Staatsorganisation - Aufbau des Volksstaats Württemberg
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Als Reaktion auf den Druck der auf ein Rätesystem drängenden Spartakisten bildeten Vertreter der MSPD und USPD am 9. November eine provisorische Landesregierung. Unter der Führung von Wilhelm Blos (MSPD) und Arthur Crispien (USPD) stellten sie dem Rätegedanken das Modell einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie gegenüber. Der Stuttgarter Arbeiter- und Soldatenrat sowie das Militär legitimierten die neue Regierung durch ihre Unterstützung. Am 11. November 1918 erklärte die Regierung die Revolution für beendet. König Wilhelm II. hatte am 10. November der Auflösung der letzten königlichen Regierung zugestimmt und entließ am 16. November 1918 die Beamten aus ihrem Treueeid. Am 30. November 1918 dankte er ab und führte fortan nur noch den Titel eines Herzogs von Württemberg.
Die Vertreter der provisorischen Volksregierung beraumten für Januar 1919 Wahlen für eine Verfassunggebende Landesversammlung an, die am 12. Januar stattfanden. Die Wahlen, die mit dem allgemeinen, geheimen und direkten Verhältniswahlrecht auch Frauen politische Partizipation ermöglichten, führten zur Bildung einer Weimarer Koalition aus MSPD (52 Mandate), DDP (38 Mandate) und Zentrum (51 Mandate).
Die von der württembergischen Bevölkerung bestätigte Regierung Blos war fortan keine provisorische mehr, sondern die legitime, demokratisch gewählte Staatsregierung. Der von der Landesversammlung gewählte Staatspräsident ernannte die Minister. Die Regierung war vom Vertrauen der Landesversammlung abhängig und ihr gegenüber rechenschaftspflichtig. Am 7. März 1919 wurde Blos zum Staatspräsidenten gewählt.
Die Landesversammlung stimmte anschließend am 26. April mit 118 Ja-Stimmen und neun Nein-Stimmen für den Verfassungsentwurf. Dieser war seit dem 12. Januar maßgeblich durch den Tübinger Rechtswissenschaftler Wilhelm von Blume (1867-1927) sowie eines hierfür eingerichteten Ausschusses unter der Leitung Johannes von Hiebers (1862-1851, DDP) ausgearbeitet worden. Die Verfassung wurde am 23. Mai 1919 offiziell proklamiert und trat am 25. September 1919 in Kraft. Diese Verabschiedung beendete endgültig die politische Partizipation der Arbeiter- und Soldatenräte. Die politische Macht oblag nun der Landesversammlung, die sich am 28. Mai 1919 als Landtag konstituierte. Württemberg hatte sich damit zu einem freien Volksstaat – dies die offizielle Bezeichnung des neuen Staates – gewandelt.
Der Landtag wurde auf vier Jahre gewählt, zeichnete sich für die Legislative verantwortlich und bestellte und kontrollierte die aus ihm hervorgehende Regierung. Er trat mindestens einmal im Jahr zusammen; die Termine seiner Konstitution beraumte er dabei selbst an – ein Recht, das auch dem Staatsministerium, d.h. der Regierung, sowie dem Landtagspräsidenten zukam. Per Plebiszit konnte der Landtag zudem aufgelöst werden. Voraussetzung für einen solchen Volksentscheid war seine Ansetzung durch das Staatsministerium oder wenn ein solches Prozedere von einem Fünftel der Wähler der letzten Landtagswahlen verlangt worden war. Das plebiszitäre Element war in der württembergischen Landesverfassung zudem dadurch verankert, dass das Volk durch Referenden und Initiativen an der Legislative beteiligt wurde.
Übersicht über wichtige Verordnungen, Verfügungen und Erlasse der Provisorischen Regierung vom 09.11.1918 bis 18.01.1919
Die Übersicht liefert einen Überblick über die wichtigsten Verordnungen, Verfügungen und Erlasse der provisorischen Volksregierung vom 9. November 1918 bis zum 18. Januar 1919, die die verfassunggebende württembergische Landesversammlung im Januar 1919 im Staatsanzeiger herausgab.
Zu den wichtigsten Verfügungen zählte vor allem die Umsetzung der Amnestie für alle im Zuge der Revolution inhaftierten politischen Gefangenen. Diese Amnestie war auf Reichsebene vom Rat der Volksbeauftragten am 12. November angeordnet worden. In einem Erlass der provisorischen Volksregierung vom 15. November wurden diese Amnestiebestimmungen präzisiert und am 19. November auf Militärangehörige ausgeweitet.
Zu den ersten Aufgaben der provisorischen Volksregierung gehörte es zudem, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten und die Revolution einzudämmen. Die Übersicht listet zahlreiche Appelle und Maueranschläge auf, die diesem Zweck dienten. Hierfür zeichnete sich vor allem das Arbeitsministerium verantwortlich, das die Bevölkerung dazu anhielt, die Arbeit wiederaufzunehmen. Auch die ehemals königliche Beamtenschaft wurde angewiesen, den öffentlichen Dienst aufrecht zu erhalten.
Über diese Bemühungen hinaus wollte man die Bevölkerung für die Parlamentarisierung gewinnen. Die Übersicht gewährt Einblicke in Legitimierungsstrategien, die den sich vollziehenden Demokratisierungsprozess begleiteten. So folgte am 14. November 1918 ein weiterer Aufruf, der sich auf die Konstituierung der Arbeiter- und Soldatenräte, die die provisorische Regierung unterstützen, sowie auf die von der Reichsregierung für eine verfassungsgebende Nationalversammlung angestoßenen Bemühungen bezog. Der Aufruf stellte diese Bemühungen in die Tradition der demokratisch-liberalen Freiheitsforderungen und nationalen Einheitsbestrebungen der Revolution von 1848/49. Dadurch wurde eine geschichtliche Verbindungslinie zu den Verfassungsverhandlungen gezogen, was politische Kontinuität suggeriert.
Teil der Übersicht sind zudem die Versuche der provisorischen Regierung, Einfluss auf die Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu nehmen. So ersuchte die provisorische Regierung die Reichsregierung am 12. November, das Abschneiden der Kohle- und Mehlversorgung aus dem Rheingebiet abzuwenden.
Weitere interessante Innenansichten liefert die Übersicht zur Konstituierung der Räte, hier insbesondere zu ihrer inneren Ordnung, zu den Bestimmungen der Demobilmachung sowie schließlich zur Wahlordnung und zu Befürchtungen vor Wahlstörungen für die Verfassungsgebende Landesversammlung im Januar 1919 durch Kommunisten.
GND-Verknüpfung: Staatsorganisation [4382696-9]