Staatsorganisation - Ausarbeitung einer neuen badischen Verfassung
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Zur politischen Organisation Badens
Im Zuge der Kriegsniederlage im Oktober 1918 kam es in Baden zu Protesten, bei denen die Demokratisierung Badens eingefordert wurde. Angesichts der katastrophalen Lage machte Staatsminister Freiherr Heinrich von und zu Bodman (1851-1929) am 19. Oktober 1918 daher das Zugeständnis, im Januar 1919 eine mögliche Verfassungsreform auf die Agenda der Badischen Ständeversammlung zu setzen.
Die Anberaumung einer verfassungsgebenden badischen Nationalversammlung im Januar machte es erforderlich, im November und Dezember 1918 einen konsensfähigen Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Eine hierfür eingesetzte Kommission bestand aus juristisch versierten Angehörigen der SPD (Dr. Eduard Dietz, 1866-1940), des Zentrums (Dr. Johannes Zehnter, 1851-1922), der Nationalliberalen Partei (Dr. Karl Glockner, 1861-1946) und der Fortschrittlichen Volkspartei (Dr. Friedrich Weill, 1858-1934). Die Kompromissbildung gestaltete sich jedoch überaus schwierig.
Ein Streitpunkt war die schon im Winter 1918 in Baden von Revolutionären erhobene Forderung, die Erste Kammer der Badischen Ständeversammlung als politische Interessenvertretung des Adels aufzulösen. Dietz versuchte als Fürsprecher eines Einkammersystems, die Presse auf seine Seite zu ziehen und spielte ihr am 5. Dezember ein entsprechendes Verfassungskonzept zu. Die Kommission veröffentlichte zwei unterschiedliche Varianten mit einem Ein- und einem Zweikammersystem. Dietz verweigerte einem solchen Konzept jedoch seine Zustimmung und auch die provisorische Volksregierung stellte sich auf die Seite des Dietzschen Einkammersystems, die sie für weitere Verhandlungen als Grundlage verwendete.
Die Wahlen zur badischen Nationalversammlung am 5. Januar 1919 führten zur Bildung einer Weimarer Koalition aus Zentrum (39 Sitze), SPD (36 Sitze) und DDP (25 Sitze). Am 15. Januar kam der Badische Landtag erstmals zusammen. Es erfolgten die Wahl des Präsidenten Ferdinand Kopf (1857-1943, Z) sowie der Vizepräsidenten Adam Remmele (1877-1951, SPD) und Oskar Muser (1850-1935, DDP). Trotz des Rücktrittsangebots der bisherigen Regierung Anton Geiß‘ (1858-1944) beließ der Landtag sie zunächst im Amt. Zu den zentralen Fragen dieser ersten Sitzung gehörte die Besprechung des von Dietz ausgearbeiteten Verfassungsentwurfes. Eine aus 21 Landtagsmitgliedern gebildete Verfassungskommission, mit Dietz als Vorsitzendem, nahm die weitere Ausarbeitung des Entwurfs in Angriff. Nach zahlreichen Sitzungen konnte das Konzept am 12. März dem Landtag vorgelegt werden, der es am 25. März verabschiedete. Als einzige Verfassung der Weimarer Republik wurde der Entwurf sodann dem badischen Volk zur Abstimmung vorgelegt.
Gesetz über die Volksabstimmung über die Verfassung vom 21. März 1919 über die Fortdauer der Nationalversammlung (28. März 1919)
Die vorliegende Quelle zeigt das große Vertrauen und den Optimismus, die die badischen Politiker ihrem Volk beim Aufbau der Demokratie entgegenbrachten. Denn das plebiszitäre Element stellt im demokratischen Meinungsbildungsprozess eine Medaille mit zwei Seiten dar. Auf der einen Seite stellen Volksentscheide und Volksbegehren die scheinbar demokratischsten Elemente überhaupt dar, um das Volk unmittelbar an der Herrschaft zu beteiligen. Die Kehrseite derselben Medaille zeigt sich jedoch, wenn die Demokratie das plebiszitäre Element solchen Wählern und Wählerinnen einräumt, die nicht bereit sind, in ihrem Geiste Verantwortung zu übernehmen. Und die Gesamtheit der deutschen Bevölkerung kann von 1918 bis 1933 kaum als demokratisch geschultes Volk politisch verantwortungsbewusster Bürger und Bürgerinnen bezeichnet werden. Viel zu sehr blieben weite Teile der Bevölkerung der im Wilhelminismus eingeübten staatlichen Obrigkeit verhaftet.
Die Einwohner Badens vermochten sich in ihrer Willensbildung dagegen auf eine zumindest in Ansätzen konstitutionelle Tradition zu stützen. Sie verfügten seit 1819 über eine Verfassung sowie eine aus zwei Kammern bestehende Ständeversammlung, in der gewählten Vertretern politische Partizipationsrechte eingeräumt worden waren. Auch der vergleichsweise unblutige Revolutionsverlauf sowie die Absage an die Rätebewegung im Januar 1919 – die USPD erhielt gerade einmal 15.000 Stimmen – verwiesen auf den Demokratiewillen der Badener.
Das hier vorgestellte Gesetz zur Abhaltung einer Volksabstimmung über die neue Verfassung sowie über die Fortdauer der Nationalversammlung räumte dementsprechend in Paragraf 5 Männern und Frauen ab dem vollendeten 20. Lebensjahr das Wahlrecht ein. Der Stimmzettel war psychologisch auf Zustimmung zu den zur Abstimmung gestellten Fragen angelegt, da er als Wahlmöglichkeit lediglich „Ja“ enthielt. Wer mit „Nein“ zu stimmen gedachte, hatte "Ja" durchzustreichen und "Nein" zu vermerken! Die Badener stimmten der Verfassung sowie der Bestätigung der Nationalversammlung am 13. April 1919 mit großer Mehrheit zu.
Mit der Zustimmung zur Verfassung wurde ein Staatsministerium mit weitreichenden Kompetenzen gebildet. Es wurde nach dem Kollegialitätsprinzip geführt, was bedeutete, dass weder ein Kanzler noch ein Ministerpräsident, sondern paritätisch alle Minister und Staatsräte als Teil des Staatsministeriums über politische Richtlinienkompetenz verfügten. Dieser Kreis wählte eines seiner Mitglieder für ein Jahr zum Staatspräsidenten, wobei die an der Regierung beteiligten Parteien sich hierbei abzuwechseln pflegten. Darüber hinaus verfügte die badische Verfassung – dies ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal zu anderen Verfassungen des Reiches –, dass auch Verfassungsänderungen der Volksabstimmung bedurften, wodurch das plebiszitäre Element überaus stark verankert war.
GND-Verknüpfung: Staatsorganisation [4382696-9]
Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW:
Gesetz zur Volksabstimmung über die badische Verfassung, 21.3.1919