Die Kehrwoche - typisch schwäbisch?
Von Frank Lang, Museum der Alltagskultur
Die soziale Dimension von Sauberkeit und Hygiene zeigt sich in besonderer Weise bei der Kehrwoche. Für Nicht-Schwaben: Damit ist im süddeutschen Raum, insbesondere in und um Stuttgart, das regelmäßige Reinigen des Außenbereichs von Mietshäusern, aber auch des Treppenhauses und weiterer gemeinschaftlich genutzter Räumlichkeiten gemeint. Diese Aufgaben werden häufig wöchentlich wechselnd von den Mietsparteien selbst ausgeführt, wobei ein Schildchen, das „Kehrwochen-Schild“, von Wohnungstür zu Wohnungstür wechselt.
Die Ursprünge werden von Kehrwochen-Enthusiasten in frühneuzeitlichen Ordnungen gesehen, in denen es um das regelmäßige Entfernen von Pferdekot auf den innerörtlichen Straßen und von menschlichen Fäkalien aus den Winkeln und dortigen Abortgruben geht. Diese Ordnungen entstanden in Zeiten, als Abwasser noch frei und offen durch Städte lief und aller Transport mit Hilfe von Zugtieren bewältigt wurde. Die Hausbesitzer waren dafür entlang ihrer Grundstücksgrenze verantwortlich gemacht worden.
Diese Regelung taucht präziser und wesentlich strenger gefasst in der „Fürstlichen Gassen-Ordnung“ für Stuttgart aus dem Jahr 1746 auf, wo unter Strafandrohung gefordert wurde, dass die Hausbesitzer zweimal pro Woche, mittwochs und samstags im Sommer um fünf Uhr und im Winter um drei Uhr nachmittags „fleißig fegen“ sollen.
Mit dem Anwachsen der Städte und dem Bau von neuen Stadtvierteln im Zuge der Industrialisierung entstanden zahlreiche Mietshäuser und diese Hausbesitzers-Reinigungsaufgabe wurde dort auf die Mieter umgelegt. Der Begriff „Kehrwoche“ taucht Ende des 19. Jahrhunderts auf und ist seit den 80er-Jahren als typisch Schwäbisch erkannt worden. In der Tourismus-Literatur taucht diese Klischee-Zuschreibung 1983 als bislang frühester Beleg in einem Artikel des Journalisten Hermann Freudenberger (Pseudony „Knitz“) im Merian-Heft „Stuttgart“ auf. Die sozialen Begleiterscheinungen um die Kehrwoche werden seitdem als typisch Schwäbisch verklärt und zum Teil als schwäbischer Putzsinn interpretiert.
Während die einen die Kehrwoche lieben, ist sie von anderen verhasst. Man kann grob zwei Argumentationslinien verfolgen: Positiv gesehen spart die Verteilung auf ausnahmslos alle Mietsparteien einfach Kosten. Die gemeinsam vereinbarte Regel schafft eine Hausgemeinschaft, die eine gleichartige Vorstellung von Sauberkeit, Hygiene und Ordnung im engeren Lebensumfeld entstehen lässt und in die sich die Einzelnen einfügen. Im positiven Sinne werden durch eine so gelenkte Regelung gute Nachbarschaft gefördert und Konflikte vermieden.
Allerdings entstehen durch unterschiedliche Auslegung und Gepflogenheiten der Überwachung der Kehrwochen-Hausordung auch neue Konfliktfelder. Viele leiden unter dem als „spießig“ empfundenen Druck, der entsteht, wenn auf das Einhalten der Kehrwochenreinigung gepocht wird, obwohl keine Verschmutzung erkennbar ist. Es entsteht ein Klima der sozialen Kontrolle, das sich oft in angehefteten Zetteln am Kehrwochenschild manifestiert, worauf „Verstösse“ gerne anklagend notiert werden.
Pragmatiker haben Vorkehr-Methoden und inszenierte Routinen entwickelt, um solchen, oft unbegründeten Vorwürfen nicht ausgesetzt zu werden: Im Treppenhaus sehr viel Wasser verwenden, auf dass es lange nicht auftrocknet und somit als Beweis taugt, dass nass geputzt worden ist. Lautes Geklapper und Anboxen der Reinigungsgeräte an die Wohnungstüren aller Stockwerke hilft wahrgenommen zu werden, genauso wie ein lautstarkes Gespräch mit Nachbarn beim Kehren, Wischen und Mülleimer leeren. Letzteres fördert wiederum den gut-nachbarschaftlichen Zusammenhalt ganz besonders. Jedenfalls mit Putzwahn hat dies alles wenig zu tun.
Zitierhinweis: Frank Lang, Die Kehrwoche - typisch schwäbisch?, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020