Die Küche als Badezimmer
Von Inka Friesen
Ein Badezimmer mit Badewanne oder Dusche und einer Toilette ist aus unseren heutigen Wohnungen und Häusern nicht mehr wegzudenken. Dabei ist die standardmäßige Ausstattung mit einem Bad als eigenem Raum, der ausschließlich der Körperpflege dient, noch gar nicht so alt. Erst in den 60er-Jahren setzte der flächendeckende Einbau von Badezimmern ein. Davor musste sich der Großteil der Bevölkerung mit recht einfachen sanitären Verhältnissen zufriedengeben. Man wusch sich in der Küche oder – dem bürgerlichen Vorbild folgend – am Waschtisch im Schlafzimmer. Baden war ohne fließendes, warmes Wasser ein mühsamer und zeitaufwendiger Luxus, der sich in der Regel auf einen Wochentag, meist den Samstag, beschränkte. Bei einem 12- oder 14-Stunden-Arbeitstag blieb unter der Woche in der Regel nur Zeit für eine kurze „Katzenwäsche“.
Am Badetag wurden Wannen, Bottiche oder Zuber in der Küche oder Waschküche aufgestellt, Wasser herbeigeholt und erhitzt. Was heute unhygienisch erscheinen mag, war früher Normalität: Die ganze Familie badete nacheinander im selben Wasser. Und anders als heute lief das Brauchwasser zum Schluss nicht ungenutzt in den Abfluss – häufig wurde es noch weiterverwendet, zum Beispiel zum Bewässern des Gartens. Der sparsame Umgang mit Wasser ist nur ein Beispiel für ein Konsumverhalten, das von Knappheit und einer nicht permanenten Verfügbarkeit von Ressourcen geprägt war.
Mit der zunehmenden Popularisierung des Hausbades hat die Badewanne unterschiedliche Ausführungen erfahren: Handwerklich gefertigte Wannen aus Porzellan, verzinktem Blech und emailliertem Gusseisen kamen im Laufe des 19. Jahrhunderts in bürgerlichen Haushalten in Gebrauch. Erst die in großen Stückzahlen hergestellte, erschwingliche „Volksbadewanne“ ermöglichte in den 30er-Jahren vielen Familien die Anschaffung einer Badewanne und damit die Teilhabe an neuen hygienischen Normen. Neben dem häuslichen Bad waren auf dem Land kleine, gemeinschaftliche Badehäuser, mitunter in Kombination mit einem Backhaus, üblich. Größere Städte richteten im 19. Jahrhundert als Hygienemaßname öffentliche Bäder ein, die sogenannten „Volksbäder“.
Mit dem steigenden Hygienebewusstsein und der wachsenden Bedeutung eines attraktiven Äußeren hat die Industrie im Laufe des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl an Hygieneartikeln, Pflegeprodukten und Hilfsmitteln auf den Markt gebracht. Zahnbürste, Hautcreme, Shampoo, Toilettenpapier, Trockenrasierer und Deodorant – sie gehören für die meisten Menschen zum Kernbestand der täglichen Körperpflege. Dabei existierten und existieren durchaus unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Hygienevorstellungen nebeneinander. Als allgemein gültige Ideale gelten heute dank Werbung jedoch porentiefe Reinheit, makellose, glatte Haut und klinische Sauberkeit.
Literatur
- Brachat-Schwarz, Werner, Warum leben Frauen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald am längsten?, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2016.
- Carstensen, Jan/Stiewe, Heinrich (Hg.), Orte der Erleichterung. Zur Geschichte von Abort und Wasserklosett. Schriften des LWL-Freilichtmuseums Detmold, Bd. 38., Petersberg 2016.
- Kramer, Klaus, Das private Hausbad 1850-1950 und die Entwicklung des Sanitärhandwerks. Texte und Materialien zur Ausstellung im Hansgrohe-Museum Wasser, Bad, Design., Schiltach/Schwarzwald 1997.
- Museum für Volkskultur in Württemberg. Themen und Texte, Teil 1., Stuttgart 1989/90.
-
Seifert, Judit/Noll, Petra, Vom Abort bis Zuber. Hygiene auf dem Land, in: BC – Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 24 (2001), Heft 2. S. 60-72.
Zitierhinweis: Inka Friesen, Die Küche als Badezimmer, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020