Wirtschaft und Soziales in Hohenzollern

 

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Männer mit Motorrädern und zweckmäßiger Schutzkleidung, ca. 1930, (Quelle: Landesarchiv BW, StAS N 1 68 Nr. 366)
Männer mit Motorrädern und zweckmäßiger Schutzkleidung, ca. 1930, (Quelle: Landesarchiv BW, StAS N 1 68 Nr. 366)

Einführung

Die Bewältigung der Folgen des Ersten Weltkrieges erforderte in Hohenzollern enorme Anpassungsleistungen zur Umstellung der Wirtschaft auf Friedenszeiten sowie die Lösung sozialer Probleme. Den Regierungsbezirk, der von Landwirtschaft und kleingewerblicher Produktion, hier vor allem von der Textilindustrie, abhängig war, hatte der Abzug männlicher Arbeitskräfte für den Krieg schwer getroffen. Ihre Arbeitsplätze übernahmen Frauen, deren Integration vor allem in den Fabriken neu geregelt werden musste. Als eine der folgenschwersten Lasten des Weltkrieges erwies sich in der Nachkriegszeit zudem die durch den Krieg bedingte schleichende Geldentwertung. Die Regierung ließ Notgeld drucken, um die größten sozialen Nöte zu mildern. Die wirtschaftlich prekäre Situation der Kriegsjahre sowie der Nachkriegszeit hatte darüber hinaus vor allem Kinder hart getroffen. Preußen bemühte sich, sogenannte Landaufenthalte für unterernährte Stadtkinder zu organisieren, wofür Hohenzollern einen idealen Ort bildete.

Einwohnerzahlen und Wirtschaftszentren

Die Hohenzollernschen Lande waren von kleineren und mittelstarken Kommunen von bis zu 5.000 Einwohnern geprägt. Nur vier Städte – Hechingen, Sigmaringen, Burladingen und Haigerloch – überschritten im Regierungsbezirk die Kleinstadtgrenze. Drei weitere Kommunen bewegten sich an der Grenze von 5.000 Einwohnern, die übrigen Gemeinden blieben darunter.

Die wichtigsten wirtschaftlichen Knotenpunkte bildeten Sigmaringen im Verbund mit der Kommune Gammertingen, sowie Hechingen im Verbund mit Haigerloch und Burladingen. Die nächst gelegenen Wirtschaftspartner Hohenzollerns waren Konstanz, Villingen, Reutlingen/Tübingen und Ravensburg. Kleinere Handelspartner bildeten Rottweil, Tuttlingen, Balingen, Ebingen, Riedlingen und Saulgau. Marktflecken, d.h. kleinere Kommunen, denen trotz ihrer geringen Größe im Verlauf ihrer historischen Entwicklung das Recht zur Abhaltung von Groß-, Wochen- oder Jahrmärkten verliehen worden war, bildeten Ostrach, Krauchenwies, Langenenslingen sowie das industriell geprägte Bisingen. Hinzu traten die den regionalen Warenverkehr unterstützenden Dörfer Glatt, Gruol, Rangendingen, Grosselfingen, Melchingen, Inneringen und Bingen.

Zur Siedlungsstruktur

Die Siedlungsstruktur Hohenzollerns war überaus heterogen. Dies lag daran, dass der Norden industriell und landwirtschaftlich ertragreicher war als der Süden. Die unteren Ebenen Hohenzollerns – so beispielsweise das Killertal – prägten dichte Besiedlungen kleinbäuerlicher Dörfer. Siedlungsarm dagegen waren beispielsweise Keuperstufe, Gipskeupervorland, Albtrauf sowie die von Tonböden durchzogenen Albvorberge. Diese geographischen Unterschiede, die die unterschiedliche Ausprägung der Fruchtbarkeit der Böden bedingte, begünstigten den Norden wirtschaftlich.

Insgesamt entwickelten sich die Bevölkerungszahlen Hohenzollerns trotz der überdurchschnittlichen Gefallenenzahlen während des Ersten Weltkrieges gleichmäßig, nämlich von 66.770 Einwohnern (1900) über 71.011 (1910) und 72.400 bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914) auf 71.840 (1925).

