Rätebewegung - Opposition zur Parlamentarisierung Badens

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Plakat der Landeszentrale und des Elferrats der Arbeiter-, Bauern- und Volksräte Baden, 22. Februar 1919 (Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 110-1 Nr. 0105)

Plakat der Landeszentrale und des Elferrats der Arbeiter-, Bauern- und Volksräte Baden, 22. Februar 1919  (Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 110-1 Nr. 0105)

Die Rätebewegung in Baden

Der Weltkrieg hatte Badens Wirtschaft während der Kriegsjahre überdurchschnittlich in Mitleidenschaft gezogen. Aus den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Mangelerscheinungen waren im Frühjahr 1917 erste soziale Proteste von Arbeitern erwachsen, die über wirtschaftliche Verbesserungen hinaus auch nach mehr politischer Teilhabe verlangten. Im Zuge der im Oktober 1918 als Vorbedingung für Waffenstillstandsverhandlungen vollzogenen Demokratisierung wurden auch in Baden Stimmen laut, die die Einrichtung eines demokratisch gewählten badischen Landtags einforderten.

Wie auf Reichsebene konkurrierten auch in Baden bürgerlich-liberale und sozialdemokratische Ordnungsvorstellungen mit jenen der Kommunisten. Im Rahmen einer für Januar 1919 angekündigten Verfassungsreform, die die Weichen für ein demokratisch gewähltes badisches Parlament, nicht jedoch für ein Rätesystem, stellen sollten, kam es in der Residenzstadt Karlsruhe zu revolutionären, jedoch weitestgehend gewaltlosen Aufständen. Im tiefroten Mannheim kam es zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten, die das Rätemodell als politische Ordnungsvorstellung einforderten.

In Karlsruhe reagierten parteiübergreifend Vertreter der Sozialdemokratie, der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei, des Zentrums und der Nationalliberalen Partei mit der Gründung eines sogenannten Wohlfahrtsausschusses, der mit den Räten als Kontrollorgane der Revolution kommunizieren und sie auf diese Weise in demokratische Bahnen lenken sollte. Die Sozialdemokratie übernahm in dieser sogenannten provisorischen Volksregierung fünf von elf Ministerien.

In dieser Hinsicht verlief der politische Umbruch in vergleichsweise friedlichen Bahnen, was die revolutionären Forderungen der kommunistisch orientierten Rätebewegung auszubremsen drohte. Am 22. November erfüllte sich zudem mit dem Verzicht auf die Regierungsgewalt durch Großherzog Friedrich II. eine zentrale Forderung der Revolution. Um ihre Vorstellungen eines Räte-Deutschlands voranzutreiben, formierten sich Mannheimer Arbeiter- und Soldatenräte am 21. und 22. November zu einer Landesversammlung, die sich – neben der provisorischen Volksregierung – ebenfalls zum Vorparlament ausrief. Auf diese Weise konstituierte sich nach dem Ausscheiden des Großherzogs als politische Kraft eine doppelte Regierungsstruktur, innerhalb derer sich die Organe der Rätebewegung sowie die Behörden der Volksregierung gegenüberstanden. Daher hoffte die provisorische Volksregierung, das politische Patt durch das Anberaumen von Wahlen zu einer verfassungsgebenden badischen Nationalversammlung zu klären, die sie am 14. November für den 5. Januar 1919 ansetzte.

An den in den folgenden Monaten durchgeführten Beratungen für ein Verfassungskonzept für die badische Nationalversammlung waren Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte nicht beteiligt. Sie versuchten erfolglos, konkurrierende Verfassungsentwürfe in die öffentliche Diskussion einzubringen. Letztlich aber setzte sich das Konzept Eduard Dietz‘ (1866-1940, SPD) mit einem Zweikammersystem in Form eines demokratisch gewählten badischen Parlaments und nicht eines Rätesystems durch.

Die von der Nationalversammlung für den 12. Januar angesetzten Landtagswahlen führten zu einem vorläufigen Ende der Rätebewegung in Baden. Die Wähler erteilten mit der Bildung einer Regierung der Weimarer Koalition aus Zentrum (39 Sitze), SPD (36 Sitze) und DDP (25 Sitze) den dezidierten Auftrag zur Demokratisierung Badens. Die Rätebewegung ging in Form der USPD, die gerade einmal 15.000 Stimmen erhielt, klanglos unter. In den folgenden Monaten machte sich eine aus 21 Landtagsmitgliedern gebildete Verfassungskommission, mit Dietz als Vorsitzendem, an die weitere Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs, der die Neuordnung des politischen Systems zum Ziel hatte.

