Freizeit - Schwimmanstalten in Hohenzollern
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Die Weimarer Republik ist in der neueren Forschung als Zeitraum beschrieben worden, in der sich breite Schichten durch verbesserte Produktions- und Arbeitsbedingungen neue Konsum- und Freizeitmöglichkeiten erschlossen haben. Die Entstehung von Freizeit war überhaupt erst durch die Einführung des Achtstundentages in Deutschland im Jahr 1918 möglich geworden. Im Verbund mit Gewerkschaftsvertretern hatte der ab 1919 als erster Reichspräsident der Weimarer Republik amtierende Sozialdemokrat Friedrich Ebert diese zentrale Forderung der sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegung im Stinnes-Legien-Abkommen mit den Arbeitgeberverbänden durchgesetzt und gesetzlich verankert. Wenngleich der Achtstundentag im Verlauf der zwanziger Jahre wieder aufgeweicht werden sollte, schuf er doch überhaupt erst die Möglichkeit für breite Schichten, sich nach getaner Arbeit individuellen Interessen zuzuwenden, am Vereinsleben teilzunehmen, sich sportlich zu betätigen und Hobbys nachzugehen, die der Erholung und Entspannung vom Arbeitsleben dienten.
Das neu entstehende Freizeitverhalten begünstigte auch eine neue Körperkultur. Im Anschluss an die Extremerfahrungen der Weltkriegsjahre, an die Wiederentdeckung der Gesundheit sowie an Bewegungen der Lebensreform, des Vegetarismus, der Abstinenz und Naturromantik, stand in den zwanziger Jahren die Frage im Brennpunkt, wie ein ‚neuer Mensch‘ zu formen sei und wie er gesund zu leben habe. Solche Diskussionen konzentrierten sich insbesondere auf die Jugend, die besonders stark zu Sport angehalten wurde, nicht zuletzt, weil sie durch die Unter- und Mangelernährung während der Kriegsjahre in ihrer physischen Entwicklung besonders hart getroffen worden war. Solche Erörterungen kreisten dabei nicht allein um die lebensphilosophische Frage, wie ein erfülltes Leben zu führen sei; gerade in nationalistisch-militaristischen Kreisen, die Deutschland notfalls durch einen erneuten Krieg in den Kreis der europäischen Großmächte zurückzuführen gedachten, spielte Sport immer auch eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung körperlicher Wehrhaftigkeit, zu der Jugendliche als potentielle zukünftige Soldaten beständig angehalten wurden.
Quelle
Die hier präsentierte Quelle des Landrats in Sigmaringen gewährt Einblicke in die Förderung des öffentlichen Badewesens im Regierungsbezirk, hier speziell in die geplante Einrichtung von Bade- und Schwimmanstalten zur allgemeinen Förderung des Schwimmtrainings von Kinderheimen, Volksschulen, Turn- und Sportvereinen sowie als Breitensport der Öffentlichkeit. Am 7. Dezember 1926 wandte sich der Landrat an den Regierungspräsidenten und betonte die Tatsache, dass im Deutschen Reich jährlich noch immer „8000 Menschen ertrinken“ würden. Von dieser horrenden Opferzahl sei insbesondere die „arbeitsfreudige Jugend“ betroffen, weshalb in den Hohenzollerischen Landen größeres Augenmerk darauf zu legen sei, dass insbesondere Jugendliche das Schwimmen erlernten. Hinsichtlich der hierfür notwendigen Errichtung von Schwimm- und Badeanstalten sah der Landrat für den Regierungsbezirk jedoch noch starken Nachholbedarf.
Lediglich neun Städte und Gemeinden, nämlich Hechingen, Sigmaringen, Gammertingen, Hettingen, Veringenstadt, Ostrach, Rengetsweiler, Beuron und Hausen verfügten bereits über Schwimmanstalten. Der Landrat schlug im Folgenden Orte vor, die sich um den Bau einer Schwimmanstalt bemühen sollten und stellte staatliche Zuschüsse in Aussicht. Schwimmanstalten, die einen Kostenaufwand von rund 3.000 Reichsmark erforderten, sollten in Haigerloch, Rangendingen, Burladingen und Gammertingen sowie in Sigmaringendorf, Straßberg und Laiz errichtet werden. Kleinere Badeanstalten sollten in Imnau, Gruol, Owingen, Stein, Bisingen, Schlatt, Jungingen, Trochtelfingen, Dießen, Glatt, Bingen, Laucherthal, Krauchenwies, Hausen, Mindersdorf, Otterswang, Gauselfingen, Neufra und Dettingen entstehen. Weitere Schwimmeinrichtungen, wie sie in Gammertingen, Hettingen und Veringenstadt bereits existierten, sollten genügend Platz für Schwimmer und Nichtschwimmer bereithalten. Mindestens 30 Schülerinnen und Schülern sollte auf diese Weise genügend Freiraum für Trockenschwimmübungen bereitgestellt werden. Für solche Anlagen, die auch mit Sprungbrettern versehen werden sollten, kamen kleinere Ortschaften wie Fischingen, Hermentingen, Veringendorf, Jungnau, Storzingen, Oberschmeien und Unterschmeien infrage. Kleinere Dörfer sollten sich zusammenschließen und sich finanziell am Bau einer Schwimmanstalt in einem benachbarten Dorf beteiligen, um sich so „ein Baderecht zu sichern“. Der Landrat regte die Städte und Gemeinden ferner dazu an, die Badeanstalten in den kommenden zwei Jahren einzurichten, da die genannten Staatsbeihilfen in Höhe von 2.000 Reichsmark für diesen Zeitraum zur Verfügung stünden. Weitere finanzielle Mittel, mithilfe derer der Besuch von Badeanstalten durch Jugendliche bezuschusst werden sollte, die nicht mehr zur Schule gingen, stünden dank eines „Jugendpflegefonds“ zur Verfügung. Gemeinden, die sich zur Einrichtung entsprechender Badeanstalten bereit zeigten, sollten in Absprache mit den zuständigen Schulräten sowie dem kommunalen Medizinalrat gegenüber dem Landrat Stellung zu etwaigen Bauvorhaben nehmen.
GND-Verknüpfung: Freizeit [4018382-8]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Schreiben des Landrats an den Regierungspräsidenten in Sigmaringen, 7.12.1926