Vorherrschaft und Mechanisierung der Landwirtschaft

Die dörfliche Siedlungsstruktur war in weiten Teilen Hohenzollerns von Realteilungen geprägt. Zahlreiche Teilungen waren ein wesentlicher Hinderungsgrund für eine früher einsetzende Industrialisierung. Der Norden vermochte sich industriell dynamischer zu entwickeln, weil das ländliche Erbrecht in dieser Region nicht derart strikt gehandhabt wurde wie im Süden, sodass sich hier industrielle Strukturen, insbesondere jene der Textilindustrie, besser zu entfalten vermochten.

Den vorherrschenden Wirtschaftssektor bildete die Landwirtschaft, für die bis ins 19. Jahrhundert die traditionelle Dreizelgenwirtschaft charakteristisch war. Insbesondere die Gemeinden des Nordens beweideten die Allmende gemeinschaftlich, legten Felder brach und versorgten abgeerntete Äcker und Wiesen in der Sommersaison mit Dünger- und Nährstoffen. Insgesamt dominierte im Regierungsbezirk die kleinbäuerliche Lebenswelt mit ihren Sonderflächen, kleinparzelligen Ackerlanden, privaten Baum- und Hausgärten, die die Grenzen der Dörfer bildeten. Vorherrschend im Anbau waren Kraut, Hanf, Flachs, Rüben und Kartoffeln. In überschaubarem Umfang wurde zudem im sonnigeren Süden Weinanbau betrieben. Kleinere Bauernhöfe umfassten vier bis sechs Zugtiere. Die meisten Bauernhöfe waren jedoch keinesfalls spannfähig, d.h. sie waren nicht in der Lage, die Bewirtschaftung ihres Landbesitzes mit Zugvieh zu leisten. Bei dem Gros handelte es sich daher um Kleinbetriebe, die ihren Lebensunterhalt in der Zucht von Kleinvieh verdienten und sich in Abhängigkeit von spannfähigen Höfen befanden.

Diese kleinbäuerliche Ordnung wich Schritt für Schritt der Industrialisierung, deren Initiatoren vor allem die Landwirtschaftskammer, die Landwirtschaftsschulen sowie die landwirtschaftlichen Interessenverbände in Sigmaringen und Haigerloch bildeten. Geldgeber waren die Darlehenskassenvereine, die kraft ihrer finanziellen Ressourcen seit 1880 den Motor der Industrialisierung im Regierungsbezirk darstellten. Dadurch gelang es Hohenzollern, an die allgemeine Hochkonjunktur der Landwirtschaft im Reich um die Jahrhundertwende anzuschließen. Der Einsatz chemisch verbesserten Düngers sowie der neuesten Erkenntnisse in der Zierpflanzenzucht, die Rationalisierung, Mechanisierung der Kleinbetriebe sowie verbesserte Anbaustrategien der Bauern führten zu beträchtlichen Ertragssteigerungen. Im Zuge dieses Aufschwungs stieg insbesondere die Zahl der spannfähigen Höfe, da sich aufgrund der besseren Tiernahrungsmittel die Anzahl an Pferden und Zugochsen erhöhte.

Damit einher stieg ebenfalls die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis in den Übergangszeitraum 1918 bis 1923. Bis 1892 lag die Anzahl Vieh haltender Höfe bei 10.983, wobei die Kleinbetriebe weiterhin einen hohen Anteil besaßen (1913: 6.893). Von 1907 bis 1925 nahmen Betriebe mit über 0,05 ha Betriebsfläche von 11.752 auf 12.164 zu, sodass sich trotz des Weltkrieges an diesem steten Anstieg die im Vergleich zu den industrialisierteren Ländern Baden und Württemberg signifikante Bedeutung der Landwirtschaft in Hohenzollern ablesen lässt. Diese Relevanz drückt sich hinsichtlich der im Landwirtschaftssektor beschäftigten Menschen in Zahlen wie folgt aus: Um die Jahrhundertwende existierten knapp 18.000 Erwerbstätige, die in der Land- und Forstwirtschaft des Regierungsbezirks ihren Lebensunterhalt verdienten, was gegenüber dem Gewerbe- und Dienstleistungssektor rund 66 % darstellt. Bis 1925 gingen diese Zahlen trotz des Weltkrieges leicht zurück: 1907 waren es 25.876 Menschen, die in der Agrarwirtschaft tätig waren, was 68 % ausmachte, und 1925 waren es noch mehr, nämlich 27.979 Menschen, was 62 % und damit einem leichten Rückgang von 6 % entsprach.

