Sicherheit und Ordnung - Kommunistische Umtriebe in Laucherthal
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
1918 befand sich das Reich in einem Zustand der Auflösung. Die Wirtschaft lag am Boden, die Ententemächte drohten bei Nicht-Unterzeichnung des Friedensvertrags mit der Besetzung des Reiches, Millionen Soldaten strömten in das Land zurück, kommunistische Aufstände, die von der sozialdemokratischen Regierung und der Reichswehr im Verbund niedergeschlagen wurden, erschütterten das Land. An der östlichen Grenze zu Polen drohten, über die im Friedensvertrag hinaus geforderten Abtretungen, weitere Gebietsverluste, sodass deutsche Freikorps bewaffnet an den Grenzen patrouillierten und auch in Kämpfe verwickelt wurden. Im Reich selbst herrschte aufgrund dieser Gemengelage eine bürgerkriegsähnliche Situation. Die unterschiedlichsten Sicherheitsorgane wie paramilitärische Verbände – hier insbesondere Einwohnerwehren und Freikorps – sowie die staatlichen Sicherheitsorgane – Reichswehr und Polizei – versuchten, der Lage Herr zu werden.
Dabei markierte der Beginn der Weimarer Republik nicht nur für das Militär, sondern ebenfalls für die Polizei einen Neubeginn. Beispielsweise hielt sich die Reichswehr unter der Führung des antidemokratisch eingestellten Reichswehrchefs Hans von Seeckt sowie eines weiterhin monarchistisch, nationalistisch und militaristisch-revanchistischen Offizierskorps als ‚Staat im Staate‘ bei der Absicherung der Republik zurück. Während die Polizei auf Betreiben führender preußischer, demokratisch gesinnter Regierungsbeamter nach demokratischen Grundsätzen reformiert wurde. Polizeibeamte sollten nicht einfach nur un- oder apolitische Sicherheitsbeamte, sondern Vertreter des demokratischen Staates sein; Demokraten in Uniform. Wichtige Vertreter dieser Reform wie Wilhelm Abegg, Albert Grzesinski und Carl Severing wirkten in diesem Sinne in Preußen.
Zu den wichtigsten Aufgaben der Polizei im Übergangszeitraum zählte im Kontext der bis 1923 anhaltenden kommunistischen Aufstände die Überwachung der politischen Arbeit von KPD-Angehörigen. Kommunisten wiederum, denen es um eine völlige Neuordnung des Staatssystems ging, hatten sich die Entwaffnung der Polizei bzw. die Besetzung wichtiger polizeilicher Stellen auf ihre Fahnen geschrieben.
Quelle
Die Rätebewegung und die mit ihr verbundenen Anhänger des Spartakus-Bundes hatten in den Hohenzollernschen Landen von Oktober 1918 bis Februar 1919 im Vergleich zu den revolutionären Aufständen in der Hauptstadt Berlin wenig radikales Potenzial entwickelt. Dennoch waren mit der Niederschlagung der kommunistischen Revolutionsversuche im Februar 1919 die Versuche, die Arbeiterschaft der Hohenzollerischen Lande unter Kontrolle zu bringen und für den Umsturz zu gewinnen, im Übergangszeitraum bis 1924 keineswegs aufgegeben worden.
Die Auseinandersetzung zwischen kommunistischen Werbern und Polizeibehörden im alltäglichen Leben des Regierungsbezirks zeigte sich im Rahmen einer Auseinandersetzung um den Dawes-Plan, der Deutschland 1924 weitere Reparationen aufbürdete. So wandte sich am 27. Mai 1924 die Fürstlich Hohenzollernsche Hüttenverwaltung an Regierungspräsident Emil Belzer und bat ihn um Polizeikräfte, um die politische Betätigung der Kommunisten vor ihrem Betrieb zu verhindern. Die Hüttenverwaltung nannte einen Kommunisten namens Friedrich, der wiederholt an den Ausgängen der Betriebe auf die Belegschaft wartete, um die Arbeiter mit kommunistischen Flugblättern und Broschüren zu versorgen.
