Die tüchtige Hausfrau und die gutbürgerliche Küche
Von Felicitas Wehnert
Während die Bäuerin auch für Stall und Feld mit zuständig war, konzentrierte sich der Radius der Bürgersfrau seit dem 18. Jahrhundert auf den heimischen Haushalt. Die Rollen sind klar verteilt: Er ist für die öffentlichen Belange und die finanzielle Grundlage zuständig, sie für den reibungslosen Ablauf des Binnenbereichs. Wer es sich leisten konnte, beschäftigte gegen Kost und Logis ein Dienstmädchen, meist eine Bauerstochter vom Umland.
Die Organisation eines Haushaltes war in Zeiten ohne Waschmaschine, Staubsauger, Kühlschrank und Küchengeräte aufwändig und erforderte umfangreiche Kenntnisse. Seit dem frühen 19. Jahrhundert erscheint eine Reihe von Kochbüchern für die junge Ehefrau. Neben Kochrezepten und Menüvorschlägen enthalten sie auch Ratschläge für Einkauf und Vorratshaltung, Reinigung der Wohnung und der Wäsche sowie Hinweise zur Säuglingspflege und Tipps für den richtigen Umgang mit dem Dienstpersonal.
Ein Hackblock als Grundausstattung
Eine der bedeutendsten Kochbuchautorinnen im 19. Jahrhundert ist Henriette Davidis, 1801 in dem kleinen westfälischen Ort Wengern geboren und 1876 in Dortmund gestorben. Sie teilte das Schicksal vieler Frauen in jenen unruhigen Zeiten: Zweimal verlobte sie sich, beide Mal kamen die Männer im Krieg um. Danach blieb sie unverheiratet und verdiente sich ihren Unterhalt als Hauswirtschafterin, Erzieherin und Gouvernante. Ihr Wissen fasste sie schließlich in dem 1845 herausgegebenen „Praktischen Kochbuch. Zuverlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feinen Küche“ zusammen. Es wurde zum beliebten Hochzeitsgeschenk für die junge Ehefrau. Zehn Jahre später erschien mit „Puppenköchin Anna“ ein Kochbuch für Kinder – vor allem mit Rezepten für Süßspeisen aus Milch, Grieß, Reis, Eiern und Äpfeln. An den Puppenküchen jener Zeit lässt sich ablesen, wie bereits die kleinen Mädchen auf ihre künftige Rolle vorbereitet wurden.
Eine Köchin durfte damals nicht gerade zimperlich sein. Ein Hackblock und ein Beil gehörten zur Grundausstattung der Küche. Das 1913 in Stuttgart erschienene Buch „Die tüchtige Hausfrau“ von Antonie Steinmann beschreibt ausführlich das Ausziehen der Sehnen beim Geflügel. Per Zeichnung zeigt sie, wie man dazu die Hühnerfüße an der Küchenklinke festbindet. Weiter empfiehlt sie neben diversen Messern auch eine stabile Schere zum Schneiden der Fischflossen und Geflügelköpfe. Bei den Freitagsrezepten überwiegen noch Fluss- und Teichfische wie Aale, Waller und Karpfen. Aber es tauchen auch schon Rezepte für Schellfisch und Kabeljau auf, denn so heißt es im Vorwort: „Größere Wandlungen brachten die neuen Vorteile wie die allgemeine Einführung der Seefische, die Erfindung der heutigen Konservierungsmethoden, die fabrikmäßige Erzeugung von Nahrungsmitteln, die Bereicherung der Märkte durch unzählige Produkte des Auslands.“
Bizarre Rezepte und kostbares Fleisch
Manche Rezepte muten heute bizarr an – etwa das Froschschenkelragout oder die Herstellung einer echten Schildkrötensuppe. Detailliert wird beschrieben, wie die Schildkröte auf den Rücken gelegt und mittels eines glühenden Kohlenstücks auf dem Bauch dazu gebracht wird, den Kopf aus dem Panzer zu strecken, damit dieser mit einem kräftigen Beilhieb abgehackt werden kann. Fleisch war kostbar. Deshalb wurden auch alle Teile eines Tieres gegessen. Es gab Herzragout und Lungenhaschee, Rinderzunge in Rotwein und Ochsenmaulsalat, Leberknödel und eingelegte Schweinefüße oder auch eine Anleitung, wie ein gesottener Schweinskopf appetitlich garniert wird.
