenden Produktionskosten, welche wiederum den Preis der Anschaffung für die Kunden reduzierten, schufen die Voraussetzung für die Massenmotorisierung der Gesellschaft. Diese wurde in Westeuropa zwischen 1950, mit etwa 100 Wagen pro 1.000 Einwohner, und 1970, mit 250 Autos pro 1.000 Einwohnern, erreicht.
Die Entwicklung des Autos vom Luxusgegenstand zum Gebrauchsartikel ist in Deutschland maßgeblich mit dem Trabant in Ostdeutschland und dem VW Käfer in Westdeutschland verbunden. Ihre kostengünstige Herstellung ermöglichte die flächendeckende Verbreitung des PKW.
Die ältesten Automobilhersteller der Welt wurden beide im heutigen Baden-Württemberg gegründet. Dabei handelt es sich um die Benz & Cie., die 1883 im badischen Mannheim von Carl Benz gegründet worden war, sowie die Daimler-Motoren-Gesellschaft, die Gottlieb Daimler – gebürtig eigentlich „Däumler“ – 1890 im württembergischen Cannstatt ins Leben rief. Zu Daimlers Weggefährten zählte auch Wilhelm Maybach, den er zum technischen Direktor seiner Fabrik bestimmte. Persönlich begegnet sind sich Daimler und Benz nie, obwohl ihre Unternehmen so nah beieinander lagen und sich vielfältige Berührungspunkte in den Firmenbiographien zeigen.
Die Sprünge in der Verbreitung des PKW sind im letzten Jahrhundert beträchtlich gewesen. Gab es 1911 1.284 Personenwagen im Großherzogtum Baden und 1.249 im Königreich Württemberg, verteilt auf 2,1 Millionen, bzw. 2,4 Millionen Einwohner, waren es 2016 5,4 Millionen PKWs auf 10,88 Millionen Einwohner in Baden-Württemberg, was bedeutet, dass statistisch etwa die Hälfte der Menschen über ein eigenes Automobil verfügt.
Das erste Automobil: Von Mannheim zur Weltausstellung mit Benz
Daimler und Maybach prägten die Entwicklung des Automobils nachhaltig. Als eigentlicher Erfinder des Kraftwagens im heutigen Sinne gilt jedoch Carl Benz mit seinem Benz-Patent-Motorwagen Nr. 1, der am 3. Juli 1886 erstmals öffentlich vorgeführt wurde. Die Demonstration fand auf der Ringstraße in Mannheim statt.
Bei dem Wagen handelte es sich um ein dreirädriges Tretkurbelfahrrad mit Einzylinder-Viertaktmotor. Er blieb allerdings ein Einzelstück, ebenso wie sein unmittelbares Nachfolgemodell.
Da der Benz-Patent-Motorwagen Nr. 1 auseinandergebaut wurde, um seine Einzelteile für weitere Versuche zu verwenden, existiert das Original heute nichtmehr. Allerdings wurde er bereits 1903 wieder rekonstruiert. Dieser Nachbau kann heute im Deutschen Museum in München besichtigt werden.
Motor und Fahrgestell produzierte die Benz & Cie. selbst. Die Karosserien wurden von dem Stellmacherbetrieb Kalkreuther in Mannheim hergestellt.
Am 1. August 1888 erhielt Carl Benz vom Großherzoglich-Badischen Bezirksamt die erste Fahrerlaubnis der Welt. Die erste Fernfahrt vollzog seine Ehefrau Bertha wenig später auf der 104 Kilometer umfassenden Strecke von Mannheim nach Pforzheim mit dem Benz-Patent-Motorwagen Nr. 3. Die Route ist heute als Touristikweg nachzuverfolgen. Bertha Benz, die auf ihrer Reise mit den beiden Söhnen zweimal selbst kleinere Reparaturen an dem Wagen vornahm, legte die Strecke in 12 Stunden und 57 Minuten zurück. Ihre Erkenntnisse über Schwierigkeiten mit dem Automobil auf Hin- und Rückfahrt flossen in die Verbesserung nachfolgender Modelle mit ein. Bertha Benz gilt darum auch als die Erfinderin der Bremsbeläge.
Ihre Überlandfahrt trug zur Steigerung der zuvor eher bescheidenen Nachfrage nach dem Motorwagen bei. Der wirkliche Beginn der Verbreitung des Automobils datiert auf den Erfolg der neuesten Benzmodelle auf der Pariser Weltausstellung 1889. Von Frankreich ausgehend, begann eine rasante Steigerung der Popularität dieser „pferdelosen Kutschen“, die noch wenige Jahre vorher kritisch beäugt, wenn nicht gar der Lächerlichkeit preisgegeben worden waren.
Kam die Benz & Cie. bis 1893 auf gerade einmal 69 produzierte Motorwagen, erhöhte sich die Zahl in den darauf folgenden sieben Jahren auf insgesamt 1.709 Stück und zeigte somit die starke Zunahme des Interesses am Automobil.
