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Von Inka Friesen
Bauernmöbel und die „gute alte Zeit“
In der Sammlung Eckert des Badischen Landesmuseums bilden sie neben Trachten einen der beiden Schwerpunkte: ländlicher Hausrat aus unterschiedlichen Regionen Badens. Darunter befinden sich auch einige sogenannte „Bauernmöbel“: bemalte Schränke, Truhen und Stühle, die aus bäuerlichem Besitz stammen und im 18. und 19. Jahrhundert hergestellt wurden. Georg Maria Eckert erwarb sie um 1900 für die volkskundliche Sammlung, die er im Auftrag des badischen Großherzogs anlegte.
Das Sammeln von Bauernmöbeln war gegen Ende des 19. Jahrhunderts in bürgerlich-städtischen Kreisen beliebt. Es entwickelte sich aus einem wachsenden Interesse an ländlichen Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen aus vorindustrieller Zeit. Die Geschichte dieser Möbel, ihre ursprünglichen Gebrauchszusammenhänge und die Lebensumstände ihrer Besitzer interessierten dabei wenig. Erworben wurden oft besonders schöne oder vermeintlich repräsentative Stücke, die für eine bürgerliche Idealvorstellung vom ländlichen Leben standen.
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert schienen viele Alltagsdinge im Verschwinden begriffen zu sein; handwerklich Hergestelltes, über Jahrzehnte Überdauerndes wurde durch anonyme Industrieerzeugnisse ersetzt. Die Sachkultur veränderte sich tiefgreifend. Für bürgerliche Schichten bot die Lebensweise der Landbevölkerung das geeignete Kontrastprogramm. Sie stand im Gegensatz zum immer komplexer, schneller und lauter werdenden Großstadtleben für Ursprünglichkeit, Einfachheit und Naturverbundenheit. Hier schien die "gute alte Zeit" mit ihrer vermeintlichen Sicherheit und Stabilität fortzudauern. Der harte Arbeitsalltag vieler Bauernfamilien wurde in dieser nostalgisch-verklärenden Sicht gerne ausgeblendet. Das idealisierte Bild des Bauern und seiner Lebensweise übertrug das Bürgertum auch auf das ländliche Mobiliar: Bauernmöbel sollten „ehrlich“, „urwüchsig“ und „solide“ in der Konstruktion sein. Was sich für die einfache Landbevölkerung dagegen auf keinen Fall gehörte, war die Nachahmung der „verfeinerten“ städtischen Wohnkultur.
Abseits der bürgerlichen Vorstellungen und Zuschreibungen deuten Bauernmöbel auf eine sich im 19. Jahrhundert verändernde Wohnweise auf dem Land hin. Die Einrichtung des Hauses wurde durch alle Schichten hindurch immer stärker zu repräsentativen Zwecken genutzt. Truhen, Schränke und andere Möbelstücke erhielten eine aufwendige Bemalung, die über die sonst üblichen Initialen der Besteller und das Entstehungsjahr hinausging. Der Grund dafür liegt im Material: Für Bauernmöbel verwendete man im süddeutschen Raum in der Regel billiges Nadelholz. Um diesen Umstand zu kaschieren, wurden die Möbel farbenprächtig bemalt. Furnierte oder eingelegte Möbel aus Edelhölzern blieben für die meisten Bauernfamilien unerschwinglich.
Bauernmöbel hielten sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in ländlichen Haushalten. Mit dem Wirtschaftswunder setzte auch hier ein Wandel in der Einrichtung ein. Die alten Möbel verloren ihre ursprüngliche Funktion oder galten als altmodisch und wurden aus den Wohnräumen verbannt.
Vom Schreinerhandwerk zur industriellen Massenproduktion
Ob Sofa, Esstisch, Kleiderschrank oder Bett – neue Möbelstücke kaufen wir heute in einem Möbel- oder Einrichtungshaus, zunehmend auch im Online-Shop. Das ist praktisch und die industriell hergestellte Ware ist vor allem preiswert im Vergleich zum handwerklichen Einzelstück. Vor der industriellen Massenproduktion von Möbeln war der Beruf des Schreiners unverzichtbar.
Im Südwesten gab es im 19. Jahrhundert überall kleinere Schreinerbetriebe. Auf dem Land produzierten Schreiner einfache Möbel für den täglichen Gebrauch. Sie arbeiteten für die Kunden am Ort und im näheren Umland. Bis zur Einführung der Gewerbefreiheit in Baden und Württemberg 1862 durften Schreiner fast nur Auftragsarbeiten ausführen. Das bedeutete: Die meisten Möbelstücke waren eigens für den Besteller hergestellte Unikate. Einen kleinen Teil ihrer Waren konnten Schreiner daneben auf Jahrmärkten verkaufen. Gerade in ländlichen Gegenden ohne Kleinhandel spielten solche Märkte für die Versorgung mit Haushaltsgegenständen und Kleidung eine wichtige Rolle.