Die Hüttenverwaltung legte ihrem Schreiben ein solches Flugblatt bei, das auf fünf Seiten für den Umsturz der Demokratie und der bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse plädierte. Es enthielt eine Karikatur sowie Texte, die sich gegen die Verwirklichung des Dawes-Planes wandten, der am 16. August 1924 ratifiziert werden sollte. Die Kommunisten stellten die Reparationszahlungen als Strafe für die Arbeiter dar, die nicht nur einen Krieg für den Imperialismus hatten führen müssen, sondern nun auch die Kosten der Niederlage zahlen sollten. Die Karikatur zeigt eine Personifizierung Englands, die den Deutschen das Getreide stiehlt. Ebenso Außenminister Gustav Stresemann, der sich als ‚Erfüllungspolitiker‘ an die metaphorische Kette des Sachverständigengutachtens vom 9. April 1924 legen ließ, in dem der Finanzexperte Charles Gates Dawes die Regelungen für die Reparationszahlen festgelegt hatte. Und schließlich bildet sich die Silhouette des in Deutschland überaus verhassten ehemaligen Staatspräsidenten, mehrmaligen Ministerpräsidenten und 1924 als Außenminister Frankreichs amtierenden Raymond Poincaré, im Hintergrund der Karikatur ab.
Als einer der Hauptfeinde wurde in der Flugschrift die Polizei genannt, die auf Seiten der antikommunistischen Mächte stehe: „Damit die Bande internationaler Börsenhyänen und Industriehaifische, diese Gesellschaft zur Ausraubung der deutschen Arbeiterklasse, eine Garantie hat, dieses Geschäft mithilfe der preußischen Bourgeoisie und Sozialdemokratie ungestört betreiben zu können, hat man einen Polizeiüberfall auf die russische Handelsmission gemacht. Die Sozialdemokraten und Kapitalisten wollen beweisen, daß sie bereit sind, Krieg gegen Rußland zu führen, wenn es Poincaré oder Macdonald befiehlt. Die Angst vor der Arbeiterrevolution macht die deutsche Bourgeoisie und die Sozialdemokratie zu Stiefelleckern der militärischen Sieger.“
Auf die versuchte Intervention der Hüttenverwaltung hin habe Friedrich eine angeblich vom Bürgermeister von Sigmaringendorf ausgestellte Genehmigung vorzeigen können. Bezüglich weiterer Flugblätter konnte Friedrich jedoch keine Genehmigung vorweisen, wodurch es zum Konflikt mit der örtlichen Polizei kam. Oberlandjäger Bellgardt – als Landjäger wurden bis in die Weimarer Republik Polizeikräfte bezeichnet, welche die Verantwortung für Ordnungsaufgaben im ländlichen Raum trugen – stellte Friedrich zur Rede und verlangte von ihm den Nachweis der Berechtigung, die Flugblätter verteilen zu dürfen. Eine solche verweigerte Friedrich jedoch. Im Zuge der Auseinandersetzung kam es zudem zu nicht näher genannten Beleidigungen Friedrichs gegenüber Oberlandjäger Bellgardt, wodurch die Situation zu eskalieren drohte, da weitere Anhänger Friedrichs zugegen waren. Die Leitung der Hüttenverwaltung fürchtete, die politische Beeinflussung durch Friedrich werde den, nach dem Inflationsjahr 1923 ohnehin gebeutelten Betrieb durch Unruhestiftung weiter gefährden. Besonders gefährdet sah die Hüttenverwaltung die bei ihr tätigen Jugendlichen und bat daher die Polizei und den Regierungspräsidenten, gegen die kommunistische Einflussnahme vorzugehen.
GND-Verknüpfung: Sicherheit und Ordnung [4128511-6]