Auch vor Lebensmittelfälschungen wurde gewarnt: dem Strecken des Mehls mit Gips, das Verlängern von gestoßenem Zimt mit dem Holz von Zigarrenkisten, dem Vortäuschen einer gehobenen Qualität der Kaffeebohnen mit einem grünlichen – giftigen – Kupfervitriolschimmer.
Hermine Kiehnles Kochschule
In dem schwäbischen Kochbuchklassiker der Zeitgenossin Hermine Kiehnle fehlen Extravaganzen wie das Froschschenkelragout und statt einer exotischen Schildkröten- wird eine falsche Mockturtlesuppe aus einem halben gebrühten Kalbskopf vorgeschlagen. Aber Rezepte für Austern und Hummer kommen auch darin vor. Die Tochter eines Gastwirts wurde 1872 in Pforzheim geboren. Sie besuchte das Lehrerinnenseminar in Karlsruhe und leitete dann 25 Jahre lang in Stuttgart die Kochschule des Schwäbischen Frauenvereins. Dieser wurde 1873 gegründet, um die Frauenbildung zu fördern. Die Kurse sollten den jungen Mädchen Fertigkeiten zur Führung eines Haushalts vermitteln und ihnen auch eine Berufstätigkeit als Erzieherin oder Hauswirtschafterin ermöglichen.
1912 fasste Hermine Kiehnle ihre Erfahrungen aus der Kochschule in einem „Kochbuch des Schwäbischen Frauenvereins“ unter dem Titel „Original Schwäbisch“ zusammen. Darin beschrieb sie vor allem die Klassiker der gutbürgerlichen Küche: Rouladen und Ragouts, gefüllte Kalbsbrust und Hühnerfrikassee, Hirnsuppe und saure Nierle, Pasteten und Aufläufe. Wochenspeisezettel für das ganze Jahr erleichterten die Planung: Braten am Sonntag, Ragout vom Ochsenschwanz am Montag, Rindsrollen oder eingemachtes Kalbfleisch am Dienstag, Schinken in Burgunder oder Tomatenpudding am Mittwoch, Donnerstag Hackbraten und am Freitag Fisch oder Maultaschen. Am Samstag schließlich Reutlinger Fleischpastete oder gekochte Ochsenzunge. Vorweg jeweils eine Suppe – mit Grießklößchen oder Grünkern oder aus Linsen, Erbsen, Blumenkohl. Dazu Gemüse je nach Jahreszeit und als Nachtisch Grießschnitte, Zitronenschaumauflauf oder Wackelpeter.
Auch ein Kapitel über Krankenkost durfte nicht fehlen: Fleischbrühe, Hühnersuppe, Püriertes und Kraftbouillon, Haferschleim und Grießbrei wurden empfohlen. Heilkunst und Ernährung waren schon immer eng verbunden. Der Begriff „Rezept“ bezeichnete früher gleichermaßen die Kochanweisung wie auch die Herstellung medizinischer Heilmittel.
1921 erscheinen die Rezepte bereits unter dem Titel „Kiehnles Kochbuch“. Noch lange nach ihrem Tod 1937 wurde es immer wieder überarbeitet und neu aufgelegt – zuletzt 2010. Mit über einer Million verkaufter Exemplare gehört es zur Grundausstattung eines schwäbischen Haushaltes und wird bis heute benutzt.