Neben den kleinen Handwerksbetrieben entstanden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Städten erste Möbelfabriken. Mit der Fertigung in Serien, einer hohen Arbeitsteilung, der Spezialisierung auf einige wenige Modelle und dem Einsatz moderner Holzbearbeitungsmaschinen schlugen sie neue Wege in der Produktion ein – die Voraussetzungen für die industrielle Massenfertigung.
Zu einem Zentrum der Möbelindustrie in Süddeutschland entwickelte sich Stuttgart und die umliegende Region. In der Hauptstadt setzte man vor allem auf die Herstellung von hochwertigen Qualitätsmöbeln. So berichtete Roland Mack 1931 in einer Abhandlung über die württembergische Möbelindustrie:
„1878 beschäftigten sich […] schon 35 meist ausgedehnte Fabriken mit der Herstellung von Möbeln und waren die ersten dieser Werke imstande, mit den berühmtesten Fabriken des Auslands die Konkurrenz aufzunehmen. […] Feine und feinste Stuttgarter Möbel waren schon damals auch in England, Rußland, Schweiz, Amerika etc. zu finden, und es gibt in Deutschland kein zweites Gebiet, wo die Möbelfabriken so konzentriert beieinander liegen und so durchweg gleichartige, hochwertige Qualitätsware hergestellt wird wie in Stuttgart und Umgebung."
Diese Fabriken unterhielten oftmals eigene Geschäfte mit Ausstellungsfläche. Wohlhabende Kunden konnten hier komplette Zimmereinrichtungen erwerben. Beliebt bei dieser Käuferschicht waren Möbel, die einen früheren Kunststil imitierten und aufwendig verziert waren, sogenannte „Stilmöbel“. Sie dienten vor allem der Ausstattung repräsentativer Räume wie Salon oder Herrenzimmer, waren sie doch Ausdruck von gutem Geschmack und sozialem Status ihres Besitzers. Für den kleinen Geldbeutel der unteren Schichten produzierte die Möbelindustrie einfache Möbel aus preiswertem Weichholz. Sie wurden überwiegend maschinell und in hohen Stückzahlen hergestellt und als billige Stapelware/Massenware in Möbelmagazinen verkauft. Diese Magazine entstanden in den wachsenden Städten und versorgten Arbeiterhaushalte mit Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen. Für die neue Schicht der Fabrikarbeiter, die häufig in prekären Verhältnissen lebten, standen Funktionalität und ein günstiger Preis beim Kauf im Vordergrund.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat die Bedeutung des Handels für den Möbelkonsum stark zugenommen. Für die Kunden boten Möbelgeschäfte und Magazine einen großen Vorteil: Sie konnten zum einen stärker an Modetrends teilhaben, zum anderen (gebrauchs-)fertige Ware erwerben. Lange Wartezeiten zwischen Bestellung und Auftragsausführung beim Schreiner und gegebenenfalls weiteren Handwerkern wie Polsterern oder Drechslern entfielen. Immer mehr Händler gingen außerdem dazu über, sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden zu orientieren. Sie sorgten für eine ansprechende Präsentation der Ware und fachkundige Beratung, führten Rabattaktionen und Angebote ein und boten Ratenzahlungen und Umtauschmöglichkeiten an. Mit Schaufensterreklame, Plakaten sowie Anzeigen in Zeitungen, Adressbüchern und Katalogen informierten sie über ihr Produktsortiment. Zum Inbegriff des modernen Möbeleinkaufs wurde das städtische Kaufhaus, das auf einer großzügigen Verkaufsfläche ein breites Warenangebot präsentierte. Es machte Einkaufen von der bloßen Besorgung zum sinnlichen Erlebnis. Im Kaufhaus konnten Kunden die zur Schau gestellten Waren eingehend begutachten, auswählen oder sich einfach durch die unterschiedlichen Abteilungen treiben lassen – ohne die Verpflichtung, etwas kaufen zu müssen.
Lebenslage Haltbarkeit? Der Umgang mit Möbeln
Neben der Herstellung und dem Erwerb hat sich auch der Umgang mit unseren Einrichtungsgegenständen verändert. Möbel waren lange Zeit ein auf vielfältige Art entstandener, generationenüberdauernder und geschätzter Besitz.
Neue Möbel gab es in der Regel zur Hochzeit mit der Gründung eines eigenen Haushalts. Die Braut brachte als Aussteuer nicht nur Textilien und Geschirr, sondern auch die Wohneinrichtung in die Ehe ein. Üblich waren Doppelbett, Kleiderschrank und Truhe, die oft mit den Namen der Brautleute und dem Jahr der Eheschließung versehen wurden. Amtlich festgehalten wurde das Vermögen eines jeden Partners in sogenannten „Beibringensinventuren“. Diese Inventuren – zum Teil mit sehr ausführlichen Auflistungen – geben einen für die Alltagskultur interessanten Einblick in den Hausrat und damit die Sachkultur zu einer bestimmten Zeit.
