Technische Infrastruktur - Streit um die Salonwagen der badischen Staatseisenbahn
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
In den 1920er Jahren entwickelten sich neue Räume für Geschwindigkeit und Mobilität. Mit dem Beginn der ersten deutschen Demokratie fiel die massentaugliche Weiterentwicklung von Fahrrädern, Autos sowie der Ausbau des Eisenbahnnetzes zusammen. Dabei blieb die badische Staatseisenbahn, die bis 1920 als selbstständiges Unternehmen existierte, das wichtigste Fortbewegungsmittel. Sie war 1840 auf Initiative des Großherzogs gegründet worden und rollte bis 1920 mit 1.681 Lokomotiven auf 2.000 km badischem Streckennetz. Hauptschlagader des Verkehrssystems bildete dabei die sogenannte Badische Hauptbahn. Sie umfasste das zwischen 1840 und 1863 entstandene Liniennetz, das Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Offenburg, Freiburg im Breisgau, Basel, Waldshut, Schaffhausen und Konstanz verband.
In wirtschaftlicher Hinsicht waren die Güterbahnhöfe in Karlsruhe, Mannheim, Freiburg und Heidelberg von herausragender Bedeutung. Die Badische Staatsbahn gehörte zu den großen Förderern der Fahrzeugindustrie. Zu den wichtigsten Produzenten von Lokomotiven zählte beispielsweise die Maschinenfabrik von Keßler und Martiensen in Karlsruhe, aus der die Maschinenbau-Gesellschaft Karlsruhe hervorging. Zu den unverzichtbaren Herstellern von Güterwagen gelten seit ca. 1842 zudem die Waggonfabrik Schmieder & Mayer in Karlsruhe, die 1862 gegründete Waggonfabrik Fuchs in Heidelberg und die 1897 ins Leben gerufene Waggonfabrik Rastatt. Auch in den staatseigenen Hauptwerkstätten Karlsruhe wurden Eisenbahnwagen hergestellt.
Als die Franzosen im Rahmen der Ruhrbesetzung im Februar 1923 wichtige Knotenpunkte des Eisenbahnnetzes okkupierten, kam der Verkehr auf der Hauptstrecke vollständig zum Erliegen. Dies führte zu massiven Einbußen bei der vom Schienennetz abhängigen Güterindustrie. Die Besetzung führte zur Unterbrechung der Hauptverbindungen zwischen Mannheim, Karlsruhe und Basel. Auch die Strecke zwischen Offenburg und Konstanz wurde unterbrochen, da die Franzosen strategische Brückenköpfe sowie die für das Verkehrsliniennetz Badens so wichtige Stadt Offenburg okkupiert hatten. Dies bedeutete einen schweren Schlag für Personenverkehr und Industrie.
Als jedoch 1920 im Zuge der sogenannten Verreichlichung, d.h. der Abgabe von Souveränitätsrechten der Länder an das Reich, die Deutsche Reichsbahn ins Leben gerufen wurde, ging die Badische Hauptbahn im Verbund mit weiteren Liniennetzen der Großherzoglich Badischen Staatseisenbahnen in den Besitz des Reiches über. Von nun an fuhren nicht mehr allein Lokomotiven badischen Typs über die badische Hauptbahn, sondern auch Bahnen der anderen Länder. Neben wenigen Privatanbietern verfügte die Reichsbahn nahezu allein über das Liniennetz.
Quelle
Als die Eisenbahn ab 1835 in Deutschland etabliert wurde, gehörte der Hochadel zu den zentralen Initiatoren und Förderern dieses neuen Fortbewegungsmittels. Da sich die Eisenbahn jedoch zu einem Massentransportmittel entwickelte, setzte die adlige Oberschicht alles daran, sich auf ihren Fahrten von ihren Untertanen abzugrenzen. Kaiser, Kronprinzen und die Monarchen der Länder reisten in eigens angefertigten Salonwagen, die mit edel getäfeltem Holz, feinsten Stoffen und Goldbeschlägen verziert waren. Die überbordende Ornamentik des Salonwagens des Bayernkönigs Ludwig II. erhielt aufgrund ihres Prunkes sogar die Bezeichnung „Versailles auf Rädern“. Der Adel stieg nicht etwa an den öffentlich zugänglichen Bahnsteigen, sondern an eigens hierfür eingerichteten Räumlichkeiten an den Gleisen ein und aus. Anreisen, insbesondere ausländischer Staatsgäste, waren hochrepräsentative Akte, vergleichbar mit der heute medial aufbereiteten Szenerie des Empfangs von Staatsmännern an Flughäfen.
Im Zuge des Verreichlichungsprozesses drohten aus Sicht des badischen Staatsministeriums auch die Salonwagen in den Besitz des Reiches überzugehen. Daher wurden Überlegungen angestellt, inwiefern die beiden Salonwagen des abgedankten Großherzogs Friedrich II. in den Besitz der Republik Baden übergehen könnten. Es sei, so das Staatsministerium, „wünschenswert, dass mindestens der alte Wagen im badischen Eigentum bleibt, um der Staatsregierung bei notwendigen Besichtigungen und sofortigen Anlässen, auch für Repräsentationszwecke zur Verfügung zu stehen.“
Um den drohenden Verlust der Salonwagen abzuwenden, versuchte sich das Staatsministerium auf seiner Sitzung am 27. April an einem juristischen Kniff: So war das Kabinett „der Ansicht, dass die dem Grossherzog zur Verfügung gestellten beiden Salonwagen sich nicht im Besitze des Staates, sondern des Grossherzogs befunden haben und daher als der ehemaligen Zivilliste gehörig nicht in den Besitz des Reiches übergehen, sondern weiter der badischen Staatsregierung für ihre Fahrten zur Verfügung stehen.“
Der Widerspruch des Reichsverkehrsministeriums, hier der Zweigstelle in Baden, an das Staatsministerium erfolgte am 21. Mai 1920. Die Zweigstelle war der Ansicht, dass sich die „beiden Salonwagen Nummer 10.000 und Nummer 1“ sehr wohl im Besitz des badischen Staates befunden hätten, denn: „Die beiden Wagen wurden nicht aus Mitteln der ehemaligen Zivilliste des Großherzogs, sondern aus allgemeinen Staatsmitteln beschafft. Sie sind daher stets Staatseigentum gewesen und nach unserer Ansicht, die auch von der badischen Abwicklungsstelle geteilt wird, mit den badischen Staatsbahnen an das Reich übergegangen.“
Dennoch zeigte sich das Reichsverkehrsministerium letztlich kulant und gestattete der Badischen Staatsregierung, zumindest Salonwagen Nummer 1 für repräsentative Zwecke zu behalten.
GND-Verknüpfung: Technische Infrastruktur [4774721-3]
Die vorgestellten Dokumente im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW: :
Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Staatsministeriums vom 27.4.1920
Schreiben des Reichsverkehrsministeriums, Zweigstelle Baden, 21.5.1920