Luise Haarers Grundrezepte
Auch der andere schwäbische Kochbuchklassiker ist bis heute erhältlich. Er erreichte ebenfalls eine Millionenauflage, auch wenn er außerhalb Württembergs so gut wie unverkäuflich ist. Luise Haarers 1932 erschienenes Buch „Kochen und Backen nach Grundrezepten“ entstammt bereits einer anderen Zeit – mit Kühlschrank, Elektro- oder Gasherd und elektrischen Küchengeräten. Bei ihren Grundrezepten dachte sie auch an die berufstätigen Frauen, die weniger Zeit für den Haushalt haben. Die Pfarrerstochter, 1892 in Bopfingen auf dem Härtsfeld geboren und 1976 in Herrenberg gestorben, war selbst Zeit ihres Lebens berufstätig, zuerst als Hauswirtschaftslehrerin und nach dem Krieg als Regierungsrätin. Mit ihrem Buch wollte sie zugleich Tugenden wie Sauberkeit, Fleiß und Sparsamkeit vermitteln. „Iß langsam und kaue tüchtig“, rät sie.
Die Resteverwertung gilt ihr als Prüfstand hauswirtschaftlichen Einfallsreichtums. Der Gaisburger Marsch, ein Eintopf, der ursprünglich aus der Militärküche stammt und nach einem Stuttgarter Arbeitervorort benannt ist, lässt aus den Spätzle vom Vortag, den Kartoffelschnitzen von vorvorgestern und dem ausgekochten Suppenfleisch aus der Fleischbrühe etwas Neues entstehen. Luise Haarer beschreibt, wie altbackenes Brot als Brotsuppe oder Brötchen als Weckknödel zu neuem Leben erweckt werden können. „Bevorzuge, wenn du mit wenig Wirtschaftsgeld auskommen mußt, die Herstellung von Hefegebäck, weil es auch mit wenig Fett und ohne Ei schmackhaft wird“, rät sie und beschreibt auch einfache Gerichte wie Gerstensuppe, Brennnesselgemüse, Grünkernschleimsuppe, Löwenzahnsalat und Zichorienkaffee. Vor allem aber die regionale Küche liegt ihr am Herzen, denn „ohne Spätzle, Träubleskuchen und Grießklößchen wird kein Schwabe glücklich“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Rollen wieder klar verteilt. Die Frauen sind für die Behaglichkeit und den heimischen Herd zuständig. Werbefilme propagieren das Hausfrauenglück, wenn der Gatte mit dem Essen zufrieden ist. Verstärkt kommen auch Kochanleitungen von Firmen wie Weck, Maggi, Knorr und Dr. Oetker heraus, die Rezepte mit ihren Produkten entwickeln. Tütensuppen, Puddingpulver und Dosenchampignons gelten als moderne Küche. Nach den mageren Kriegsjahren kommen mit dem Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er-Jahren zunehmend Rezepte für üppige Gerichte in Mode – etwa Mayonnaise-Eier oder Hackbraten zusätzlich mit Speckstreifen belegt. Stilbildend sind die neuen Kochsendungen ab 1953 mit dem Schauspieler Clemens Wilmenrod, der als Fernsehkoch die Rolle seines Lebens gefunden hat. Er kreiert den Toast Hawaii und er erklärt, wie die Hausfrau für die aufkommende Partykultur der 60er-Jahre den Käse-Igel herstellt und kalte Platten mit Gürkchen und Eischeiben verziert, während der Herr des Hauses die kalte Ente aus Weißwein und Sekt, die Erdbeerbowle oder die Cocktails mixt.
Heute steht die gutbürgerliche Küche für bodenständige Gerichte ohne Schnickschnack, mit Essklassikern wie den gefüllten Rouladen mit Kartoffelpüree, dem Schmorbraten für Gäste oder den Schweinelendchen in Rahmsoße mit Leipziger Allerlei und Kroketten.
Literatur
- Haarer, Luise, Kochen und Backen nach Grundrezepten, 4. Aufl., Baltmannsweiler 1970.
- Kiehnle, Hermine, Kiehnle-Kochbuch, Stuttgart 1926.
- Steimann, Antonie, Die tüchtige Hausfrau, Stuttgart 1913.
- Wiedmann, Inga, Herrin im Haus – durch Koch- und Haushaltsbücher zur bürgerlichen Hausfrau, Pfaffenweiler 1993.
Zitierhinweis: Felicitas Wehnert, Die tüchtige Hausfrau und die gutbürgerliche Küche, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020