Weitaus häufiger als der Kauf neuer Möbel gelangten gebrauchte oder vererbte Einrichtungsgegenstände in den Familienbesitz. Trotz industrieller Massenproduktion gehörten Möbel noch weit ins 20. Jahrhundert hinein zu den teuren und aufwendigen Anschaffungen. Dementsprechend lange wurden sie genutzt. Selbst einfache Möbel blieben über Generationen erhalten. Sie wurden repariert und übermalt, umfunktioniert und landeten erst nach einem langen Gebrauchsleben ausrangiert auf dem Dachboden oder in der Scheune.
Mit der lebenslangen Nutzung von Möbeln ist es heute in der Regel vorbei. Ein nahezu grenzenloses Warenangebot und neue Kaufmöglichkeiten im Internet, die gestiegene Bedeutung von Design und eine immer mobilere Gesellschaft – all das hat dazu geführt, dass wir uns viel häufiger wieder von unserer Einrichtung trennen.
Von Plüschsofas und Plastikstühlen
„Man bedient sich jedes Mittels, um die Lehnstühle, Sofas, Diwane, Ottomanen so schwer und voluminös wie möglich zu machen. Fransenwerk, oft einen Fuß lang, verdeckt selbst die Stümpfe, die von den Beinen übrigbleiben, so daß die Möbel mehr und mehr überdimensionierten Kissen gleichen. Plüsch in stumpfem Rot überdeckt sie, zuerst einfarbig und später in orientalisierender Musterung.“
Mit diesen Worten beschrieb der Schweizer Architekturhistoriker Sigfried Giedion in seinem Buch „Herrschaft der Mechanisierung“ einen Möbeltrend, den das Bürgertum im 19. Jahrhundert für sich entdeckte: opulente Polstermöbel, die mit Sprungfedern und Rückenlehnen ausgestattet waren. Sie galten als Inbegriff der Bequemlichkeit und Gemütlichkeit. Zum wichtigsten Polstermöbel und zum Mittelpunkt des Wohnbereichs entwickelte sich das Sofa. Hier wurde gelesen, gestickt, Tee getrunken und sich gepflegt unterhalten. Anders als heute war das Sofa noch ein reines Sitzmöbel: Entspannung in Form von liegen oder „chillen“ fand darauf nicht statt.
Zum erschwinglichen Alltagsmöbel wurde das Sofa im 20. Jahrhundert durch die industrielle, standardisierte Massenproduktion und den Einsatz neuer Werkstoffe. Flexible Schaumstoffe ersetzten ab den 50er-Jahren die Sprungfedern und klassischen Füllmaterialien wie Rosshaar, Wolle und pflanzliche Fasern. Was auf der einen Seite den Niedergang des traditionellen Polsterhandwerks bedeutete, ermöglichte auf der anderen Seite zahlreiche neue Formen. Neben avantgardistischen Designs entstanden auch preiswerte Sitzmöbel, die die breite Bevölkerung erreichten. Ein prominentes Beispiel ist das in den 70er-Jahren entwickelte IKEA-Sofa „Klippan“, das noch heute zu den Verkaufsklassikern des schwedischen Möbelunternehmens gehört.
Kunststoff hat wie kaum ein anderes Material unsere Wohnkultur radikal verändert. Er ist formbar, leicht und stabil und bot damit ideale Eigenschaften für Designer und Möbelbauer. Nicht nur bei der Formgebung, auch bei den Farben eröffneten Kunststoffe ungeahnte neue Möglichkeiten. In den 60er- und 70er-Jahren zogen Stühle, Sessel und Leuchten in leuchtendem Orange und Rot in die Wohnzimmer ein. Stellvertretend für den Durchbruch dieses neuartigen Materials stehen Designklassiker wie die Schalenstühle von Charles und Ray Eames oder der Panton Chair von Verner Panton. Doch auch bei den praktischen Eigenschaften konnten Produkte aus Kunststoff punkten: Sie waren leicht zu pflegen und günstig in der Anschaffung. Heute hat sich die anfängliche Begeisterung für Kunststoff ins Gegenteil verkehrt: Plastikartikel stehen für Massenkonsum, Rohstoffverschwendung und Billigware und sind in der gesellschaftlichen Akzeptanz stark gesunken.
Literatur
- Fünderich, Maren-Sophie, Wohnen im Kaiserreich. Einrichtungsstil und Möbeldesign im Kontext bürgerlicher Selbstrepräsentation, Berlin/Boston 2019.
- Mack, Roland, Die württembergische Möbelindustrie. Ihr Aufbau und ihre wirtschaftlichen Probleme, Stuttgart 1931.
- Museum für Volkskultur in Württemberg, Themen und Texte Teil 1, Stuttgart 1989/90.
- Watzlawik, Jan C. (Hrsg.), Auf Möbeln. SitzPolsterModen. Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung, Dortmund 2019.
Zitierhinweis: Inka Friesen, Sich einrichten, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: [...], Stand: 08.12.2020