Jugend - Eingliederung von Schulabgängern in den Arbeitsmarkt
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Die 1920er Jahre waren mit der Weltkriegsniederlage von 1918 sowie der Hyperinflation von 1923 von zwei dramatischen Krisenerfahrungen geprägt. Der von diesen Zäsuren eingeklammerte Übergangszeitraum wirtschaftlicher Prekarität traf insbesondere Jugendliche, die die Schulen verließen und unmittelbar arbeitslos wurden. Daher zählte die staatlich initiierte Jugendpflege, die sich bereits 1900 als behördliche Institution entwickelt hatte, in der Weimarer Republik zu den wesentlichen Organisationen, um Jugendliche in die Arbeitswelt zu integrieren. Bereits nach der Kriegsniederlage hatte der Erlass zur Wiederherstellung der inneren Einheit des Volkes die Jugendpflege reformiert und neue Formen der Zusammenarbeit festgelegt. Am 9. Juli 1922 folgte das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt, das ein langfristiges Programm, erzieherische Bemühungen und vor allem das Jugendamt als Behörde zur Durchführung dieser Bestimmungen verfügte. Das Reichsgesetz führte zu einschneidenden sozialpädagogischen Folgen, weil es Kindern und Jugendlichen ein Recht auf Erziehung zusprach, dies freilich verbunden mit dem Anspruch, Jugendlich ins Arbeitsleben zu integrieren. Mit diesem Anspruch erweiterten sich zudem die Kompetenzen des Jugendamtes, das sich nunmehr auch um die privaten Belange der Jugendwohlfahrt zu kümmern hatte.
Darüber hinaus stand die Jugend angesichts der Kriegsniederlage in der Weimarer Republik im besonderen Fokus staatserzieherischer Maßnahmen, galten Jugendliche insbesondere in rechtskonservativen Kreisen als Zukunftsträger, die Deutschland wieder zu einer Großmacht empor zu führen hatte. Daher sollten Probleme von Jugendlichen in Zeiten finanzieller Misere mithilfe pädagogischer Hilfestellungen und Programme, staatlicher Angebote und Maßnahmen, insbesondere durch die Bereitstellung von Freiwilligen durch Kreise und Gemeinden, bewältigt werden. Treibende Kraft in den preußischen Provinzen war hier das Ministerium für Volkswohlfahrt, das sich für die Umsetzung des Erziehungsprogramms verantwortlich zeichnete. Nicht zuletzt das Volksbildungswesen sollte es ermöglichen, vor allem Jugendliche aus bildungsfernen, und damit für Arbeitslosigkeit anfällige Schichten gezielter zu schulen, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes der 1920er Jahre gerecht zu werden.
Quelle
Kurz nach dem Inflationsjahr 1923 wandte sich der preußische Minister für Volkswohlfahrt am 15. Februar 1924 an die Regierungspräsidenten der Provinzen. Der Minister forderte, die Schulbildung für Jugendliche zu verbessern, um sie gezielter an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Der Minister sah die „Grundlagen deutschen Volkstums“ bedroht, sollte sich die bisherige Entwicklung fortsetzen. Nach Abschluss des Schuljahres würden „wieder neue Scharen von Jugendlichen der Zucht und Aufsicht der Schule entwachsen und wahrscheinlich nur zum Teil in Lehr- und Arbeitsstellen untergebracht werden können.“ Daher forderte er Gemeinden und Kreise dazu auf, die verbleibende Schulzeit zu nutzen, um die Abgänger auf das nur wenige Wochen entfernte Arbeitsleben vorzubereiten. Hierzu sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Jugendliche in „Berufs-, Fach- und Fortbildungsschulen“ unterzubringen. Für die Vorbereitung junger Frauen und Mädchen sah der Minister Frauenreferentinnen, Bezirks- und Kreisjugendpflegerinnen sowie die Bezirks-, Kreis- und Ortsausschüsse für Jugendpflege in der Verantwortung. Sie sollten sowohl in Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und den Gemeinden als auch den „Organisationen der Industrie, der Landwirtschaft, des Handels und Gewerbes, des Handwerks, den Frauenvereinen, den entsprechenden Fachverbänden und allen Jugendverbänden die Jugendlichen durch Einschulung (z. B. in die Fortbildungsschulen), durch Einrichtung von Ausbildungslehrgängen auf den verschiedenen Gebieten, von Lehrwerkstätten, durch Lese- und Vortragsabende, Pflege der Leibesübungen u.a.m. von Müßiggang fernhalten und sie zu verantwortungsbewussten Menschen erziehen.“
Darüber hinaus fürchtete der Minister um die Arbeitsmöglichkeiten der „heranwachsenden Mädchen“, was „den heiß ersehnten Wiederaufbau des Vaterlandes“ gefährden würde. Er plädierte jedoch keineswegs für einen verstärkten Einsatz junger Frauen in der Arbeitswelt; vielmehr artikulierte er damit den Wunsch, dass sich Mädchen und junge Frauen wieder stärker im Haushalt engagieren sollten. Das staatlich initiierte Programm benachteiligte hierdurch jene Gruppe, die gerade erst Eingang in die Arbeitswelt gefunden hatte. Der Minister verfügte, dass „Männer und Frauen, die im praktischen Leben stehen“, die Integration Jugendlicher ins Arbeitsleben tatkräftig unterstützen sollten, wobei „neben den Berufsfrauen aller Schichten auch Hausfrauen (H. i. O.) und Mütter in Betracht [gezogen werden müssten], da für sie die Vorbereitung auf ihre künftigen Pflichten als Hausfrau und Mutter unbedingt erforderlich“ sei. Dass vor allem Frauen wieder aus dem Arbeitsleben zurückgedrängt werden sollten, machte der Minister unmissverständlich klar: So müsse es Ziel sein, „die heranwachsenden Mädchen wieder mehr in häuslichen Berufen zuzuführen [sic!] und die große Abneigung zu bekämpfen, die vornehmlich in Industriegegenden gegen diesen Beruf zu beobachten ist.“ Weitere Möglichkeiten erblickte der Minister im Einsatz junger Frauen im landwirtschaftlichen Bereich, da dieser von den Wirren des kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystems weitestgehend unberührt, jedoch als Arbeitsfeld überaus unbeliebt und daher wieder aufzustocken sei.
GND-Verknüpfung: Jugend [4028859-6]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Schreiben des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt an die Regierungspräsidenten, 15.02.1924