Automobilisierung und Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert
Obwohl eine Frau die erste Überlandfahrt mit einem Automobil unternahm, blieb die Zahl der Damen unter den Automobilisten doch in ersten Jahrzehnten eher gering. Dies lag nicht zuletzt daran, dass zur Anschaffung eines Autos im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erhebliche Geldmittel benötigt wurden. Diese standen dem Großteil der Frauen, die rechtlich und finanziell von Vater oder Ehemann abhängig waren, jedoch nicht zur Verfügung. Hinzu kamen die technischen Hürden, die mit der Handhabung der ersten, noch reichlich holprigen Automobilkonstruktionen einhergingen.
1909 führte Kaiser Wilhelm II. für das Deutsche Reich eine einheitliche Führerscheinregelung ein, welche Frauen explizit nicht ausschloss. Allerdings sollte es noch bis 1958 dauern, bis das Gleichstellungsgesetz Frauen von der zuvor notwendigen Zustimmung ihres Vaters oder Gatten befreite, wollten sie selbst eine Fahrzeuglizenz erwerben. Der einheitliche Führerschein für das gesamte Reich erlaubte es Automobilisten aller Reichsteile, auch jenseits der Grenzen ihres Heimatstaates ihren Wagen zu nutzen. Dies war zuvor vielfach nicht möglich gewesen.
Die Akzeptanz von Fahrerinnen erhöhte sich bereits ab den 20er-Jahren zusehends, während sich parallel größere Teile der Bevölkerung an das neue Fortbewegungsmittel gewöhnten. Das Auto galt zunächst als kurioser Zeitvertreib reicher Männer und exzentrischer Damen, die sich in abenteuerlustigen Lederensembles mit Staubmantel und Pilotenhaube am Steuer zeigten. In der Weimarer Republik hielt das Automobil in Form von Autobus und Taxi allmählich Einzug in den Alltag breiter Gesellschaftsschichten. So konnten auch Bürger jenseits der finanziellen Oberschicht ihren persönlichen Bewegungsradius ausbauen.
Sukzessive nahmen im frühen 20. Jahrhundert auch die Anschaffungs- und Unterhaltungskosten für Automobile ab. Hoher Benzinverbrauch bei gleichzeitig hohen Benzinpreisen, enormer Reifenverschleiß und weitere Betriebskosten bedeuteten in der Pionierzeit pro Jahr nochmal die ungefähren Kaufausgaben als laufende Kosten. Doch schon ab 1914 sanken die Ausgaben für Reifen, da deren Qualität sich verbesserte. Die vereinfachte Handhabung der Automobile ließ den zuvor vielfach obligatorischen Chauffeur seit den 20er-Jahren zusehends obsolet werden, da das Fahrzeugführen weniger umfassende mechanische Kenntnisse erforderte. Schließlich halbierte sich auch der Anschaffungspreis für einen Personenwagen in Deutschland zwischen 1924 und 1929 durch die technische Weiterentwicklung der Gefährte.
Getragen wurde die Automobilisierung zunächst vor allem von jungen, wohlhabenden Männern, die sich als neue, experimentierfreudige Technologiegeneration etablierten. Die Verbindung von Auto und Jugend wurde dadurch verstärkt, dass in den 10er- und 20er-Jahren schöne Frauen in ebenso ansehnlichen, modernen Automobilen zu einem Statussymbol avancierten, mit denen sich die nun zusehends selbst fahrenden Männer gerne im Alltag, aber auch bei Autowettbewerben schmückten. Auch die sich ausdifferenzierende Werbeindustrie entdeckte die Kombination von Frau und Auto als Motiv in dieser Zeit für sich.
Doch Autos und Frauen blieben nicht ausschließlich ein Sinnbild für dekadenten Dekor. Die Autofahrerin wurde in der Weimarer Republik auch zu einem Symbol für die „Neue Frau“, die sich den feministischen Idealen ihrer Zeit folgend als selbstständig und unabhängig präsentierte. Diesem Zeitgeist entsprechend wurden die zusehends leichter zu bedienenden Automobile der 20er-Jahre auch gezielt für Frauen beworben, die sich durch ihre zunehmende Autonomie und neues Selbstbewusstsein als eigenständiger Kundenkreis hervortaten.
Literatur
- Bruno, Robert, Mercedes-Benz. Personenwagen 1886-1980. Motorbuchverlag, Stuttgart 2014.
- Merki, Christoph Maria, Der holprige Siegeszug des Automobils 1895–1930. Zur Motorisierung des Straßenverkehrs in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, Wien u. a. 2002.
- Schildberger, Friedrich, Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach und Karl Benz. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1968.
- Statistisches Landesamt Baden Württemberg (Hrsg.), Aus dem Statistischen Archiv. Wissenswerte Entwicklungen aus der Geschichte Baden-Württembergs, Stuttgart 2016, URL: https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Querschnittsver!F6ffentlichungen/806116006.pdf (aufgerufen am 05.11.2020).
- Walz, Werner, Daimler-Benz. Wo das Auto anfing, Konstanz 1989.
Zitierhinweis: Carmen Anton, Die Wiege des Automobils: Technische Pioniere in Baden und Württemberg, in: Alltagskultur im Südwesten. URL: [...], Stand: 05.11.2020