Vom Abort auf dem Hof zum WC im Haus
Von Inka Friesen
Was den Umgang mit unseren Ausscheidungen angeht, hat sich in den letzten 150 Jahren viel getan. Vor der allgemeinen Verbreitung des modernen WCs, wie wir es heute kennen, führte der Toilettengang im Normalfall raus aus der Wohnung oder dem Haus.
Auf dem Land waren Aborte in Form eines separaten Klohäuschens, das häufig an den Stall angebaut war, üblich. Wer über keinen eigenen Abort verfügte, verrichtete seine Notdurft im Stall, auf dem Misthaufen oder irgendwo im Freien. Die Fäkalien wurden in einer Grube gesammelt und als wertvoller Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt. Im Zuge der Hygiene- und Gesundheitsbewegung versuchten Kommunen Ende des 19. Jahrhunderts, die Anlage von Abtritten mehr und mehr zu reglementieren. Baupolizeiliche Vorschriften sahen wasserdichte Gruben und eine ausreichende Entfernung zu Brunnen vor, um Verunreinigungen des Wassers zu verhindern. Dennoch: In vielen ländlichen Häusern waren solche, aus heutiger Sicht primitive Aborte bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in Gebrauch.
Im städtischen Bereich reichte die Bandbreite vom gehobenen Zimmerklosett in bürgerlichen Haushalten bis hin zum gemeinschaftlich genutzten Abort im Treppenhaus von Arbeitermietshäusern. Zur unentbehrlichen Grundausstattung eines jeden Schlafzimmers – egal ob in der Stadt oder auf dem Land – gehörten Nachttöpfe (oder „Potschamberle“) und Leibstühle. Sie sollten bei Nacht oder Krankheit den weiten Weg auf den Hof oder ins Treppenhaus ersparen.
Ende des 19. Jahrhunderts begann sich in begüterten städtischen Haushalten eine neue Erfindung zu verbreiten: das Klosett mit Wasserspülung. Voraussetzung dafür war der Ausbau der öffentlichen Wasserversorgung und Kanalisation. Die bisherige Praxis der Fäkalienentsorgung entwickelte sich aufgrund der Seuchengefahr zum wachsenden Problem. Mit dem WC (engl. water closet) erfuhr der Umgang mit Kot und Urin eine neue gesellschaftliche Norm. Ausscheidungen und Gerüche wurden als unangenehm empfunden und tabuisiert. Seit den Hygiene-Diskursen Mitte des 19. Jahrhunderts galt schlechte Luft überdies als Ursache von Krankheitsübertragungen. Dieser veränderte Blick spiegelt sich auch in der Forderung nach ausreichender Belüftung wider, die sich in Wohnungsbau-Vorschriften und in Gesundheitsratgebern findet. So schrieb beispielsweise die Bauordnung für das Königreich Württemberg vom 28. Juli 1910 vor: „Die Aborte müssen Licht und Luft durch unmittelbar ins Freie führende, leicht zu öffnende Fenster oder ähnliche Einrichtungen erhalten.“ (Artikel 41, Absatz 2). Die gestiegene Bedeutung von Hygiene und Sauberkeit in den Sanitäranlagen zeigt noch eine weitere Entwicklung: Das abwaschbare Porzellan begann Holz als Werkstoff zu verdrängen.
Neben der Hygiene spielten auch Moral- und Anstandsvorstellungen eine größer werdende Rolle bei der Einrichtung des Aborts. Die bereits zitierte württembergische Bauordnung hielt dazu grundlegend fest: „Für jedes zum längeren Aufenthalt von Menschen dienendes Gebäude sind Aborte in einer der Art der Benützung des Gebäudes sowie den Anforderungen der Gesundheit und Schicklichkeit entsprechenden Zahl und Beschaffenheit herzustellen.“ (Artikel 41, Absatz 1). Insbesondere die unteren sozialen Schichten, Arbeiter und einfache Beamte, gerieten ins Blickfeld der städtischen Behörden, da sich in Mietshäusern oft mehrere Familien einen Abort teilten. Bei Neubauten in den Großstädten wie zum Beispiel den Siedlungsbauprojekten ging man deshalb dazu über, jede Wohnung mit einer eigenen Toilette auszustatten. Mit der Integration in den Wohnbereich wurden der Abort und das darauf verrichtete „Geschäft“ vollends zur Privatsache.
Literatur
- Carstensen, Jan/Stiewe, Heinrich (Hg.), Orte der Erleichterung. Zur Geschichte von Abort und Wasserklosett. Schriften des LWL-Freilichtmuseums Detmold, Bd. 38, Petersberg 2016.
- Museum für Volkskultur in Württemberg, Themen und Texte, Teil 1., Stuttgart 1989/90
- Seifert, Judith/Noll, Petra, Vom Abort bis Zuber. Hygiene auf dem Land, in: BC – Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 24 (2001), Heft 2. S. 60-72.
Zitierhinweis: Inka Friesen, Vom Abort auf dem Hof zum WC im Haus, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020