Produzierendes Gewerbe, Schwer- und Textilindustrie

Im Vergleich zur Landwirtschaft entwickelten sich die Beschäftigungszahlen im produzierenden Gewerbe wie folgt: 1882 existierten in diesem Bereich 6.658 Erwerbstätige (25 %); 1907 waren es 8.606 (23 %) und 1925 11.224 (25 %). In gewerbenahen Dienstleistungsbereichen entwickelten sich die Beschäftigungszahlen wie folgt: 1882 existierten in diesem Bereich 2.557 Beschäftigte, was 9 % entsprach; 1907 waren es 3.600 (9 %) und 1925 5.746 (13 %).

Aufgrund der Dominanz der Landwirtschaft hinkte Hohenzollern in Gewerbe, Industrie und Dienstleistung seinen großen Nachbarn Baden und Württemberg stetig hinterher. Wie in der Landwirtschaft war Hohenzollern im gewerblichen Bereich ebenfalls von einem Nord-Süd-Gefälle geprägt. Der Norden profitierte insbesondere in den Bereichen der Textilindustrie sowie der Mechanisierung von Handel und Austausch mit den industrialisierteren Nachbarn Württemberg und Baden. Aufgrund der Vorherrschaft der Landwirtschaft entwickelte sich das Gewerbe auch hier zunächst einmal in der dörflichen Lebenswelt, auf dessen Konsum es in erster Linie ausgerichtet war. Damit in Zusammenhang stand die Entwicklung des Handwerks in den angrenzenden Städten und Marktflecken. Insbesondere die Getreidewirtschaft stieß den Mechanisierungsprozess von Getreide- und Sägemühlen an.

Zu den wichtigsten Produktionsstätten der Schwerindustrie gehörten das Fürstliche Hüttenwerk Laucherthal, die heutigen Zollernwerke. Sie wurden 1708 von Fürst Meinrad II. von Hohenzollern-Sigmaringen gegründet und begannen die Produktion mit dem Aufbau einer Eisenschmelze. Das Eisenwerk zählte zu den besten Verhüttungseinrichtungen im deutschen Südwesten. Im Zuge der im 19. Jahrhundert in Deutschland einsetzenden Industrialisierung stieg jedoch die Konkurrenz, weswegen die aus der Verhüttung gewonnenen Profite zurückgingen. Daher legten die Werke ihren Fokus auf die Metallverarbeitung. 1890 wurde eine Bronze-Gießerei in Betrieb genommen. Von 1906 bis 1924 übernahmen die Zollernwerke zudem das bayerische Stahlwerk Annahütte. Das Werk spielte insbesondere während des Ersten Weltkrieges eine wichtige Rolle, da es in Hohenzollern das Monopol auf die Schwerindustrie besaß. Der Bezug von Roheisen und dessen Weiterverarbeitung gehörte zu den kriegswichtigen Aufgaben und machte das Werk im Regierungsbezirk unverzichtbar.

Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren auf staatliche Initiative hin Bohrungen in Hohenzollern vorgenommen worden, um Steinkohlereservoire ausfindig zu machen. Wenngleich diese für die Industrialisierung so wichtige Ressource nicht vorhanden waren, wurden 1857 ergiebige Salzvorkommen in Stetten bei Haigerloch gefunden. Die Einrichtung eines dortigen Salzbergwerks verbesserte die Arbeitssituation in Haigerloch erheblich. Auf lange Sicht warf sie jedoch nicht genügend Gewinn ab, weshalb sie 1924 an einen Privatbesitzer veräußert wurde.

Den wichtigsten Industriesektor in Hohenzollern stellte die Textilindustrie dar. Sie entstand aus dem Hausgewerbe, das die Grundlagen für die in der Textilindustrie so wichtige Landweberei lieferte. Immer mehr bildete hier erneut die dörfliche Lebenswelt den Initiator für die Gründung kleiner und kleinster Webereien. Erste Impulse zur Errichtung von Textilfabriken entstanden in der Anfangsphase der Industrialisierung in Deutschland um 1850. Zu den wichtigsten Initiatoren zählte hier etwa die Firma Benedikt Baruch und Söhne, die in Hechingen eine Färberei, Spinnerei und Weberei eröffnete. In diese Gründungsphase fiel die Eröffnung zahlreicher weiterer Kleinbetriebe, was von Seiten der preußischen Landesbehörden staatlich gefördert wurde. Hierzu zählte etwa die Gründung einer Tuchfabrik in Gammertingen, die von der preußischen Regierung in der Anschaffung von Maschinen subventioniert wurde und insbesondere durch die Belieferung der preußischen Armee staatliche Aufträge erhielt.