 

Quelle

Damit schien in Baden die Frage zwischen Rätemodell und parlamentarischer Demokratie zunächst entschieden. Doch in Mannheim entflammte die Rätebewegung anlässlich der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1867-1919, USPD) am 21. Februar 1919 erneut. Daher taten die im Januar bestätigten Vertreter der badischen Nationalversammlung alles in ihrer Macht stehende, um die gerade erst eingedämmte Revolutionsgefahr samt blutiger Putschversuche nicht neu entstehen zu lassen. Im vorliegenden Aufruf, der am 22. Februar 1919, also einen Tag nach der Ermordung Eisners, ausgegeben wurde, riefen ehemalige Angehörige der Rätebewegung, die in die badische Nationalversammlung gewählt worden waren, die Bevölkerung zur Ruhe auf. Der Aufruf diente der Konsolidierung der bestehenden Verhältnisse, d.h. der sich beginnenden Parlamentarisierung, die durch die Ermordung Eisners nicht durch neue Akte der Gewalt gefährdet werden sollte. Allein die Nationalversammlung, so der Aufruf, bürge für die gerade erst erkämpften politischen Partizipationsrechte sowie die langsam eintretende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.

Dementsprechend rief das hier gezeigte Plakat zur Solidarisierung noch immer existenter Arbeiter- und Soldatenräte mit der badischen Nationalversammlung auf. Zum Teil unternahm man damit auch den Versuch, das Bürgertum, hier insbesondere putschbereite konservative Kräfte wie die DNVP (in Baden unter der Bezeichnung Christliche Volkspartei), zu beruhigen. Auch die linksrevolutionären Kräfte sollten nicht zu den Waffen eilen, sondern „auf dem Boden der Gesetzmäßigkeit und der Demokratie, auf dem allein nur die Früchte der Revolution heranreifen können“, verbleiben. Besonders wichtig war in diesem Kontext der in der Mitte des Aufrufes zu findende Appell an die Beamtenschaft: Die Regierungsbehörden waren bereits im Rahmen des bis Januar 1919 anhaltenden Machtkampfes zwischen demokratisch gesinnter provisorischer Volksregierung einerseits und der von der USPD dominierten Landesversammlung andererseits zwischen die Fronten zweier Regierungsbildungen geraten. Gerade das Beamtentum war, wie auch die von den Räten kontrollierten Gewerkschaften, ein strategisch wichtiger Grundpfeiler, sollte es notwendig werden, erneute revolutionäre Umstürze mithilfe eines Generalstreiks im Keim zu ersticken.

Unterzeichnet, ja legitimiert war der Aufruf, wie bereits erwähnt, vor allem durch solche Vertreter, die die Rätebewegung bis Januar 1919 unterstützt hatten. Welche aber nach den Wahlen Teil der die Revolution beendeten badischen Nationalversammlung geworden waren. So findet sich in dem Aufruf unter anderem Adam Remmele (1877-1951) verzeichnet, der 1918/19 aktiv an der Rätebewegung beteiligt gewesen und 1919 zum Vizepräsidenten der Nationalversammlung avanciert war. In den Jahren 1922/23 und 1927/28 sollte er zudem als badischer Staatspräsident wirken. Der ebenfalls unterzeichnende Emil Maier (1876-1932) war beispielsweise von 1909 bis 1913 als Mitglied der zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung aktiv gewesen. Im Zuge der Novemberrevolution hatte er sich im Heidelberger Arbeiter- und Soldatenrat sowie in dem im Aufruf als „Landeszentrale“ aufgelisteten, aus der Rätebewegung hervorgehenden Landesausschuss engagiert. Auch er war im Januar 1919 in die Badische Nationalversammlung gewählt worden und sollte von 1926 bis 1929 als Staatsrat in der badischen Regierung sowie 1919 bis 1931 als erster Vizepräsident fungieren. Schließlich verzeichnete der Aufruf beispielsweise auch Karl Wehner (1875-1957), der während der Novemberrevolution Mitglied im Volksausschuss und Sekretär des Mannheimer Arbeiter- und Soldatenrates gewesen war. Auch er wurde im Januar 1919 zunächst in die Badische Nationalversammlung und anschließend bis 1933 in den Badischen Landtag gewählt.

Am selben Tag des Aufrufes wurde in Baden der Belagerungszustand ausgerufen, der alle weiteren Versammlungsaktivitäten unterband. In Baden blieb es vergleichsweise ruhig, im Gegensatz zum sächsisch-thüringischen Grenzgebiet, wo es im Zuge erneuter Gründungsversuche einer mitteldeutschen Räterepublik zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen kommunistischen Paramilitärs und Reichswehrtruppen kam. Dennoch sollte auch Baden bis April und Mai von weiteren kommunistisch motivierten Aufständen, Protesten und Streiks unter anderem in Karlsruhe, Offenburg und Lörrach heimgesucht werden. Letzten Endes vermochte sich die badische Rätebewegung, im Hinblick auf die Konstituierung der badischen Nationalversammlung sowie die Annahme der Verfassung im März durch einen Volksentscheid, jedoch auch nach der Ermordung Eisners nicht durchzusetzen.

GND-Verknüpfung: Rätebewegung [4076490-4]

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Flugblatt der Arbeiter-, Bauern- und Volksräte Badens, 22.2.1919