Kultur - Neuausrichtung des Theaters in Baden
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Die Theaterlandschaft unterlag nach 1918 sowohl in ihrer kulturellen Ausrichtung als auch hinsichtlich ihrer organisatorischen Rahmenbedingungen einer fundamentalen Veränderung. In rechtlicher Hinsicht stellte sich dieser Übergangsprozess als Umwandlung der fürstlichen Hoftheater in Staats-, Landes- oder Stadttheater dar. Mit dem Übergang der Theater an die Länder veränderte sich auch ihr künstlerischer Anspruch: Prägenden, bis heute anhaltenden Einfluss übte dabei vor allem das politische Theater aus, das bereits vor 1918 existiert hatte, in der Weimarer Zeit jedoch mit dem dezidierten Anspruch auftrat, die Menschen politisch im Sinne der neuen Demokratie zu erziehen: Mithilfe der performativen Kraft des Theaters sollten gesellschaftliche Zustände infrage gestellt und mit den Mitteln der Provokation und des Skandals verändert werden. Verbunden waren solche revolutionären Ansprüche mit den Namen Erwin Piscator und Leopold Jessner und nicht zuletzt mit dem epischen Theater Bertolt Brechts. Diese Ausrichtung setzte sich nach 1918 jedoch erst im zweiten Jahrfünft der 1920er Jahre durch. Deutlich wird der Transformationsprozess am Beispiel der Bühnen in Mannheim und Karlsruhe: Sie waren bis dahin Bestandteil der Zivilliste, d.h. sie wurden direkt aus Mitteln des großherzoglichen Haushalts finanziert. Diese Form der Finanzierung und die daraus entstehenden Abhängigkeiten vom großherzoglichen Haus waren nunmehr obsolet. Die Leitung der Karlsruher Bühne hatte noch Großherzog Friedrich II. mit dem Theaterregisseur und Intendanten Dr. August Bassermann, der bereits an den Hoftheatern in Dresden und Wien gearbeitet hatte, besetzt. Im Zuge der Novemberrevolution wurde lautstark die Absetzung Bassermanns verlangt und die Wahl eines Intendanten als alleiniges Bestimmungsrecht des Theaterpersonals eingefordert.
Quelle
Angefacht wurde die Diskussion über die Neuausrichtung der Hoftheater vor allem durch den Generalsekretär der Theatergenossenschaften, Dr. Ludwig Seelig. In einem als „Theater und Sozialismus“ betitelten Artikel vom 11. Dezember 1918 – abgedruckt in der Fachzeitschrift für Theaterangestellte „Der neue Weg“ – entwarf Seelig das Programm des betrieblich, personell, juristisch und vor allem künstlerisch neu auszurichtenden Theaters.
Seelig forderte, die für das Theaterleben so „verheerenden Irrlehren“ des Kapitalismus zu korrigieren. Adel und ‚Bourgeoisie‘ hätten das Theater in ihrem Sinne entweder zur zweckfreien Ästhetisierung oder zur rauscherzeugenden Genuss- und Luxusveranstaltung verkommen lassen. Theatermitarbeiter seien durch „privatkapitalistische Betriebsweise“ ausgebeutet und ins soziale Elend gestürzt worden. Insbesondere kritisierte er die bisherigen Dienstregelungen der vom Hof bestellten Theaterdirektion (die umfangreichen Dienstregelungen für das badische Hoftheater in Karlsruhe hält die vorliegende Akte ebenfalls bereit). Diese hätten, so Seelig, autokratisch über die administrative, künstlerische und finanzielle Leitung der Theater und insbesondere über deren Angehörige entscheiden können. Gerade im Zuge der Kriegswirren seien Mitarbeiter angesichts der Konjunkturlage nach Belieben eingestellt und gekündigt worden. Infolge dessen sowie durch mangelnde Planung und verschwenderische Handhabe finanzieller Mittel seien die Theater förmlich heruntergewirtschaftet worden.
Diesen Missständen stellte Seelig die sozialintegrativen und pädagogischen Funktionen des Theaters als neu auszurichtende Kunstform entgegen. „Für den Sozialismus“, so Seelig, sei „das Theater eine Kulturanstalt, die Theaterkunst eine Kulturnotwendigkeit, ein Mittel der geistigen und sittlichen Erhebung aller Schichten des Volkes, eine Sache des schöpferisch tätigen Erlebens.“ Daher sei die Sozialisierung, d.h. die künstlerische Ausrichtung der Theater auf sozialisierende Effekte im Publikum, die einzige Möglichkeit, das Theater „seiner Kulturbestimmung zuzuführen“. Um die „verschwenderische“ Betriebsweise der bisherigen Theater zu verändern, müssten sich Staat und Gemeinden einbringen. Dem Staat obläge dabei das Erlassen entsprechender gesetzlicher Regelungen, wohingegen Städte und Gemeinden die Subventionierung der Theater zu übernehmen hätten. Das Theater dürfe in künstlerischer Hinsicht nicht wie ein Gewerbe mit dem primären Ziel der Gewinnmaximierung geführt werden.
Mit der Revolution 1918, so Seelig, seien zentrale Forderungen umgesetzt worden: die Umwandlung von Hoftheatern in Staatstheater, die Unterstellung des gesamten Theaterwesens unter das Kultusministerium sowie die Einführung genossenschaftlicher Organisationsformen. Hierzu zählten die Wahl des Bühnenleiters, ferner die lang geforderte Selbstverwaltung durch die Theaterangehörigen und schließlich die Aufhebung der Zensur. Die an den Theatern aufgeführten Stücke sollten sich auf die Erziehung des Publikums konzentrieren, d.h. sich an demokratischen Werten orientieren und nicht allein dem Geschmack des Massenpublikums folgen. Über vergünstigte Eintrittspreise, so Seelig, müsse man auch sozial unterprivilegierten Schichten einen Theaterbesuch ermöglichen.
Die Umsetzung der Seeligschen Forderungen erfolgte in Karlsruhe indes nur partiell. Zwar schied Bassermann im Winter 1918/19 aus dem Amt. Doch lieferte die Personalie des konservativen Dirigenten und Operndirektors Fritz Cortolezis weiterhin Konfliktpotenzial, nicht zuletzt, weil dieser auf den neuen Intendanten Stanislaus Fuchs Einfluss nahm. Diese Lage begünstigte keineswegs den Neustart des Theaters, das statt einer Neuausrichtung seines Bühnenprogramms weiterhin tendenziell konservativen künstlerischen Ansätzen treu blieb. Der von Seelig programmatisch geforderten Umerziehung der Menschen folgten die wichtigsten badischen Theater erst im zweiten Jahrfünft der 1920er Jahre.
GND-Verknüpfung: Kultur [4125698-0]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Ludwig Seelig:Theater und Sozialismus, Nachdruck aus der Vorwärts-Ausgabe vom 11.12.1918