Bis 1900 wurde in Hohenzollern vor allem die Hechinger Trikotagenindustrie überaus wichtig, die bis zur Jahrhundertwende zahlreiche Trikotwebereien hervorbrachte und sich in Hechingen selbst sowie in umliegenden Kreisen wie Stetten oder Bisingen ansiedelte. Bisingen verfügte darüber hinaus über eine Korsettfabrik. Grundlage dieser Entwicklung war die Ausstattung der Produktionsanlagen mit Dampfmaschinen und benzinbetriebenen Motoren. Ausgehend von den für das Jahr 1933 existierenden Statistiken waren um die 1.000 Arbeiter (1933: 1.370) in diesen Trikotfabriken beschäftigt. Diese kamen vor allem aus dem dörflichen Umland, zum Teil aber auch als Pendler aus dem benachbarten Württemberg.

Um die Jahrhundertwende existierten im Regierungsbezirk ca. 21 Industrieanlagen, die bis 1910 auf 152 anstiegen. Auch hier spiegelt sich die Dominanz der Textilindustrie, da diese primär aus Spinnereien in Karlstal und Gammertingen sowie Anlagen in Hettingen und Hechingen bestanden. In Hechingen wurden zudem Schuhe und in Dettingen Schiefertafeln produziert. Bis 1914 verdoppelte sich die Anzahl der Beschäftigten, was der Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere dem Ausbau der Hohenzollerischen Landesbahn, zu verdanken war.

Hinderlich für eine frühzeitiger einsetzende Industrialisierung im Regierungsbezirk waren neben der Dominanz der Landwirtschaft vor allem Auswanderungswellen. Hierzu zählten nicht nur die Emigrationsschübe von Fachpersonal nach Amerika, sondern auch die wirtschaftliche Prosperität sowie der industrielle Fortschritt der Nachbarländer Baden und Württemberg, die zahlreiche Erwerbstätige mit ihrem erhöhten Lebensstandard anlockten. Denn wie bereits gezeigt worden war, blieb die Landwirtschaft in Hohenzollern mit über 60 % der Erwerbstätigen der dominierende Sektor. In den Nachbarländern Baden und Württemberg war dieser bereits unter die 50 % Marke gesunken. Das Gewerbe lag im Regierungsbezirk bei 25 %, der Dienstleistungssektor bei 9 %, was etwa 10 % weniger gegenüber Baden (19 %) sowie 6 % Rückstand gegenüber Württemberg (15,4 %) bedeutete.

Für die Übergangszeit bis 1922 ist zu konstatieren, dass sich die hohenzollernsche Industrie von den Einschnitten des Ersten Weltkrieges relativ schnell erholte. Wie schon zum Beginn des Jahrhunderts legte die Textilindustrie einmal mehr die ökonomischen Grundlagen für die rasche Erholung. Sie blieb bis 1922 mit 45 % der im industriellen Sektor beschäftigten Personen sowie 55 Betrieben der stärkste Industriezweig der Hohenzollerischen Lande. Diese Entwicklung war durch neue Produktionsanlagen für Trikots in Hechingen, Burladingen und Gammertingen bzw. für Schuhe in Hechingen, Stetten, Boll, Bisingen und Jungingen begünstigt worden.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist für den industriellen Sektor festzustellen, dass sich die Entstehung von Fabriken trotz des Ersten Weltkrieges bis 1922 stetig erhöhte. So verdoppelte sich die Anzahl der Produktionsstätten in diesem Zeitraum von 156 auf 303, die Anzahl der in diesem Bereich Erwerbstätigen von 4.500 auf 6.100, darunter 2.300 Frauen und 800 Jugendliche. Obgleich diese Zahlen im Verbund mit dem weiterhin dominanten, an die industrielle Entwicklung Anschluss haltenden Landwirtschaftssektoren für die Mikroebene Hohenzollerns durchaus beeindruckend erscheinen, zeigen doch vor allem die Vergleichszahlen mit den großen Nachbarn Baden und Württemberg, dass Hohenzollern in Gewerbe und Industrie noch starken Nachholbedarf hatte.

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