Medien - missliebige Pressekritik an Behörden
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Artikel 118 der Weimarer Reichsverfassung verfügte: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. […] Eine Zensur findet nicht statt […].“ Damit war die formal bereits seit 1874 bestehende Pressefreiheit 1919 gesetzlich wiederhergestellt, wobei es weiterhin Einschränkungen gab. Hierzu zählten nicht nur Presseverbote, die nahezu alle Zeitungen des gesamten politischen Spektrums zeitweilig ereilte und den Druck mehrerer Ausgaben verhinderte bzw. verbot. So gehörte etwa der „Weltbühne-Prozess“ zu den größten Presseskandalen in der Weimarer Republik. Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky und Redakteur Walter Kreiser wurden des Landesverrats bezichtigt und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Sie hatten in einem Artikel auf den Aufbau einer gemäß Versailler Vertrag verbotenen deutschen Luftwaffe hingewiesen und damit den Unwillen der politisierten, oft im politischen Spektrum rechts stehenden Justiz auf sich gezogen.
Quelle
In der vorliegenden Quelle wandte sich am 3. Januar 1924 der Oberbefehlshaber des Wehrkreiskommandos 5 in Stuttgart, Generalleutnant Reinhardt, an den Regierungspräsidenten in Sigmaringen, um die Regierungsbehörden dazu zu veranlassen, die lokale Presse auf ihre ‚nationalen Pflichten‘ im Sinne des Staates hinzuweisen und sie nach Möglichkeit von staatlicher Kritik abzuhalten. Den Anlass dazu hatte Reinhardt ein Leitartikel der Neuen Berliner Zeitung geliefert. In diesem hatte sich ein Journalist unter dem Titel „Die neue Inflation“ mit der Finanzpolitik der Reichsregierung auseinandergesetzt, die zum Ende der Inflation von 1923 beigetragen hatte. Unter Reichskanzler Gustav Stresemann war die Geldentwertung nicht zuletzt dadurch aufgehalten worden, dass die völlig entwertete Papiermark durch die Einführung einer neuen Währung, der Rentenmark, ersetzt worden war. Eine wirtschaftliche Gesundung hing wesentlich vom Vertrauen der Bevölkerung in die neue Währung ab. Im besagten Artikel hatte der Journalist diese Rentenmarkpolitik jedoch vehement angegriffen und wie folgt dagegen polemisiert: „Man kann nicht umhin, der Regierung den Vorwurf zu machen, eine Katastrophen-Politik zu treiben, wie sie kein Feind Deutschlands schlimmer aufoktroyieren könnte.“ Offenkundig hatte die Zeitung danach zahlreiche Leserkritiken erhalten, da sie sich anschließend von der Argumentation des Artikels distanzierte.
Der Oberbefehlshaber sah jedoch in dieser Episode ein allgemeines Problem bezüglich der „Verantwortung der Presse in unserer derzeitigen Lage“. Die Bevölkerung hätte mit dem Katastrophenjahr 1923 das Vertrauen in die Währung und die Finanzpolitik des Reiches verloren, was sich erst mit der Einführung der Rentenmark zu ändern beginne. Die landwirtschaftliche Produktion erhole sich, die innenpolitischen Spannungen begännen sich langsam abzubauen. Diese Erholungsphase stehe jedoch noch an ihrem Beginn, erneute wirtschaftliche Einschnitte, insbesondere neue Reparationsforderungen, könnten diese langsame wirtschaftliche Verbesserung gefährden. Um jedoch die Wiederholung eines wirtschaftlichen Krisenjahres wie 1923 zu vermeiden, müsse verhindert werden, dass die Presse mit regierungskritischen Artikeln zur Verbreitung von „Währungspanik“ beitrage. Daher könnten „Stimmungsartikel gegen die Währung sensationeller oder spekulativer Absicht […] weit über den Gesichtskreis des Schreibers Schaden anrichten, der auch durch nachträglichen Widerruf in seiner Wirkung auf In- und Ausland nicht mehr ganz aufgehoben werden kann.“ Daher hätte der „Befehlshaber im Wehrkreis 5 […] diesen Vorfall zum Anlass genommen, die Presse unter Anerkennung ihrer bisherigen Förderung der Wiederaufbauarbeit zu weiterer verständnisvoller Unterstützung der Reichsregierung anzuhalten“, womit nichts anderes gemeint war, als die Presse von staats- und regierungskritischen Polemiken abzuhalten. Der Militärbefehlshaber sandte sein Schreiben an den Regierungspräsidenten mit der Bitte, „vorstehende Ausführung an die Presse weiterzuleiten.“
Eine solche Intervention an die Regierungsbehörden zu entsenden erschien daher sinnvoll, weil diese insbesondere auf die von ihnen wesentlich mitgestalteten und redigierten Amtsblätter, wie zum Beispiel das Amtsblatt des Königlich Preußischen Kreisgerichts und Oberamtsbezirks von Hechingen, Einfluss zu nehmen vermochten. Das Amtsblatt beispielsweise, das 1871 in Hohenzollerische Blätter umbenannt wurde, wurde finanziell direkt von der preußischen Regierung unterstützt. Aus diesem, nicht nur für das Amtsblatt zu konstatierendem Interessengeflecht ergaben sich Möglichkeiten, dass Regierungsbehörden von Exekutive und Legislative unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung nahestehender Presseorgane nehmen konnten.
GND-Verknüpfung: Medien [4169187-8]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Schreiben des Oberbefehlshabers des Wehrkreiskommandos 5 an den Regierungspräsidenten in Sigmaringen